Kapitel 10

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Das leise Klopfen an der Zimmertür zerrt mich aus meinen Träumen. Lange habe ich nicht so gut träumen können. Noch nie, um ehrlich zu sein. Höchstens, wenn ich in den Armen meiner Mutter lag und ich noch nicht wusste, warum wir zwischen den Einkaufswagen vor dem Supermarkt schlafen mussten, weil ich noch viel zu klein war, um dies zu verstehen.

"Guten Morgen. Ich habe ihnen auf Wunsch von Mr. Hamilton ein heißes Bad eingelassen." Rosas schwarze Haare sind in einem strengen Zopf gebunden. Wenn ich nicht genauer hinsehen würde, könnte man auch behaupten, dass es eine schwarze Badekappe ist. Die Teile kenne ich noch von einem alten Freund meiner Familie. Er war genauso obdachlos, wie wir. Wie ich. "Das Badezimmer ist den Flur entlang, gleich auf der linken Seite und dann die erste Tür."

"Womit habe ich das verdient.", murmele ich in die weiche Bettdecke, die immer noch mein halbes Gesicht verdeckt. "Danke, Rosa.", sage ich und muss leise darüber grübeln, wie sie es schafft, so früh wach zu sein und dann auch noch so makellos auszusehen.

"Das Frühstück wartet dann, sobald sie fertig sind, im Esszimmer."

"Okay."

Nickend verschwindet sie aus der Tür und ich bleibe alleine in diesem riesigen, in weiß erstrahlenden Zimmer zurück.

Die Sonnenstrahlen erwärmen meine frei auf dem Bettlaken liegenden Zehen, die gerade noch so unter der Decke herausragen. Ich kam mir in der Nacht wie eine Prinzessin vor. Natürlich habe auch ich immer davon geträumt, wenn auch als kleines Kind, einmal ein prächtiges Kleid zu tragen und jeden Wunsch von den Lippen abgelesen zu bekommen. Aber schnell wurde mir bewusst, dass diese Welt für mich nicht in Reichweite ist. Und ich habe diesen Traum, wie viele andere, aufgegeben, bevor es zu spät war.

Mit einem Schwung fliegt die Bettdecke auf die andere Seite des Bettes und enthüllt meine viel zu dünnen und verschrammten Beine. Die mit blauen Flecken übersäte Haut ist zudem blass und wirkt leblos. Selbst als die Sonne ihre Finger im Spiel hat, macht es das Bild nicht schöner. Und auch der Geruch ist kaum zu ertragen. Es ist lange her, seitdem ich mich das letzte Mal geduscht habe. Noch nicht einmal für eine Katzenwäsche, hat es gereicht.

Ich richte mich auf und lasse mir den Ausblick nicht nehmen. Das neue Jahr, scheint einen guten Start hinzulegen. Die Sonne, die ich so sehr vermisst habe, zeigt sich nun endlich wieder in ihrer vollen Pracht, und ich habe die Chance auf eine kostenfreie Dusche und ein Frühstück von Rosa.

Auch wenn ich es nicht gerne zugeben mag, ich kann meine Vorfreude einfach nicht verbergen und bewege mich mit einem breiten Grinsen auf die Tür zum Flur zu. Aber als ich dann im Flur stehe, kann ich meinen Augen kaum trauen. Einen Teil der Fensterfront konnte ich ja bereits gestern Abend sehen, aber nicht den riesigen Kronenleuchter, die Bar aus Glas oder den weißen Teppich aus Fell, welcher sich durch den ganzen Raum erstreckt. Und dies soll nur der Flur sein, oder irre ich mich?

"Guten Morgen.", höre ich eine verschlafene Stimme sagen. "Rosa hat ihnen ihr Bad eingelassen."

"Guten Morgen, Mr. Hamilton. Ist dies hier etwa der Flur?" Ich habe immer noch nicht wirklich kapiert, von wo seine Stimme denn genau herkommt.

Es folgt ein leises Schmunzeln, und ich sehe mich abermals im Raum nach ihm um. Nachdem ich ein paar Schritte der Stimme gefolgt bin, sehe ich ihn, in der gleichen Jogginghose und demselben weißen T-Shirt wie gestern, hinter einer der Säulen hervortreten.

