Part 41

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Ein letzter Blick in den Spiegel. Ich kann es immer noch nicht richtig glauben und bleibe skeptisch dass das erlaubt ist was ich gleich tue. Raus gehen. Ich packe meine Tasche und klopfe an die Wohnzimmertür und öffne sie leicht „Ich bin jetzt weg.." Sage ich es Basti etwas verunsichert, mit der Annahme er könnte dies alles doch als große Verarsche entpuppen. Er sitzt auf der Couch und dreht sich zu mir, schaut mich einen Moment eindringlich an. Ich seufze, denn ich weiß genau was er nun von mir erwartet. Ich betrete den Raum und sein Blick bleibt auf mich gerichtet. „Ich treffe mich mit Lukas, wegen gestern und so.." beantworte ich seinen eindringlichen Blick. „und so?" hakt er nach, ich rolle mit den Augen „Ja keine Ahnung, er fragt halt wie es mir geht und wir haben noch was für die Schule zu erledigen.." erkläre ich, „Klar, weil ihr gestern zu high dafür wart.." Basti fährt sich angespannt durch sein Haar „Echt Kleines, du machst es mir wirklich schwer dir zu vertrauen." sagt er daraufhin „Wieso?? Ist doch alles gut, ich meine, ich hätte dich auch anlügen können aber ich sag dir die Wahrheit." Gebe ich es leicht aufgebracht wieder, er schaut mich immer noch eindringlich an und versucht anscheinend zu unterdrücken mit mir zu diskutieren „Wo trefft ihr euch?" bricht er dann doch das Schweigen, ich atme leicht auf da er tatsächlich keine Diskussion angefangen hat „Starbucks. In der Stadt." antworte ich ihm „Um spätestens 8 bist du wieder hier!" Betont er es streng, ich nicke darauf hin dass ich verstanden hab „Jap 8 Uhr, keine Sekunde später. Versprochen!" Sage ich es nochmal „Gut.. bis später.." verabschiedet er sich nun seufzend und wendet sich wieder dem Fernseher zu. „Ciao!" Gebe ich es lächelnd zurück während ich mich schon auf dem Weg zur Eingangstür begebe. Yes! Was für ein befreiendes Gefühl nach draußen gehen zu können ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben, dass man was falsches tut! Nach einer 10 minütigen Bahnfahrt komme ich dann auch beim Starbucks an, Lukas wartet dort schon vor der Tür auf mich. Wir grinsen uns an und umarmen uns zur Begrüßung, ich merke dass er verunsichert ist wegen dem vergangenen Abend „Na? Gehts dir wieder besser?" Fragt er mich dann während wir den Laden betreten und uns an der kleinen Schlange anstellen „Ja alles gut, war anscheinend doch zu viel gewesen" lache ich ein wenig peinlich berührt „Tut mir echt leid Joyce, ich wollte nicht dass du nen Abkacker kriegst. Wirklich nicht!" entschuldigt er sich und ich winke nur ab „Ach passiert, ich meine du hast mich ja nicht gezwungen das zu essen oder so. War ja meine Entscheidung und jetzt weiß ich dass das eine schlechte war" Lache ich „Ja aber du würdest es trotzdem wieder machen oder?" lacht er nun auch „Nein ich lerne aus meinen Fehlern" versuche ich es so ernsthaft wie möglich zu sagen, daraufhin grinsen wir uns jedoch nur an da wir beide wissen dass das nicht stimmt. Wir bestellen uns jeweils einen Kaffee und setzten uns an einen kleinen Tisch in der Ecke des Raumes „Mir tuts übrigens leid dass Yuri vorbei gekommen ist und so nen Aufstand gemacht hat, ich wusste nicht dass der kommt nur weil ich ihm geschrieben hab." fange nun ich mich an zu entschuldigen, er schüttelt nur leicht den Kopf „Das war echt anstrengend als der so ausgerastet ist. Ich dachte mir nur, Scheiße ich bin viel zu high um mich jetzt zu prügeln!" sagt er mit einem leichten Lachen was mich erleichtert, da er das alles zum Glück nicht so ernst sieht. „War also gut dass ich dann gesagt hab du sollst gehen?" lache ich nun auch, er nickt „Ja auf jeden