Kapitel 17

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Ich wusste nicht, wie lange wir das durchhalten würden. Doch wir hatten beschlossen, dass wir es so lange wie möglich hinauszögern würden, bis wir gefunden wurden. Und Timo wusste noch nicht einmal, wer nach uns suchte.

Unsere Handys hatten wir zurückgelassen, damit man uns nicht orten konnte und so hatten wir nur das Autoradio als Nachrichtenquelle.

Zwar hatten wir wenig Außenkontakt, doch dafür hatten wir uns und das war mir im Moment mehr Wert als alles andere. Ich versuchte jede Sekunde mit ihm zu genießen, denn ich wusste nicht, ob es vielleicht die letzte sein würde.

Für diese Nacht hatten wir uns ein Zweibettzimmer in einer Jugendherberge gebucht. Ich hatte zwar all meine Ersparnisse vom Konto abgehoben, doch auch diese würden nicht ewig ausreichen.

Wir lagen abends nebeneinander im Bett. Wir beide wollte so gerne den nächsten Schritt gehen, doch ich war es, die zögerte. Manchmal fragte ich mich, ob Amora vielleicht eine Art Selbstzerstörungsmodus eingebaut hatten, der ausgelöst wurde, wenn Amora mit Menschen Sex hatten.

Ich wurde auf dieser Flucht noch vollkommen paranoid.

"Amy, willst mir nicht endlich erzählen, was los ist?"

Ich wusste, dass ich auf Dauer nicht um diese Frage herumkommen würde.
"Du erklärst mir eh für verrückt, wenn ich es dir sage."

"Ich habe dich eh schon längst für verrükt erklärt, als du mich überredet hast, mit dir zu fliehen. Und ich weiß nicht einmal, warum", scherzte er, behielt dabei jedoch auch einen Funken Ernsthaftigkeit.

Ich hasste es, Geheimnisse vor ihm zu haben, denn eigentlich wollte ich doch mein ganzes Leben mit ihm teilen. Es widerstrebte mir komplett, ihn zu belügen oder ihm zumindest wichtige Informationen vorzuenthalten.

Machte es überhaupt noch einen Unterschied, ob er es wusste oder nicht?

"Ich darf es dir eigentlich nicht sagen und ich muss dich warnen: Ich habe keine Ahnung, was es für Konsequenzen nach sich ziehen kann. Jedoch ist eh schon so viel passiert, sodass ich es eigentlich nicht mehr schlimmer machen kann."

Er zog die Augenbrauen hoch.

"Hört sich dramatisch an", sagte er locker und begriff offenbar nicht den Ernst der Lage.

"Timo, ich meine es ernst. Es ist wirklich dramatisch und du wirst mir nicht glauben, wenn ich es dir erzähle."

Er rückte näher an mich heran und legte seinen Arm um mich herum.

"Du kannst mir alles anvertrauen."

Die Art wie er mich umarmte, gab mir ein Gefühl von inniger Geborgenheit. In seinen Arm fühlte ich mich zwar zerbrechlich, aber gleichzeitig auch so beschützt wie an keinem anderen Ort auf dieser Welt.

Okay, dann war der Moment der Wahrheit also nun gekommen. Ich fühlte mich bereit. Er hatte ein Recht darauf zu wissen, warum wir diesen ganzen Aufriss hier veranstalteten.

Ich atmete noch einmal tief ein, ehe ich anfing zu sprechen. Noch nie zuvor hatte ich mit einem Menschen darüber gesprochen.

"Was weißt du über Amor?"

Sofort bekam ich einen irritierten Blick von Timo zugeworfen.

"Na das nenne ich mal einen gelungenen und unauffälligen Themenwechsel", sagte Timo lachend.

"Nein", widersprach ich. "Kein Themenwechsel. Tatsächlich hat es etwas mit unserer Flucht zu tun."

Er zog sein Gesicht zu einer Grimasse.

"Okay, da bin ich aber gespannt", sagte er und schien noch immer nicht ganz zu glauben, dass ich keinen Scherz machte. "Ich weiß nur, dass er so ein kleiner, dicker Engel mit Pfeilen ist", spaßte er noch immer.

Auf diese Art und Weise würden wir wohl nicht weiterkommen.

"Amor ist der Gott der Liebe. Er ist der Sohn von Venus und Mars. Und er ist ein Vorfahr von mir", erklärte ich.

