4. Bonbon

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Drachenmessungen

Lavya, Nichte der Königs von Draconium stand nun also vor der Wahl: sie musste sich einem der ihr Vorgeführten annehmen und diesen bis zu seiner vollständigen Unterwerfung trainieren. Sie überlegte, ob es sinnvoll wäre, ein weibliches Exemplar zu wählen, laut Tarilo, ihrem Verlobten, waren die weiblichen schneller in der Jagd. Doch die männlichen waren – wie allen im Land bekannt war – viel unterwürfiger und würden sich besser erziehen lassen. Sie erwartete allerdings, von einem Weibchen eine innigere Beziehung aufbauen zu können. Dies hing jedoch lediglich von dem Tier an sich ab. Vor ihr befanden sich vierzehn junge Drachen – sieben Männchen und sieben Weibchen. Sie alle waren in Käfigen gefangen gehalten und vor ihrem Besuch hatten die Angestellten ihres Onkels ein spezielles Mittel in das Futter des Wildes, welches die Drachen sich fingen, gemischt, damit es den Feuerreiz unterdrückte.

Lavya hatte sich schon drei besonders hübsche Exemplare herausgesucht, war sich jedoch unschlüssig, ob sie nicht doch lieber den wilden, ungestümen und trotzallem liebenswürdigen aber unglaublich unschön anzusehenden Braunäugigen nehmen sollte. Ausgeschlossen hatte sie auf jeden Fall mehrere etwas verschlafene Tiere und eines, das zwar wunderschön war – grüne Augen, herrlich hellblaue Schuppen und eine Spannweite von stolzen elf Metern – aber er schien einfach nicht ihren Vorstellungen zu entsprechen.

Sie wusste, dass ihre Cousine dritten Grades, welche sich schon ungeduldig im Palast die Kleider anlegen ließ, sich ganz sicherlich diesen Drachen aussuchen würde.

Lavya ging noch einmal ihre vier Favoriten im Kopfe durch.

Den Braunäugigen – er war nicht sonderlich hübsch, aber schien unglaublich wissbegierig und lernfähig. Außerdem besaß er sehr gute Maße, sie fühlte sich wohl auf seinem Rücken. Und sie wusste, würde sie ihn nicht nehmen, würde er höchstwahrscheinlich ausgewildert werden, da auch ihre restlichen Verwandten, die nun an der Zeit waren, sich einen Drachen auszusuchen, ihn sicherlich nicht nehmen würden. Aber er schien nicht geeignet für die Auswilderung...

Dann gab es natürlich noch die wunderschöne Dame, goldene und silberne Schuppen, etwas naiv vielleicht und Lavyas Meinung einen Ticken zu jung für die Vorführung. Aber Tarilo hatte gesagt, nächstes Mal, wenn eine Vorführung sein würde – also frühestens in vier Jahren, wenn die bisher jüngsten ihrer weitläufigen Familie alt genug sein würden – wird die Silber-goldene zu alt sein und auch sie stünde der Auswilderung bevor. Lavya wunderte sich, dass nicht einer ihrer Verwandten vor ihr die Silber-goldene ausgewählt hatte. Etwas misstrauisch wurde Lavya von der Drachendame gemustert.

Der nächste, schon fast etwas alte Drache – schließlich war er schon sechs und sollte Lavya das gesamte Leben dienen – hatte hellgraue, geradezu durchsichtige Augen und eine Spannweite von gut neun Metern. Doch was sie besonders faszinierte waren seine Klauen. Seine gesamte Schuppenpartie war ein dunkles blau, doch seine Klauen waren grau wie seine Augen und die Krallen fast eine dreiviertel Elle lang. Das was sie dort vor sich sah, war genauso erschreckend, wie erforschungswürdig. Soweit sie wusste, hatte keines seiner Elternteile derartig lange Krallen.

Der letzte – noch ein männlicher Drache – war das typische Alphamännchen. Doch genau dies gefiel ihr, er würde sich ganz wunderbar in der Herde als Anführer machen. Seine Ausstrahlung, wie er etwas dümmlich seine innen schwarzen Schwingen aufspannte und sie anfauchte. Dieses Exemplar und die Silber-goldene Dame würden einmal ganz wunderschöne Kinder hervorbringen, das spürte sie. Doch wenn sie sich nur für einen der beiden entscheiden konnte... Wer garantierte ihr die Existenz des anderen? Sie wünschte, sie könnte sie alle vier mitnehmen. Doch dies war nicht gewünscht. Ein Drache. Das Alphamännchen hatte einen berechnenden Blick in seinen dunkelroten Augen und auch seine Zacken auf dem Rücken waren dunkelrot.

Himbeerbonbons lügen nichtWhere stories live. Discover now