Part 24

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Ich sitze auf dem kalten Badezimmerboden, im einzigen Raum in dem ich ungestört sein kann, den ich abschließen kann, in dem ich einfach mal alleine bin. Es sollte ungefähr kurz nach 22 Uhr sein und ich hab die Dusche aufgedreht damit sich erstens mein Bruder nicht wundert weshalb ich solange im Bad bin und zweitens damit ich gleich drunter steigen kann. Aber erst wenn ich hier fertig bin. Meine Selbstzweifel sind seit dem Chat mit Yuri gestiegen, auch wenn eigentlich alles in Ordnung scheint, er nicht mit mir Schluss macht und wir uns morgen sehen, ist da immer noch diese starke, unerklärliche Angst. Es ist lange her, als ich es das letzte mal gemacht hab um diesen schrecklichen Zustand der Angst zu entkommen, aber momentan sehe ich keinen anderen Ausweg. Ich nehme die Klinge in die Hand, was an sich nichts weiter als ein Rasierkopf ist welcher jedoch seinen Zweck erfüllt. So hab ich es jedenfalls immer im Heim gemacht, ich ziehe meine kurze Sweatpants nach oben, so dass mein Oberschenkel frei liegt. Anfänglich hab ich es immer an den Armen gemacht, aber das fiel immer direkt auf und da ich es nicht der Aufmerksamkeit sondern des Schmerzes und des Blutes wegen mache, mache ich es am Oberschenkel. Der einzige der es dort sieht ist Yuri, aber es ist mir momentan egal wenn er es sieht, ich will einfach nur eine Erlösung aus dieser Angst. Ich setzte also die Klinge an, drücke sie fest auf meine Haut und schneide mir diese schräg auf. Es dauert einen Moment bis das Blut zu sehen ist, wie ein Ventil trägt es meine Zweifel raus. Ich setzte noch ein drittes, viertes mal an bis ich fünf neben einander liegende, blutende Wunden habe. Ich betrachte sie und spüre nichts weiter als ein Taubheitsgefühl und Befriedigung. Benommen, wie auf Droge stehe ich auf, verstecke noch die Klinge in meiner Schminktasche und steige unter die Dusche. Das warme Wasser tut unglaublich gut, ich wasche meine Haare, Körper und die Wunden. Danach trockne ich mich ab, mache mich bettfertig und tapse wieder in mein Zimmer unter meine warme Bettdecke. Kurze Zeit später schlafe ich ein.

Ich werde an meiner Kehle gegen die Wand gedrückt, ich versuche nach Luft zu schnappen es gelingt mir aber nicht. Ich versuche zu weinen aber auch das scheint unmöglich, mit seiner freien Hand holt er aus und schlägt mich zu Boden. Er brüllt mich an, Wörter anscheinend aber ich verstehe kein Wort, er wird lauter und lauter ich blicke zu ihm hinauf, halte mir die Ohren zu, alles ist voller Blut und Schmutz. Er holt erneut aus und tritt mir in den Magen, mein kleiner Körper sollte dies eigentlich nicht aushalten, wieso tut er es dann? Ich versuche etwas zu sagen, ihn zu fragen was er von mir erwartet aber es ist als hätte ich einen riesigen Kloß im Hals, der es verhindert mich sprechen zu lassen. Es ist eine aussichtslose Situation, voller Schmerz und Angst, plötzlich gelingt es mir aufzustehen und mich fortzubewegen, langsam aber ich bewege mich. Er ist anscheinend verschwunden, aber ich spüre wie er mich verfolgt ich muss hier raus, ich muss zu Basti, wo ist Basti? Mein Bruder, mein Beschützer. Ich öffne eine Tür nach der anderen, aber es scheint keinen Ausgang zu geben. Plötzlich werde ich von der Seite zu Boden geworfen "Du bist nur ein Stück Dreck" Höre ich es plötzlich meinen Vater sagen "Nutzlos und dumm", ich spüre wie mir die Tränen die Wangen hinunter laufen, wenn ich es nun schaffe zu weinen, dann schaffe ich es wohl auch zu sprechen "Es tut mir leid" Wimmere ich "WAS?!" Schreit er mich nun aus voller Kehle an, immer und immer wieder. Dann holt er wieder aus und ich versuche zu schreien, es gelingt mir nur dieser Schrei fühlt sich an als würde er wo anders ankommen. Also schreie ich erneut, damit er aufhört. "Joyce!" Höre ich es meinen Namen rufen, wer ist das. Ich schreie weiter und höre erneut meinen Namen rufen.

