2. Bonbon

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Wie immer sie hieß

Hier stehe ich also nun, mein Körper wippt mit der Musik hin und her, ab und zu trinke ich aus der Bierflasche in meiner Hand, aber so richtig Spaß habe ich nicht. Meine Freunde hatten mich mal wieder dazu gezwungen, auf eines dieser kostenlosen Freiluftkonzerte zu gehen, die im Sommer öfters mal in unserer Stadt sind.

Timo ist – wie immer – derjenige, der komplett auf alle Arten der Musik abgeht.

Ben ist an einem Blondchen dran, wahrscheinlich würde er ihr später die Taxifahrt ausgeben und die beiden würden – ach egal, lassen wir das.

Felix unterhält sich – wenn man es so nennen kann bei der Lautstärke – mit anderen Freunden, die er hier getroffen hatte.

Und dann bin da noch ich – Simon, der sich jedes Mal aufs Neue von den drei anderen überreden lässt, diese Konzerte zu besuchen. Ich weiß wie so oft nicht einmal, wie die Band heißt, die direkt vor meiner Nase spielt, bewege einfach meinen Körper hin und her und versuche, möglichst nicht aufzufallen.

Ich schiebe meine Brille zurück auf meine Nase und trinke noch einen Schluck. Um mich herum höre ich, wie sich Menschen gegenseitig Dinge wie „Die sind echt gut!", „Oh mein Gott, hat der schon wieder 'ne Neue?!" und „Ich hätte echt 'ne Aspirin mitnehmen sollen" ins Ohr brüllen, aber ich stehe nur hier und versuche mich möglichst bedeckt zu halten.

„Sexy Frise!" – schon wieder eine der ins-Ohr-Brüllerinnen. Ich rolle mit den Augen und beobachte den Drummer, der gerade offensichtlich Pause hat und sich jede Menge Wasser in den Rachen und über das Gesicht laufen lässt.

„Hey, ich hab' dich gemeint!", ich werde angerempelt. Und zwar nicht nur im „ich-rempele-aus-Versehen-jemanden-auf-einem-Konzert-an"-Style, sondern absichtlich. Was zur...? Ich drehe mich also entnervt um: „Alter, leck mich!" Noch während ich das sage, wandert meine rechte Augenbraue nach oben und ich betrachte ein braunhaariges, recht kleines Mädchen.

„Ich war das", sagt sie, „sexy Frise!"

Ich mustere sie von oben bis unten, was ihr anscheinend nicht entgeht, kneife dann meine Augen zusammen und schüttele den Kopf. „Kennen wir uns?", frage ich, schließlich darf meine pessimistisch-misstrauische Seite nicht zu kurz kommen.

„Nö. Ich bin", sie streckt mir ihre Hand entgegen, „Pippa".

Zögernd ergreife ich sie und schüttele langsam, während ich sage: „Äh... Ich bin Simon."

Suchend blicke ich mich nach meinen Kollegen um, erhasche Bens Blick und sehe ihn flehend an. Der allerdings zwinkert mir nur zu und wendet sich einer Brünette zu. War sie nicht vorhin noch blond gewesen? Wie viel Geld für Taxifahrten will er eigentlich ausgeben?

Pita oder wie auch immer sie sich nennt – halt stopp, ist Pita nicht ein Brot? Also jedenfalls das Mädchen, das meine Frisur gelobt hat, steht erwartungsvoll vor mir. Was will sie denn noch? Die Nummer von meinem Friseur? Oder etwa meine Nummer?

Wieder streckt sie ihre Hand aus: „Na komm. Du hast keinen Spaß hier, oder?"

Widerwillig nehme ich ihre Hand und folge ihr – ebenfalls widerwillig – wo auch immer sie hin will. Dabei kommen wir bei Felix vorbei, der mir mit einem Nicken zu verstehen gab, dass er versteht, dass ich wohl heute derjenige sein werde, der mit dem Taxi in unsere WG – bestehend aus mir und ihm – kommen wird.

