Kriegserklärung

400 16 1
                                    

Ich schaue mich in meiner neuen Wohnung um und kann wirklich stolz auf mich sein. In Gedanken klopfe ich mir selbst auf die Schulter und sehe mir an, was ich heute alles bewerkstelligen konnte. Meine Möbel und all die Kisten kamen schon relativ früh an, mit sehr wenig Schlaf und andauerndem Schwindel, habe ich es geschafft, alles auszupacken und aufzubauen. Der ganze Nachmittag ging dafür drauf, aber nun habe ich es hinter mir. Ich laufe in mein Schlafzimmer und setze ganz zum Schluss noch mein graues Kuschelkissen auf mein schwarzes Boxspringbett. Glücklich nehme ich nochmal alles in mich auf: Mein Bett das mittig im Raum steht, rechts mein weißer Nachttisch, mit meinem Mondlicht, den Kerzen und meinem Lieblingsbuch. Gegenüber mein weißer, kleiner Schminktisch mit meinem ovalem Spiegel und meinem lilanen, flauschigen Teppich auf dem Boden. Die Bilder von mir und meiner Familie hängen über meinem Bett, ich sehe sie mir an und drifte mit meinen Gedanken ab. Meine Mutter hat mich im jungen Alter wegen ihres Drogenkonsums im Heim abgeben müssen. Ich kann mich kaum an sie erinnern, bereue dies aber nicht, da ich keine Menschen vermissen kann, die ich nicht kenne. Meinen leiblichen Vater habe ich nie kennengelernt und von Blutsverwandten Geschwistern weiß ich ebenso nichts. Dafür wurde ich mit 11 adoptiert und habe dadurch den liebsten Adoptivvater in mein Herz schließen können. Er ist ein vielbeschäftigter Mann und durch seine Arbeit bei der Audi befindet er sich momentan für 4 Monate im Ausland. Er hat mir beigebracht selbstständig und diszipliniert zu sein und für meine eigenen Wünsche zu arbeiten. Ich weiß, dass ich ihn jeder Zeit nach Hilfe oder Geld fragen kann, das möchte ich aber nicht. Ich möchte irgendwann an die Vergangenheit denken und mir immer bewusst machen, dass ich alles selbst geschafft habe, ohne die Hilfe anderer. Ich sehe mir das Bild an, auf dem wir in einem Restaurant essen waren und uns meine Cousine beim Pasta essen fotografiert hat. Auch wenn wir nicht das gleiche Blut teilen, haben wir dennoch große Ähnlichkeiten. Meine Haare sind eher dunkelbraun, mittellang und lockig. Er hat schwarzes welliges Haar und auch wenn er es nicht einsehen will, neigen diese dazu nun schon ins Grau überzugehen. Ich muss grinsen, da ich weiß, dass ich ihn beim nächsten Telefonat damit aufziehen werde. Mein Vater hat, wie ich, eher hellere Haut und auch er ist nicht sehr groß, doch unsere Augenfarbe lässt viele Menschen vergessen, dass ich nicht seine leibliche Tochter bin. Wir haben beide die gleichen grünen Augen mit warmen, braunen Klecksen darin. Ich sehe mir das Bild nochmal genauer an und muss lachen, zum Glück habe ich nicht die gleiche, etwas längliche, knollige Nase. Meine ist ziemlich unauffällig gerade, mit einem kleinen Höcker oben drauf. Ich finde sie süß. Ich drehe mich um und sehe mich im Spiegel an, meine vereinzelten Muttermale im Gesicht haben mich als Kind immer gestört, inzwischen bin ich froh diese zu haben. Ich drehe mich etwas und muss über mein Outfit und das Bild dass ich abgebe grinsen. Ich bin den ganzen Tag im Schlabberlook rumgelaufen. Aus meinem Dutt hängen sämtliche Strähnen, ich fühle mich erschöpft und muss schnellstmöglich aus meinem grauen Zweiteiler schlüpfen. Ich bin wirklich den ganzen Tag wie ein Penner umhergelaufen, hoffentlich haben mich nicht allzuviele Nachbarn draußen gesehen. Ich musste den ganzen Tag mehrmals rein und raus laufen  und  die ganzen Kartons selbstständig tragen. Der Lieferant war wohl nur für das Bett, die Tische und mein Bücherregal zuständig. Ich laufe in mein Wohnzimmer, in diesem steht nun meine blaue, kleine Lieblingscouch, mein brauner Holztisch und gegenüber mein schwarzes, großes Bücherregal. Ein Fernseher besitze ich nicht, dieses brauche ich auch nicht, da ich mir fast alles