Fall, danke dafür!" ich nehme einen kleinen Schluck von meinem Kaffee, welcher an sich noch viel zu heiss ist um ihn zu trinken „Hat dein Bruder was davon mitbekommen?" Fragt er nun ernster und ich setzte die Tasse ab „Ja, leider schon. Der hat mich angerufen als ich voll k.o. War und Yuri ist an mein Handy gegangen und hat's ihm gesagt" Antwortet ich mit einem Seufzer „Oh fuck sorry" Entgegnet mir Lukas mit einem Blick den man fast schon als bemitleidend bezeichnen könnte „Viel Ärger bekommen?" hängt er noch dran „Naja, bisschen. Aber komischer Weise hab ich keinen Hausarrest mehr, mein Bruder ist ein einziges Rätsel.." Gebe ich wieder „schon krass dass er so streng ist, ich meine, so 'nen großen Altersunterschied habt ihr ja jetzt auch nicht" sagt er "Basti ist 25.. und manchmal hab ich echt das Gefühl er ist eher wie ein Vater als ein Bruder, ohne Witz er kann mega nervig sein.. und peinlich, wie gestern wo er mit dir geredet hat." Gebe ich genervt von dem Gedanken wieder "Ach das war noch okay, hab schon schlimmere Eltern erlebt. Was ist eigentlich mit deinen Eltern?" Fragt er nun und schafft es dabei kaum mir in die Augen zu gucken. War ja klar dass diese Frage irgendwann kommen musste, ihn scheint sie wahrscheinlich schon länger interessiert zu haben nur wusste er sicher nie wann der richtige Augenblick gekommen ist um sie zu fragen. Bis jetzt. "Was hast du denn gehört?" Stelle ich als Gegenfrage, manchmal haben die Leute schon darüber geredet. Es kommt eben nicht immer vor dass ein Teenager von ihrem Bruder groß gezogen wird. "Nicht viel. Nur dass du vorher im Heim warst, du musst auch nicht drüber reden wenn du nicht willst! Ich hab noch viele andere Themen vorbereitet!" Fängt er an zu lachen um die Situation weniger angespannt zu machen, jedoch hab ich bei ihm das Gefühl dass er es wissen will um mich besser kennen zu lernen. Und nicht um seine Neugierde zu stillen wie viele andere Menschen die mich danach gefragt haben. "Nein passt schon" antworte ich ihm mit einem leichten Lächeln "Mein Eltern haben sich getrennt als ich 2 war, ich hab meine Mutter nie wirklich kennen gelernt sie ist so weit von meinem Vater geflüchtet wie nur möglich. Von heute auf morgen hat sie uns einfach bei ihm gelassen und sich nie wieder gemeldet." Erkläre ich und fixiere dabei meine Finger die die warme Tasse umklammern "Weißt du warum sie sich getrennt haben?" Fragt er vorsichtig nach, ich zucke mit den Schultern "Keine Ahnung, anscheinend hat meine Mutter ihn betrogen und dann beschlossen ein neues Leben ohne ihre Kinder anzufangen. Das hat mir jedenfalls mein Vater damals gesagt." Sage ich daraufhin und erinnere mich an das einzige Mal, bei dem ich meinen Vater fragte ob meine Mutter nochmal nach Hause kommen würde. "Sind deine Eltern noch zusammen?" Frage ich um auch etwas aus seinem Leben zu erfahren, das macht es mir meistens leichter meine eigene Geschichte zu erzählen. Er zögert kurz "würde meine Mutter noch leben, wären sie es bestimmt" gibt er es wieder "Oh das tut mir leid" sage ich, das hatte ich tatsächlich nicht erwartet "Sie hatte Krebs. Ist jetzt aber auch schon bestimmt 10 Jahre her, ich glaube ich hab das damals noch nicht richtig verstanden dass man einfach sterben kann. Deswegen gehts eigentlich, vor allem hab ich ne ziemlich große Familie. Tanten, Onkel, Oma und so weiter.. die haben meinem Vater da ziemlich gut durchgeholfen. Er hat sogar ne neue Frau die echt nett ist." Lacht er zum Abschluss und ich frage mich ob mein Vater die Trennung auch besser verkraftet hätte, hätte ich mehr Familienmitglieder oder ob er einfach von Grund auf ein mieser Typ ist. "Ich hab halt nicht mehr