Aber so jemand bin ich nicht, klar ich hatte auch schon eine Freundin gehabt, aber ich gehöre nicht dem Ben-Clan an, der jede flachlegt, die nicht bis drei zählen kann und dann noch immer dumm herum steht, anstatt sich auf den sprichwörtlichen Baum zu retten. Ich bin eher im Harry-Potter-Clan: Mädchen laufen immer im Rudel – wie soll man da bitte eine alleine ansprechen? Na gut, aber jetzt wo Fräulein Ich-habe-ihren-Namen-nach-den-ersten-fünf-Sekunden-vergessen mich quasi dazu zwingt, mit ihr mitzukommen, scheint mir ein Ausweg nicht in Sicht.

Ich könnte einfach ihre Hand loslassen und mich nach dem Motto „Renn so schnell du kannst" richten, aber ehrlich mal, das ist mir in diesem Augenblick nicht gerade auf dem Bildschirm.

Also lasse ich mich von ihr mitziehen, bis wir hinter einem Gebäude halten, das ich mehr oder weniger eindeutig als das Klohäuschen identifiziere. Hier hört man nur noch den Bass und ab und zu huscht das Licht eines Scheinwerfers hinüber.

„Wie heißt du noch mal?", frage ich sie, ohne über irgendwelche zickig-aggressiven Folgen nachzudenken.

„Clara", sagt sie. Ich bin mir sicher, vorhin war es noch etwas mit mehr P's gewesen. Naja, mein größeres Problem ist wohl, ob sie eine potenzielle Massenmörderin ist oder was auch immer...

„Du hast nicht auf mein Kompliment für deine Frisur geantwortet. Wie oft willst du es noch hören?", herausfordernd verschränkt sie ihre Arme vor der Brust. Ich und mein leicht angetrunkener Zustand versuchen die Wörter auf ihrem pinken T-Shirt zu lesen – was mir nicht gelingt, das sie ja ihre Arme davor verschränkt und es wahrscheinlich nach zwanzig Sekunden Starren so wirkt, als glotze ich ihr auf den Busen.

„Simon!", zischt sie, „ich hab' gesagt, du sollst etwas zu meinem Kompliment sagen!"

Hat sie Minderwertigkeitskomplexe?

„Ähm... ja, hab sie mir letzte Woche schneiden lassen. Zufrieden?"

Sie rollt mit den Augen: „Typisch!", dann lacht sie. Da muss ich dann doch grinsen, ihr Lachen ist wirklich schön.

„Also um das nochmal klarzustellen: Ich bin mies darin, mir Namen zu merken und ich hab... ähm... das ein oder andere Bier intus. Und alles, was mir meine Buddies noch eingeflößt haben. Wie hast du nochmal geheißen?"

„Sina. Mein Name ist Sina."

Jetzt ist es eindeutig. Ist sie adelig oder wie...? Vorhin, das war ganz sicher etwas mit P gewesen. Und das andere... K? Karla?

„Ist das dein Ernst? Du weißt, dass du drei verschiedene Namen hast?" Jetzt grinst sie und ich kann trotz des wenigen Lichts ein paar Sommersprossen erkennen. Geht das überhaupt? Können braunhaarige Mädchen Sommersprossen haben?

„Weißt du... ich dachte du bist betrunken genug, um es nicht zu merken... Aber herzlichen Glückwunsch, du bist der erste, dem es auffällt!"

Jetzt verwirrt sie mich. Der erste...? „Was heißt das?"

„Ich finde es witzig, wenn ich Namen durcheinander bringe", sagt sie nur, lehnt sich dann an die Wand und lässt sich daran hinab sinken. „Bekomm' ich 'nen Schluck?", fragt sie mit Blick auf die Flasche in meiner Hand. Zuerst gucke ich etwas verwirrt, dann verstehe ich was sie meint, reiche ihr die Flasche und setzte mich zu ihr.

„Also", setze ich an, „wie heißt du wirklich?"

Himbeerbonbons lügen nichtWhere stories live. Discover now