auf meinem Handy ansehe. Meine ganzen Bücher stehen noch in 3 Kisten, diese werde ich morgen auspacken. Zum Glück habe ich die Wohnung mit einer kleinen Einbauküche und einem Kühlschrank übernommen, eine eigene zu kaufen könnte ich mir im Moment nicht leisten. Momentan lebe ich durch das Traden, früher habe ich auch zusätzlich selbstgemachten Schmuck und Accessoires für Haare über Etsy verkauft, aber irgendwann habe ich das auch sein gelassen. Ein ganz entfernter Traum wäre es mein eigenes Büchercafé zu besitzen, in dem die Menschen gerne hinkommen sich wohlfühlen können. Durch die Arbeit im Tierheim bin ich damals finanziell nicht weiter gekommen und musste nach Abschuss der Ausbildung einen anderen Weg einschlagen, dadurch bin ich zum Traden gekommen. Aber erstmal wird gespart und es muss mehr Zeit in das Traden investiert werden. An den Grund meines weiteren, plötzlichen Umzugs möchte ich gar nicht denken, da mich sonst die Angst und Unwohlsein den ganzen Tag verfolgen wird und an ihn möchte ich auch nicht denken. Für alle Fälle habe ich mein Notfallkoffer, mit den wichtigsten Utensilien und meinem Pass immer separat in meinem Kleiderschrank stehen. Das einzig positive ist, dass ich nicht mehr in dem kleinen Kaff in Baden Württemberg leben muss. Ich muss die Tage wirklich mal in die Stadt  und mir alles richtig ansehen, denke ich mir. Es ist inzwischen 17:00 Uhr, ich gehe duschen, wasche mir den Schweiß von meinem Körper und währenddessen lasse ich den gestrigen Tag Revue passieren. An der enormen Müdigkeit ist nur mein Nachbar "Skandal" schuld, was ein Spinner. Durch den ganzen Stress heute habe ich ihn echt gut verdrängen können, aber da schon fast alles erledigt ist drängt sich dieser nun fast permanent in meinem Kopf. Ich schließe die Augen und versuche ihn zu vergessen, da ich für die Wut, die aufkommt wenn ich nur an ihn denke, eigentlich zu erschöpft bin. Ich steige aus der Dusche, ziehe mir was bequemes an und kämme mir die Haare durch. Ich sehe mir meine Locken an und automatisch muss ich wieder an Skandal denken, "man wer nennt sich bitte selber so, dieser komische Wuschelkopf?!" Denke ich mir. Zugegeben, er wird seine Rache noch bekommen, aber ich muss ehrlich sein, er sieht wirklich gut aus. Leider. Nichtsdestotrotz hat er sich mit der falschen angelegt. Was er kann, kann ich auch. Schadenfroh verbinde ich nun mein Handy mit meiner JBL- Box und suche nach den kitschigsten und schlimmsten Liedern. „Hmm was für ein Album stelle ich dir zusammen?". Ich packe in seine eigene, ganz persönliche Playlist Lieder von Shirin David. Ayliva, Katja Krasavice, Sam Smith, Adele, Miley Cyrus und vielen weiteren rein. Die meisten Lieder sind gar nicht mal schlimm, aber ich weiß, er wird sich darüber aufregen. Vorher bestelle ich mir über Lieferando eine Pizza, dann sehe ich mir schadenfroh nochmal mein Werk an. Ich  laufe ins Treppenhaus, stelle die Box und daneben mein Handy auf den Treppen ab. Ich lasse die Musik starten und drehe auf die lauteste Lautstärke auf. „Viel Spaß damit, Arschloch!" Rufe ich herunter und klatsche von innen meine Haustüre zu. Während ich auf die Pizza warte putze die Wohnung. Als das getan war, laufe ich mit den Kartons aus der Wohnung heraus und suche den großen Papiermüll. Plötzlich höre ich wie eine Tür aufgeschlagen wird und diese gegen die Flurwand aufkommt. Ohne mich umzudrehen und mit einem Grinsen auf den Lippen, laufe ich links um die Ecke und entsorge meinen Müll in den Tonnen unseres Häuserblocks. Ich höre seine schweren Schritte und wie er aus dem Hauseingang stampft. „Ey sag mal bist du krank?" Wirft er mir direkt an den Kopf. Ich drehe mich nun ganz zu ihm herum, lächle zuckersüß und frage „Dir erstmal wie es aussieht einen guten Morgen, hallo" da ich ihn offensichtlich beim schlafen gestört habe, da er sehr verschlafen aussieht und seine Locken in einem Wirrwarr