Ich reiße meine Augen auf, ich bin schweiß gebadet und am heulen. Ich blicke in die besorgten Augen meines Bruders und muss erst einmal realisieren wo ich bin "Du hast geträumt okay? Beruhig dich!" Spricht es Basti aus, um mir meine Frage zu beantworten. Ich bin vollkommen aufgelöst und zittere vor Angst. "Wo warst du?" Frage ich und falle ihm in die Arme, ich fühle mich wieder wie eine 6 jährige. "Ich bin hier, die ganze Zeit" Beruhigt er mich "Komm, du musst erstmal richtig wach werden" Mit diesem Satz hebt er mich aus meinem Bett, als würde ich rein gar nichts wiegen und trägt mich in die Küche. Dort setzt er mich auf den Küchenstuhl, er füllt ein Glas mit Leitungswasser und reicht es mir. Dann setzt er sich mir gegenüber und fängt an sich eine Zigarette zu drehen "Warst du noch wach?" Frage ich es vorsichtig, da er nicht so aussieht als hätte ich ihn geweckt. Er nickt daraufhin, bleibt mit seinem Blick jedoch konzentriert auf seiner noch unfertigen Zigarette. '00.46' Zeigt die Backofenuhr an "Du musst doch morgen arbeiten" Stelle ich es fest, er lacht kurz "Ich konnte nicht schlafen, okay?" Äußert er sich und blickt mich kurz an. Ich nicke, da gibt's nicht viel drauf zu sagen. Ich beobachte wie er das Papier anleckt und eine perfekt gedrehte Zigarette zur Seite legt, dann greift er sich erneut einen Filter und fängt an eine zweite zu drehen. Wahrscheinlich bereitet er ein paar für morgen vor, mich hat es schon immer fasziniert wenn Menschen das so gut drauf haben. Wenn ich versuche eine zu drehen, wird es immer krumm und schief oder der Filter fällt raus. Übung macht bekanntlich den Meister, und Basti macht das schließlich schon seit über 10 Jahren. "Willst du drüber reden?" Kommt es plötzlich von ihm, sein ernst? Was besseres ist ihm wohl auch nicht eingefallen als diese Frage "Ich wüsste nicht worüber" Antworte ich ihm leise und zwirbel eine Haarsträhne zwischen meinen Fingern. Er leckt nun auch das Papier der zweiten Zigarette an und stellt diese somit fertig "Du hast länger keinen Alptraum mehr gehabt" Äußert er sich und ich zucke mit den Schultern "Woher willst du das denn wissen?" Frage ich und blicke ihn an. "Naja, länger keinen mehr der so schlimm war dass du rumgeschrien hast" Berichtigt er sich und hat damit auch recht. "Kann sein" Gebe ich es eher desinteressiert wieder, ich muss zugeben mir ist es ziemlich peinlich dass ich eben so einen Zusammenbruch hatte und ihm in die Arme gefallen bin wie ein hilfloses Kind. Genau das wollte ich eigentlich verhindern, ich will nicht als hilflos angesehen werden, man soll mich ernst nehmen. Er soll mich ernst nehmen! Plötzlich stößt er einen Seufzer aus, packt sich die eine Zigarette und streckt sie mir entgegen. Verwirrt schaue ich ihn an, soll das irgendeine Art Test sein? "Los, nimm schon!" Spricht er es schroff aus, zögernd nehme ich sie an. Er scheint sich selber dazu gezwungen haben müssen, denn wirklich glücklich ist er mit dieser Entscheidung nicht "Glaub bloß nicht dass ich das jetzt immer erlaube! Das ist heute nur 'ne Ausnahme, damit du runter kommst." Fügt er streng hinzu, ich nicke nur daraufhin dass ich verstanden habe. Was hat er vor? Er steckt sich die andere Kippe an und reicht mir daraufhin auch das Feuer. Es tat noch nie so gut den ersten Zug zu nehmen, es fühlt sich tatsächlich so an als würde ich langsam entspannen. Kein Wunder dass Menschen süchtig nach Nikotin sind. "Also, du hast von ihm geträumt?" Fragt er nun ziemlich sicher, und mit 'ihm' meint er natürlich unseren Vater. Ich nicke daraufhin "Was ist passiert?" Fragt er weiter, ich gucke ihn an, wirklich jetzt? "Kannst es dir nicht vorstellen?" Gebe ich ihm nun als vorwurfsvolle Gegenfrage, jetzt nickt er "Selber Traum wie früher?" Spricht er es aus "Selber Traum wie früher" Bestätige ich ihn, wir schweigen einen Moment und wissen beide nicht genau was wir dazu