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Nessaja hatte uns in einen Teil des Gartens gebracht, dessen Konturen ich nur erahnen konnte, da alles von einer dicken Schneeschicht überzogen war. Aber ich war mir sicher, dass er im Sommer gut in die raue Schönheit der Berge um uns passte. Die Bäume waren dick und alt, streckte ihre kahlen Äste majestätisch in den Himmel und spendeten im Sommer sicherlich genügend Schatten, um stundenlang darunter zu sitzen. Sie erinnerten mich an die Bäume am Rand von der Stadt in der wir aufgewachsen waren. Nessaja und ich hatten dutzende Sommer dort verbracht. Hatten bis zur Dämmerung im Gras gelegen oder waren auf die Bäume geklettert um von dort aus kichernd die anderen Kinder zu beobachten. Juniper und Florence waren anfangs noch zu jung gewesen, um mit uns zu spielen, also waren es lange nur Nessaja und ich. Nur wir zwei gegen den Rest der Welt. Nur wir zwei... bis sie aus meinem Leben gerissen wurde. 

"Das hier ist mein Lieblingsplatz, im Sommer erinnert er mich immer an den Baum außerhalb von Venoja, unter dem wir als Kinder gespielt haben", sagte Nessaja und druchbrach damit die Stille, die über dem Garten lag.

Mein Herz wurde warm.

"Daran musste ich auch gerade denken", gab ich zu.

Wir teilten noch immer die selben Erinnerungen. Und auch, wenn wir uns verändert hatten, steckten in uns noch immer irgendwo die beiden Mädchen, die wir einmal gewesen waren. Wir waren noch immer Schwester, würden es immer sein und ich brannte innerlich darauf sie wieder kennenzulernen. Herauszufinden, zu welchem Menschen sie geworden war.

"Ich... ich habe oft an euch gedacht Rue", sagte sie schließlich.

Ich schluckte. Nicht genug, um uns die Wahrheit zu sagen. Um mir die Wahrheit zu sagen. Aber ich verdrängte den Gedanken so schnell wie er gekommen war. Ich wusste, warum sie das nicht getan hätte. Weil ich sonst Arden begegnet wäre. Und das hatte Arden um jeden Preis vermeiden wollen. Es war nicht ihre Schuld, nicht einmal ihre Idee. Sie hatte ihre Seelengefährtin gefunden, hatte es verdient glücklich zu sein. Genauso wie ich es verdient hatte glücklich zu sein. Und ich würde mir dieses Glück nehmen. Würde es nicht noch einmal entgleiten lassen, nur weil die Vergangenheit mich in ihrem Griff halten wollte.

"Es tut mir leid, du kannst dir nicht vorstellen wie sehr es mich innerlich zerissen hat", fuhr sie fort als ich nichts erwiderte, zu gefangen war ich in meinen Gedanken.

"Ich kenne diese Zerissenheit. Ich habe meinen Seelengefährten gehasst, weil ich dachte er wäre für deinen Tod verantwortlich", sagte ich. Die Worte kamen zu glatt, zu emotionslos und ich sah das Bedauern in Nessajas Blick.

"Ich weiß. Es war nicht gerecht, dass du all das ertragen musstest, während ich mit Liyah zusammen sein konnte", antwortete sie und biss sich auf ihre Unterlippe. Ich erkannte diese Geste von mir. Tat es auch oft, wenn ich unsicher war.

"Für dich war es mit Sicherheit ebenso schwer. Du musst dich sehr allein gefühlt haben. Vor allem wenn Aaliyah unterwegs war und du nicht mitkonntest."

Nessaja sah mich dankbar an.

"Die Anfangszeit war nicht einfach. Wir konnten uns ja nicht einmal voneinander verabschieden und ich hatte lange Zeit nur Liyah. Arden hat mich auch aufgenommen, aber Arden war... ist verschlossener. Er zieht sich oft zurück, verbringt viel Zeit allein. Ich hatte nie den Eindruck dass er mich nicht mag, aber er hat mich lange Zeit nur als die Schwester seiner Seelengefährtin gesehen. Und erst danach als Die Seelengefährtin seiner Schwester. Und ob er mich als Vertraute sieht, weiß ich immer noch nicht." Sie stockte. "Er war immer freundlich und höflich, aber ich glaube, dass er in mir vor allem dich gesehen hat. Das, was er haben könnte. Und ich glaube das hat ihm so viel Angst gemacht, dass er sich emotional von mir distanziert hat. Mehr noch als von den Anderen."