"Das ist das Wohnzimmer." Mit ruhigen, aber großen Schritten kommt er auf mich zu. Aber ich bin froh, als er einige Meter von mir entfernt, verharrt und sich außerhalb des Radius meines Körpergeruches aufhält. "Ich kenne ihre Vorstellungen eines Flures leider nicht, aber denen kann ich wohl nicht gerecht werden." Sein direkter Sarkasmus lässt mich erröten.

"Nein. Also...das ist...sehr schön hier. Und so--g-groß. Ich," weiß nicht, was ich sagen soll. Er nimmt mir die Worte aus dem Mund und verdreht sie, wie er sie hören will. "Wo ist das Badezimmer?"

Aber auf Hamiltons Stirn bilden sich nur tiefe Falten. "Hat Ihnen Rosa denn nicht erklärt, wo das Badezimmer ist?" Oh nein.

"D-Doch, aber ich...ich denke, ich muss es wohl bei all dem hier vergessen haben." Den Flur entlang, die erste Tür links.

"Es steht auf dem Schild an der Tür."

"Danke." Sein ernster Blick mustert mich einige Sekunden lang, bevor er beschließt, sich mir abzuwenden und der Fensterfront zu widmen. Mal wieder die Macht symbolisieren...denke ich nur und verdrehe meine Augen. Was ist daran so falsch, sich für Kleinigkeiten zu bedanken?

Nach nur wenigen Schritten erreiche ich das Badezimmer. Zum Glück habe ich mir Rosas Beschreibung gemerkt, denn sonst wäre ich aufgeschmissen, da ich den Buchstabensalat auf dem Schild keinem Wort zuordnen kann und in jedem beliebigen Zimmer hätte landen können.

Und auch das Bad nimmt mir den Atem. Wie muss es sich wohl anfühlen, inmitten diesen Paradieses jeden Morgen aufzuwachen?

Die dunklen Fliesen stehen im Kontrast zu den goldenen Verzierungen der Badewanne. Und auch der Spiegel und jegliche andere Möbel besitzen diese funkelnden, goldenen Elemente, die mich an die Sterne im Nachthimmel erinnern. Die weißen Blüten auf der Wasseroberfläche, lassen sich auch von meinen neugierigen Fingern nicht aus der Ruhe bringen. Das Wasser ist angenehm warm.

Ich schlüpfe aus dem fremden, dünnen Stoff und lege ihn sauber und ordentlich auf den Rand des Waschbeckens. Dann entdecke ich zu meinem Unglück den langen Spiegel an einer bisher noch unentdeckten Wand des Raumes und ich würde am liebsten wieder wegsehen, aber kann es einfach nicht. Die Rippenknochen ragen unter meiner Haut hervor, genau wie mein Schlüsselbein. Der ganze Körper vor meinen Augen ist ein einziger Knochenhaufen, umzogen von einer bleichen Haut und unzählbaren Schrammen.

Eines der beiden Handtücher, die mir Rosa bereitgelegt hat, muss groß genug sein, um ihn abzudecken. Denn dieses Elend möchte ich mir nicht weiter anschauen müssen.

Als ich mir dann sicher bin, dass ich mir selber nicht mehr im Weg stehe, setze ich einen Fuß in das angenehm warme Wasser mit weißen Rosenblüten. Erst jetzt rieche ich diesen himmlischen Duft, als das Wasser meinen Körper umschließt und verschwinden lässt. An einigen Stellen brennt es. Wahrscheinlich habe ich immer noch einige offene Wunden von gestern.

Meine zerzausten Haare reichen fast bis zur Wasseroberfläche. Ich möchte sie jedoch auch waschen und halte für einen kurzen Moment den Kopf unter Wasser. Die Stille umgibt mich und ich bin ganz für mich alleine.

Und solange ich es noch aushalte, werde ich hier auch erst einmal bleiben.


Hier könnt ihr euch die Playlist zu Million Dollars Between Us anhören: https://play.spotify.com/user/11179958533/playlist/0oAnO6Kwnw3JkxJ1iHld8C





Million Dollars Between Us (Damien & Birdie - Trilogie #1)Where stories live. Discover now