Kapitel 6

1.4K 162 46
                                    

Ich hatte mich dabei ertappt, wie ich mir alte Fotos von Timo angesehen hatte, während ich mir dabei Schokolade in den Mund gestopft hatte. Dazu liefen grausamen Balladen aus den 90ern.
Das war also dieser Liebeskummer, von dem alle sprachen. Mit dem Unterschied, dass mein Liebeskummer nicht geheilt werden konnte, denn Amors Pfeil verband uns ein Leben lang miteinander.

Sowohl Timo, als auch Yva hatten versucht mich anzurufen und mir besorgte Nachrichten geschrieben. Ich ließ sie unbeantwortet. Stattdessen überlegte ich ernsthaft das Land zu verlassen. Flucht schien mir die einziger Option zu sein, um mich von Timo fernzuhalten.

Auch meine Mama und meine Oma wunderte sich über mein plötzliches Verlangen nach Isolation. Doch sie schoben es darauf, dass es das graue matschigen Wetter war. Denn vom schönen weißen Schnee war keine Spur mehr zu sehen.

Als ich das Gefühl hatte, dass die Decke mir gleich auf den Kopf fallen und mich in meinem Sorgenhaufen vergraben würde, entschloss ich mich an die frische Luft zu gehen. Ich musste eine Lösung finden oder mein Leben würde bis auf ewig verdammt sein.

Der Wind blies mir kalt ins Gesicht und sofort bereute ich meine Entscheidung vor die Tür gegangen zu sein. Doch ich zwang mich dazu weiterzugehen.

Ziellos lief ich die Straßen entlang. Immer wenn mir ein Pärchen entgegenkam, zersprang mein Herz. Ich würde so etwas nie erleben dürfen. Wer hatte sich das ausgedacht? Sollte nicht gerade die Göttin der Liebe auch selber wissen, wie sich Liebe anfühlte?

Ich kam am Fluss vorbei. Auf der Wasseroberfläche schwammen dicke Eisschollen. Genau hier an dieser Stelle hatte ich mich schon unzählige Male mit Timo getroffen. Das hier war unser Ort. Hier hatten wir im Frühling Ukulele gespielt, im Sommer waren wir baden gegangen, im Herbst hatten wir Tee aus der Thermoskanne getrunken und im Winter waren wir Schlittschuhlaufen gegangen. Es trieb mir die Tränen in die Augen, an diese Momente zurückzudenken. Wir waren so unbeschwert gewesen. Es war eine unkomplizierte Freundschaft gewesen, bei dem jeder genau wusste, woran er war.

Und jetzt konnte ich ihm nicht einmal näher kommen, da es zu sehr schmerzte. Ich würde nie wieder einen unbeschwerten Moment mit ihm haben. Ich realisierte, dass ich meinen besten Freund verloren hatte.

Ich stellte mich dicht ans Ufer, wo der Untergrund sofort steil abfiel. Wir waren immer reingesprungen, da der Grund so tief war. Einmal hatte ich mein Freundschaftsarmband verloren. Ich fragte mich, ob es noch immer dort lag. Trotz stundenlangen Tauchens, hatten wir es damals nicht finden können.

Etwas Schlimmeres hätte mir nicht passieren können.

Eiskalter Schneeregen peitschte mir nun ins Gesicht und vermischte sich mit meinen Tränen. Wie hatte sich mein Leben nur so schnell um 180 Grad drehen können? Letzte Woche war ich noch ein glücklicher Teenager gewesen und nun wollte ich nur noch, dass alles ein Ende hatte.

Ich machte noch einen Schritt näher ans Wasser heran und sah, wie die Strömung die Eisplatten davonspülte. Ich könnte auch eine davon sein. Ich würde einfach weggespült werden und mit ein bisschen Glück würde man mich nie wieder finden. Keiner würde von meinem fatalen Fehler erfahren.

Doch das konnte ich nicht tun. Das hatte weder meine Mama, noch meine Oma und schon gar nicht Timo verdient.

Ich wollte gerade einen Schritt nach hinten machen, als es passierte: Auf dem nassen Matschboden verlor ich jeglichen Halt. Ich schrie noch einmal kurz auf und befand mich im nächsten Moment schon im kalten Wasser. Es ging so schnell, sodass ich keine Möglichkeit gehabt hatte zu reagieren.

Sofort schnürte mir die Kälte die Luft ab. Meine Lungen schienen auf ein Minimum komprimiert zu werden. Unter der Wasseroberfläche verlor ich jegliche Orientierung. Ich wusste nicht, wo oben oder unten war und paddelte hilflos mit meinen Armen im kalten Nass. Die Kälte schmerzte wie tausend Messerstiche. Ich wollte schreien, doch nicht einmal das konnte ich.

Es war stockdunkel und die Kälte schien mein Gehirn einfrieren zu lassen. Der Schmerz war kaum aushaltbar.

Das war es also?

Ich starb mit einem gebrochenen Herzen?

Schließlich erblickte ich doch eine Lichtquelle und vermutete dort die Wasseroberfläche. Mit meiner letzten Kraft machte ich einen Schwimmzug, musste dann jedoch feststellen, dass ich gegen eine Eisscholle prallte.

Es war vorbei. Ich würde weder die Kälte noch länger aushalten, noch konnte ich länger die Luft anhalten. Ich wusste, dass ich es nicht mehr länger aushalten würde. Gleich würde ich einatmen. Jedoch würde keine Luft in meine Lungen fließen, sondern das Eiswasser dieses Flusses. Ich würde ertrinken und ich befürchtete, dass es ein sehr qualvoller Tod werden würde.

Ich hatte Todesangst. Noch einmal sah ich mich verzweifelt um, doch es gab nicht mehr, was ich tun konnte. Ich trieb mitten in der Schwärze ohne Aussicht auf einen Ausweg.

Hier und jetzt endete mein Dasein.

AmoraWhere stories live. Discover now