Kapitel 12

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Ich bin kurz vor dem Verzweifeln. Mein Versuch, die Paare mit ähnlich aussehenden Schriften zu finden, scheitert miserabel, da immer welche über bleiben, die einfach nicht zueinander passen. So sitze ich nun da und weiß nicht, was ich mit den restlichen anfangen soll. Immerhin habe ich die Socken mit den selben Logos schon zusammengerollt, sodass ich Rosa zumindest etwas Arbeit abnehmen kann.

"Darf ich herein kommen?", höre ich eine sanfte Stimme fragen, und es folgt ein leises Klopfen von der anderen Seite der Tür.

"Einen Moment, Rosa.", antworte ich panisch und greife einfach die letzten Socken, die noch auf dem Bett liegen und rolle sie mit beliebigen anderen zusammen. Immerhin habe ich davon ein wenig Ahnung. Und die sind sowieso allesamt schwarz. Ich denke nicht, dass es Hamilton auffallen wird.

"Fertig.", rufe ich, nachdem auch der letzte Stoffball im Wäschekorb landet.

Rosa kommt mit kleinen Schritten auf mich zu. "Mr. Hamilton wird in einer Stunde zurück sein. Ich dachte mir, wir gehen lieber auf Nummer sicher und sind etwas früher mit der Wäsche fertig."

"Aber klar doch. Habe gerade erst die letzten beiden Paare gefunden.", lüge ich und nicke mit dem Kopf zum Korb, damit ich Rosa dabei nicht in die Augen schauen muss.

Vor Freude klatscht sie in die Hände und das breite Grinsen in ihrem Gesicht, ist die Belohnung für meine durchaus kompliziert vollendete Arbeit. Aber ich liebe es, Menschen mit dem, was ich habe, glücklich zu machen. Und wieder denke ich daran, wie Hamilton meinen Versuch, sich bei ihm zu bedanken, kalt abgelehnt hat.

"Magst du mir noch beim Einsortieren helfen?" Rosa macht mir deutlich, dass ich ihr in den Flur folgen soll.

"Aber natürlich."

Sie trägt einen kleineren Wäschekorb, als meinen, mit schwarzen Krawatten und ein oder zwei Schleifen, die ich Männer manchmal um den Hals hab tragen sehen. Während wir den Flur entlang gehen, fallen mir die viele Medaillen an den Wänden auf und ich schwebe in Gedanken, wofür sie stehen könnten. Wie es aussieht, müssen sie Hamilton auf jeden Fall viel bedeuten.

Wir gehen eine dunkle Treppe hinauf in einen weiteren Flur. Dort schmücken bewundernswerte Skulpturen und dezente Lichterspiele die Wände. Ich bin beeindruckt und eingeschüchtert zugleich, habe kaum Zeit, mich richtig umzuschauen.

"Wohin gehen wir?", frage ich Rosa neugierig.

"In Mr. Hamiltons Schlafzimmer. ", antwortet sie, bevor wir vor einer Doppeltür stehen bleiben. Diese Art von Tür kannte ich bisher nur aus Kaufhäusern, jedoch waren diese aus Glas und die hier scheint aus dunklem Holz oder einem ähnlichen Material zu sein. "Ich hoffe wirklich, Mr. Hamilton kommt nicht früher zurück."

"Wenn wir uns beeilen, wird er davon schon nichts mitbekommen.", versuche ich Rosa zu beruhigen.

Als Rosa die Tür öffnet, fällt mir beinahe die Kinnlade runter. Mit langsamen, ungeschickten Schritten und einem Blick, der nicht weiß, worauf er sich konzentrieren soll, betrete ich das Schlafzimmer des Anzugträgers.

"Wow, so groß habe ich es mir nicht vorgestellt." Ich meine, ich wusste, dass es groß sein würde, aber nicht so riesig und fast schon beängstigend.

"Es ist sein Reich. Hier verbringt er die meiste Zeit, wenn er denn Zuhause ist."

"Willst du mir damit sagen, dass er sein Appartement nur betritt, um zu schlafen?" Ich stelle den Wäschekorb auf den dunkelbraunen Teppich und bekomme auf einmal das Gefühl, dass ich ihn mit meinen weißen Tennissocken beschmutzen könnte. Es fühlt sich sowieso falsch an, in diesem großen Appartement Socken zu tragen. Bestimmt sind es doch nicht Hamiltons, der wohl nur schwarze Designerpaare trägt. Irgendwie vermisse ich meine blauen Stoffschuhe von Primark.