noch sagen sollen. "Hör zu Kleines.." Sagt er plötzlich, macht jedoch eine kurze Pause um sich die Worte zu recht zu legen "Es tut mir leid was passiert ist, gestern Abend. Ich weiß, ich darf dich eigentlich nicht schlagen und dass du dann durch drehst ist auch klar." Hat er sich gerade entschuldigt? Wow. Ich schaue ihn weiterhin erwartungsvoll an. "Aber.." Na toll, war ja klar dass da noch ein 'aber' kommt "Du weißt ganz genau wieso ich das gemacht hab. Das letzte was ich will ist dir weh tun, nur wenn du dich verhälst wie ein scheiß, verzogenes, kleines Mädchen dann wirst du auch so behandelt. Du bist nicht dumm Joyce, ich weiß das und du auch. Und wenn ich dir was sage, dann nur damit du keinen Blödsinn machst, nicht um dich zu quälen. Verstanden?" Beendet er seinen Satz "Ja, schon. Aber wieso musst du mir alles weg nehmen? Wieso vertraust du mir nicht einfach, du weißt doch dass man eigentlich normal mit mir reden kann." Gebe ich es verteidigend wieder und er lacht nur daraufhin "Hab ich gesehen wie sehr ich dir vertrauen kann, du bist aus deinem scheiß Fenster abgehauen Joyce! Dass du dir dabei nichts getan hast ist schon ein Wunder, was hast du dir dabei eigentlich gedacht!?" Fragt er mich nun doch etwas wütender und ich ziehe nervös an meiner Zigarette "Ich hab dir gesagt ich will zu dieser Party, ich hab die ganze Zeit gelernt und keinen Mist gebaut und du hast mich trotzdem nicht gehen lassen. Das war einfach unfair Basti!" Antworte ich ihm aufgebracht "Okay, ich weiß dass du dahin wolltest. Aber du kannst halt nicht immer das bekommen was du willst. Und wenn ich nein sage dann hast du das zu akzeptieren, du merkst selber was passiert wenn du es nicht tust oder?" Gibt er mir nun entgegen und ich gucke genervt zur Seite, er fängt an wieder zu nerven. "Leider ja" Nuschel ich daher und merke wie mir die Röte in die Wangen steigt "Wie lange willst du jetzt eigentlich mein Handy behalten?" Frage ich dann nach, da mir sehr viel an meinem Baby liegt und ich mir einen Schulalltag ohne es nicht vorstellen kann. "Weiß ich noch nicht, Süße" Sagt er es bestimmt und bläst den Zigarettenrauch aus. "Und meine Tür? Basti bitte, ich bin ein Mädchen ich brauche meine Privatsphäre und Kontakt zur Außenwelt!" Flehe ich nun regelrecht "Ach komm schon, gerade mal einen Tag ohne Tür und Handy und du heulst schon rum, vielleicht tut dir das sogar mal ganz gut." Stellt er lachend fest und erntet von mir nur einen bösen Blick, ich drücke meine Zigarette aus "Aber nicht all zu lange oder?" Hake ich nochmal nach "Mal sehen wie du dich in Zukunft benimmst" Spricht er es sicher aber dennoch mit einem leichten Lachen aus, ich könnte kotzen "Und.. Was ist mit Yuri?" Schneide ich das  Thema vorsichtig an und senke leicht meinen Blick, bevor ich ihn wieder auf ihn richte. Wie zu erwarten verfinstert sich sein Gesichtsausdruck auf diese Frage "Was soll mit dem sein?" Fragt er schroff und drückt nun auch seine Kippe aus, ich zucke mit den Schultern "Naja.." Fange ich an bis er mich jedoch unterbricht "Wenn du darauf hinaus willst ob du ihn wiedersehen darfst, ist es immer noch nein Joyce. Du weißt ganz genau warum und ich will da nichts mehr von dir hören, klar? Jetzt geh schlafen, du hast morgen Schule und wie gesagt das hier.." Er deutet mit seinem Blick auf den Aschenbecher in dem meine ausgedrückte Zigarette liegt "..war das erste und letzte Mal dass ich es dir erlaubt hab, wenn ich dich noch ein mal mit 'ner Kippe sehe, gibt's richtig Ärger." Spricht er es noch streng aus um seinen Worten Nachdruck zu verleihen "Jap" Sage ich während ich aufstehe um wieder in mein Bett zu gehen "Gute Nacht Basti" Hänge ich es noch dran "Schlaf gut, Kleines. Bis morgen" Ruft er mir noch hinter her, und tatsächlich glaube ich dass ich nun besser schlafen werde als eben. 

You Can't Always Get What You WantWhere stories live. Discover now