von seinem Kopf abstehen. „Was für guten Morgen? Mach die Musik aus, bevor ich ausraste!". „Welche Musik denn?" Frage ich ihn dümmlich, „Geht es dir gut, du sieht gar nicht gut aus?" setze ich nochmal einen drauf. Jetzt sieht er wirklich verärgert aus und ich kann gar nicht in Worte fassen wie sehr mich das zufrieden stellt. „Ich gebe dir 5 Sekunden und dann hast du den Scheiss ausgemacht, WER HÖRT BITTE GIBS MIR DOGGY?!" Schreit er jetzt aufgebracht. Im Hintergrund läuft genau dieses Lied und ich sage absichtlich nichts, da ich merke wie er die Musik nicht unterdrücken kann und sein rechtes Augenlid schon beginnt zu zucken. „Ach das meinst du" sage ich gedehnt und lasse ihn wieder warten, während ich mich umdrehe und in aller Seelenruhe die ganzen Kartons mit der Hand zerkleinere und verwerfe. „Sag mal, ich frage dich nochmal, bist du eigentlich schwer von Begriff?" Und dann höre ich nur wie er auf einer mir fremden Sprache flucht. Ich muss mir mein Grinsen verkneifen, da er nun damit beginnt sich die Haare zu raufen. Ich lasse das unkommentiert, das Lied wechselt uns es läut nun Ayliva mit dem Songtitel "In deinen Armen". Während ich ihn ausblende singe ich irgendwann absichtlich leise mit und singe gedehnt „Es wird nie mehr wie es war, denn sie liegt in deinen Armen". Im Augenwinkel sehe ich wie er sich eine Zigarette an gemacht hat und jetzt fassungslos den Kopf schüttelt. „Gova, willst du mich eigentlich komplett verarschen? Ganz Essen soll in mich rein, wenn das jetzt wirklich echt ist!". „Ohje, ganz Essen also? Wird das nicht etwas weh tun?" Ich blicke ihm fest in die Augen während ich das frage und lächle immer noch süß vor mich hin. Er wollte gerade einen weiteren Zug nehmen, fängt aber plötzlich an laut zu husten. Während er kurz vor lauter husten fast keine Luft mehr bekommt, lehne  ich mich an die Papiertonne, verschränke meine Arme und grinse ihn weiterhin an. Er fängt sich wieder und blickt mich fassungslos an „Du bist doch nicht mehr normal, was ist dein Problem, sag mir das mal!". „Ich weiß ehrlich nicht wovon du redest" ich zucke mit den Schultern und laufe an ihm vorbei. „Ich glaube wirklich, dass du schlafen solltest, armer Skandal, du siehst überhaupt nicht gut aus. Leg dich erstmal hin, wir können uns auch ein ander mal nett unterhalten" während ich das sage kann ich mein Lachen kaum unterdrücken, schaffe es aber zum Glück noch. Im bin nun im Hauseingang angekommen, drehe mich um und winke ihm zum Abschied nochmal. „Habe ich dir etwa die Sprache verschlagen?" Frage ich ihn, da er nur breitbeinig und mit ausgestreckten Armen vor mir steht. Sein Mund steht etwas offen und ich füge hinzu „Außerdem, wer hätte gedacht, dass DER Skandal ein One Piece Schlafanzug trägt?" während ich das sage, scanne ich ihn ebenso von unten bis oben ab, wie er mich, als ich im Pyjama vor ihm stand. Die Tatsache, dass er selbst darin gut aussieht versuche ich zu unterdrücken. „Hat dir eigentlich jemals jemand gesagt, dass du große Ähnlichkeit mit Lysop hast? Ihr habt 1zu1 die gleiche Nase" Ich glaube entweder platzt er gleich oder er hat wirklich sprechen verlernt. Er ist nur noch imstande dazu den Kopf zu schütteln und sich schockiert an die Nase zu fassen. Bevor er mir antworten kann drehe ich mich um und laufe schnell die Treppen hoch. Ich höre nur noch wie er mir irgendetwas hinterher ruft, das sich wieder wie eine Beleidigung angehört hat, „Kahba" oder so was ähnliches. Ich laufe an der JBL Box vorbei, diese wird schön weiter laufen, denke ich mir. In meiner Wohnung angekommen sage ich nur noch vor mich hin „Schritt 1 ist erledigt." und kann nun mein Lachen nicht mehr verkneifen, als ich an meine zweite geplante Aktion denke. Mit einem knurrenden Magen schmeiße mich auf die Couch. Ich schließe meine Augen und warte befriedigt auf meine Pizza.

Skandal-Marokkanische Minze Where stories live. Discover now