"Ja. Und zum Frühstücken. Manchmal auch an Feiertagen, wie zum Beispiel gestern." Ich wusste doch, dass ihm Silvester etwas bedeuten würde. Nun kann er mich nicht mehr vom Gegenteil überzeugen. Falls er es denn jemals versuchen wollen würde. "Mr. Hamilton hat viel zu tun. Meistens treibt er sich irgendwo in seiner Firma herum, führt wichtige Meetings oder ist auf Geschäftsreise. Es scheint auf jeden Fall ein sehr stressiges Leben zu sein." Ich schnaube leise bei Rosas Worten. Sie will mir doch nicht ernsthaft weismachen, dass Hamiltons Leben anstrengend ist. Anstrengender, als das mancher anderer.

"Ich schätze, wenn man die Möglichkeit hat, jeden Abend in sein Bett fallen zu können, ist das keine große Sache...-für ihn." Ich hätte zu gerne die Möglichkeit, mir nicht andauernd Sorgen zu machen, wo ich als nächstes Übernachten werde.

"Tut mir leid.", flüstert Rosa, die anscheinend meine Gedanken lesen kann. Aber ich zwinge nur ein kleines Lächeln auf die Lippen, welches ihr zeigen soll, dass es schon in Ordnung ist. Schließlich kann sie ja nichts dafür, dass sie gerade mit einer Obdachlosen über den Arbeitsalltag eines stinkreichen Geschäftsmannes reden muss.

Während Rosa die Krawatten auf kleine Haken der Rückwand des beachtlichen Schrankes hängt, nehme ich mir die Freiheit, mich ein wenig umzuschauen. Natürlich so unauffällig, wie möglich.

Die Decke ist Schwarz. Einige Dinge haben Hamilton und ich also doch gemeinsam. Wir fallen beide unter einem dunklen Himmel in das Reich der Träume. Außer, dass er es sehr offensichtlich viel wärmer hat, als ich.

"Oh nein! Birdie! Das war mir ja gar nicht aufgefallen..." Ich schrecke aus meinen Gedanken.

"Was ist denn?" Ich sehe zu Rosa, die mit entsetztem Gesichtsausdruck in den Wäschekorb mit den Socken schaut.

"Die Socken werden nicht einfach so zusammengerollt! Mr. Hamilton hat extra Fächer, in denen sie paarweise und zusammengelegt einsortiert werden." Ich runzle meine Stirn und verstehe die Welt voller verwirrender Sätze nicht mehr.

"Das wusste ich nicht." Ich beuge mich zu Rosa runter und helfe ihr beim Außeinandernehmen der schwarzen Socken.

"Wie solltest du denn auch!" Aus irgendeinem Grund fühlen sich ihre Worte an, wie ein Schlag ins Gesicht. Ich kann ja nichts dafür, dass ich in den Dingen unerfahren bin. Ich wollte ja nur helfen.

"Ich hätte dich vorher darauf hinweisen müssen."

"Nein, ich hätte wohl erahnen müssen, dass Hamilton seine Socken nicht wie gewöhnlich aufbewahrt.", scherze ich, aber Rosa ist nicht zum Lachen zumute.

"Ich bekomme das hier auch alleine hin. Du gehst lieber zurück ins Gästezimmer, bevor Mr.Hamilton dich hier oben noch findet."

Auch wenn ich Rosa lieber dabei helfen würde, unsere Fehler zu begradigen, nicke ich und bewege mich auf die Doppeltür zu. Bevor ich den Raum jedoch verlasse, ruft mir Rosa noch ein kleines 'Dankeschön' nach, jedoch weiß ich nicht, ob ich grinsen oder weinen soll. Ironie oder purer Ernst?

   Naja, wenigstens jemand, der ein Danke über die Lippen bringt. Nicht, wie der Anzugträger. Ich kann es immer noch nicht fassen, wie mich jemand wie Hamilton bei sich aufnehmen konnte. Ihm ist das doch sicherlich unangenehm, oder etwa nicht?

Nachdem ich für eine kurze Weile bei den verschiedenen Medaillen verharre, beschließe ich schließlich, zur Fensterfront im Wohn-und Essbereich zu gehen, um mir den wunderschönen Ausblick zu gönnen, dem ich bisher viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt habe.

Und als ich veträumt über die Skyline von London sehe, erkenne ich in der Ferne die Säulen von Hamilton & Sons Inc. und obwohl es geregnet haben muss, sieht alles von hier oben bildhübsch aus.

Für einen winzigen Bruchteil einer Sekunde, bin ich in Gedanken einer von ihnen. Stelle mir vor, wie es wäre, wenn all dies mir gehöre, wenn ich wie er wäre...

 Ein Anzugträger.

Bis zu dem Punkt, an dem ich an meine Mutter denke.

Bis zu dem Punkt, an dem ich mich an die Obdachlosen-Spikes erinnere.


Million Dollars Between Us (Damien & Birdie - Trilogie #1)Where stories live. Discover now