Timo lachte nervös und schüttelte leicht den Kopf.
"Was redest du da?"

Das war wohl nicht die Erklärung, die er von mir erwartet hatte.

"Die Wahrheit", beteuerte ich. "Ich habe dir doch gesagt, dass es eine verrückte Geschichte ist."

Noch immer wirkte er nicht so, als könnte er meinen Worten viel Glauben schenken. Ich fuhr einfach fort.

"Und weil ich eine Nachfahrin von ihm bin, habe ich bestimmte Fähigkeiten. Ich kann wahre Liebe sehen und Pfeile schießen."
Timo lachte.
"OKAY, dann zeig mal!"

Er sah so aus, als würde er jetzt eine Vorführung erwarten.

"Timo, ich meine das ernst. Ich kann es dir aber nicht zeigen, weil ich diese Fähigkeit verloren habe. Und der Grund ist, weil ich aus Versehen mich selber mit dem Pfeil getroffen habe. Als ich dich mit deiner großen Liebe zusammenbringen wollte. Und das ist das Schlimmste, das mir hätte passieren können, denn man darf sich auf gar kein Fall selber mit einem Pfeil treffen. Denn genau genommen, darf ich mich nicht einmal verlieben. Doch es war ein Unfall und von da an sind wir verbunden durch die Liebe."

Timo lachte laut auf.
"Du spinnst doch!"

"Nein, Timo! Ich spinne nicht!"

Er schüttelte locker den Kopf, fuhr mir durch die Haare und küsste mich auf die Wange.

"Wann soll denn das gewesen?", fragte er und nahm mich ganz offensichtlich nicht ernst.

"Neulich, als der erste Schnee gefallen ist."
Wieder lachte er. Ich ertrug es kaum, dass er mich nicht ernst nahm.

"Amy, lass dir eins sagen: Ich liebe dich bestimmt nicht erst seit dem ersten Schneefall in diesem Jahr! Ich liebe dich schon immer! Von daher hat deine Geschichte leider einen kleinen Logikfehler." Er schmunzelte. "Aber sie war unterhaltsam. Vielleicht solltest ein Kinderbuch daraus machen", versuchte er mich aufzumuntern, als er bemerkte, dass ich nicht lachen konnte. "Sag mal, hast du getrunken?", schob er schließlich nach und konnte sich meinen entsetzten Gesichtsausdruck nicht anders erklären.

Ich gab es auf. Es hatte keinen Sinn. Er würde mir nicht glauben und ich konnte es ihm nicht verübeln. Meine Geschichte war einfach zu absurd.

Ich ließ mich auf das Bett fallen und starrte an die Decke.

"Ach nun schau doch nicht so! Deine Geschichte war vielleicht ein bisschen verrückt, aber trotzdem ganz amüsant", versuchte er aufheiternd zu klingen. Er beugte sich über mich und küsste mich.

Ein Kuss von diesem Mann hatte auf mich noch immer eine berauschende Wirkung. Auf einmal sah ich nur noch seine blauen Augen.

Er begann meinen Hals zu küssen. Seine Hände wanderten meine Silhouette entlang. Er kam immer näher. Seine Hände glitten unter meinen Pullover. Die sanften Hände fühlte sich gut auf meiner nackten Haut an.

Ich legte meine Hand auf seine Brust und schob ihn sachte von mir weg.

Er versuchte die Enttäuschung zu verbergen, doch ich konnte sie hinter seiner Fassade sehen. Ich kannte ihn zu gut.

"Tut mir leid, ich will dich nicht drängen. Nimm dir all die Zeit, die brauchst", sagte er sofort.

"Danke."

"Klar."
"Nein, ich meine für alles. Danke, dass du für mich da bist. Dass du mich nicht drängst. Dass du mich behandelst, als wäre ich eine echte Prinzessin. Danke für dein Verständnis-." Er legte liebevoll seinen Finger auf meine Lippen.
"Sch."

Dann küsste er mich wieder.

"Ich bin einfach nur froh bei dir zu sein. Seit Jahren wünsche ich mir nichts anderes, als das."

Wie hatte ich das nur all die Jahre übersehen können? Insbesondere jetzt, wo ich wusste, wie sich Liebe anfühlte, war es für mich unvorstellbar, dass er es so lange ausgehalten hatte. 

AmoraWhere stories live. Discover now