Es versetze mir einen Stich zu hören, dass Arden sich so von den anderen abzugrenzen schien.

"Ich habe ein ähnliches Gefühl mit Aaliyah", gab ich zu. "Ich verstehe, dass sie Angst hat, dass ich euch verraten könnte. Dass sie mich hasst, weil ich beinah ihren Bruder getötet hätte. Ich verstehe dieses Gefühl. Mehr als jede andere. Ich habe ihren Bruder gehasst, weil ich dachte er hätte dich getötet."

"Aaliyah hat sehr viel durchgemacht. Das ist keine Entschuldigung, ich weiß, aber es erleichtert mich, dass du verstehst, warum sie so ist, wie sie ist. Ich weiß, es ist schwer vorstellbar, aber ich versichere dir, dass ihr beiden euch ähnlicher seid, als du jetzt vielleicht denkst. Gib ihr Zeit, gib dir selbst Zeit und du wirst sehen, dass ihr euch bestens verstehen werdet."

Zeit. Als hätten wir genug davon. Als hätten wir genug Zeit, um uns kennenzulernen. Als würde nicht ein Krieg mit Cardum drohen, wenn Arden seinen Thron behalten wollte.

"Denkst du, dass wir diese Zeit haben werden?", fragte ich nachdenklich.

"Ich hoffe es. Ich bin mir sicher, dass wir sie verdient haben. Und ich bin so froh das alles endlich mit dir teilen zu können. Die ersten Jahre waren wirklich manchmal einsam. Vor allem wenn Aaliyah unterwegs war, ich", sie stockte.

"Ich habe nicht wirklich die Schatten bekommen die sie hat. Ich weiß, das ist nicht ungewöhnlich. Magie findet ihren Weg auf ihre Weise. Aber ich bin ehrlich, keine Magie zu haben, wenn das bedeutet, dass ich nicht mit meiner Seelengefährtin zusammen gesehen werden kann, ist frustrierend."

"Du hast nichts von ihren Schatten bekommen?", fragte ich vorsichtig nach, da  Nessaja sichtlich mit sich zu kämpfen hatte.

"Nein. Wir haben die Verbindung anerkannt, haben sie segnen lassen, aber ich habe keine Kräfte. Dabei wäre es wichtig gewesen, solange wir nicht offiziell zusammen sein können."

Ich verstand ihren Schmerz. Verstand, dass es schwer sein musste, wochenlang allein in diesem Palast zu hocken, während die eigene Seelengefährtin irgendwo war. Allein mit den Gedanken was passieren könnte, während sie weg war.

Aber wenn Nessaja keine Schatten hatte, würde es bei mir und Arden genauso sein? Würde es einen Unterschied machen, wenn Arden und ich einander anerkannten? Oder hatte ich meine Schatten vielleicht nur wegen Arden? War unsere Verbindung stark genug, dass sie sich bei mir schon gezeigt hatten, noch bevor ich wusste wer er war? War das der Grund, warum meine Eltern gewollt hatten, dass ich sie zurückhielt? Nicht nur, weil sie gefährlich werden könnten, weil die Rebellen Angst vor diesen Kräften hatten, sondern auch, weil sie von Arden waren. Weil die Ähnlichkeit nicht zufällig war und so eventuell jemand herausgefunden hätte, wer ich für Arden war.

Weil alles umsonst gewesen wäre, hätte jemand herausgefunden, dass ich die Schatten ihren Königs hatte. Weil jemand Rückschlüsse gezogen hätte, wer ich war und jeglicher Versuch mich zu schützen damit hinfällig geworden wäre.

Ein neuer Gedanke erfasste mich. Erschütterte mich bis in mein innerstes.

Die Kräfte die ich so selbstverständlich als meine eigenen angenommen hatte, waren Ardens. Sie waren nur mir, weil ich seine Seelengefährtin war. Sie waren nicht mir.

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Ok ok ok. Wir wissen woher Ruelles Kräfte kommen.

Aber ist euch etwas aufgefallen? Aufmerksamen Lesern aus Teil 1 eventuell? So aus den ersten... 3? Kapiteln oder so?



Fated GamesWhere stories live. Discover now