Familie, mein Vater war Einzelkind und seine Eltern uralt. Ich glaub ich hab die noch nicht mal kennen gelernt. Und die ganze Familie von meiner Mutter lebt in Russland und keiner weiß genau wo da" Erkläre ich "Und dann hat er dich und deinen Bruder einfach ins Heim gegeben? Weil er das nicht gepackt hat?" Fragt Lukas ungläubig und ich schüttel verneinend den Kopf "Schön wär's" Sage ich daraufhin und fahre fort "Nein er hat erstmal angefangen ganztags zu arbeiten, seit dem war mein Bruder schon für mich verantwortlich. Ich glaube mein Vater hat mich nie vom Kindergarten oder so abgeholt. Das hat immer Basti gemacht. Irgendwann hat er dann seinen Job verloren weil er besoffen auf der Arbeit war, tja und dann war er immer zu Hause. Gekümmert hat er sich aber trotzdem nicht, aber seine Wut hat er immer ganz gut an uns raus gelassen. Vor allem an Basti." Sage ich und merke wie Lukas Blick mich beinahe durchbohrt während ich erneut meine Tasse fixiere, ich bin nicht gut dadrin Leuten ins Gesicht zu schauen während ich etwas erzähle. Vor allem etwas was so stark gewichtet in meinem Leben. "Hat er.. ich meine.. hat er dich auch.." Fängt er an seine Frage zu formulieren, ich blicke ihn an "mich auch verprügelt?" Beende ich seinen Satz. Er nickt daraufhin leicht "Ein mal. Basti war nicht da an dem Abend und er noch besoffener und wütender als sonst. Ne Nachbarin hat's mitbekommen und die Polizei gerufen, keine Ahnung warum die sich erst dann interessiert hat vielleicht weil sie selber schiss hatte oder so. Jedenfalls kam ich dann erstmal ins Krankenhaus und dann sofort ins Heim. Basti war da schon 18 und hat bei keine Ahnung wem alles gewohnt, aber er hat mich richtig oft besucht und gesagt dass er mich irgendwann zu sich holen wird" erzähle ich mit einem Grinsen an die Erinnerung "Tja und seit 2 Jahren wohne ich jetzt schon bei ihm und es ist wunderbar, abgesehen davon dass er ein totaler Kontrollfreak ist" Lache ich da mein Hausarrest Lukas nun wahrscheinlich vorkommt wie nichts im vergleich dazu was ich sonst erlebt habe, denn er schaut immer noch ein wenig geschockt "Krasse Geschichte" sagt er ehe er einen Schluck von seinem Kaffee nimmt, und es erstaunt mich wie ich ihm die Geschichte meines Lebens erzählen konnte und mich währenddessen so sehr davon distanzierte, dass es sich nicht anfühlt als wäre es mir tatsächlich passiert. "Hast du denn nochmal was von deinem Vater gehört?" Fragt er interessiert und ich muss kurz lachen da mich Basti in der Vergangenheit wirklich mit aller größter Mühe davon abzuhalten versucht hat, auch nur irgendetwas von meinem Vater mitzubekommen. Nicht dass ich jemals Kontakt zu ihm wollte, aber interessiert hat es mich dennoch ob er einfach so auf die Menschheit losgelassen wird. Basti sagte immer ich soll mir darum keinen Kopf machen, er würde sich schon darum kümmern dass er mich nie wieder zu Gesicht bekommt. "Anscheinend ist er im Gefängnis wegen irgendwas anderem, aber ich weiß es nicht genau. Interessiert mich auch nicht um ehrlich zu sein" Lüge ich ein wenig und lächle ihn leicht an um ihm nicht dass Gefühl zu geben dass das für mich gerade ein riesiger, seelischer Akt war aus meiner Vergangenheit zu erzählen. "Ja kann ich verstehen. Hauptsache du machst jetzt dein Ding" sagt Lukas ebenfalls mit einem Lächeln. "Ja und weißt du was momentan mein Ding ist?" Frage ich und Lukas schüttelt grinsend den Kopf, da er meinen smoothen Themenwechsel wohl bemerkt hat. Ich ziehe meinen Laptop aus meiner Tasche und platziere ihn auf dem Tisch "Meine erste eins in 'nem Referat zu bekommen!" Sage ich lachend und er stimmt ein.
Nach circa anderthalb Stunden und zwei weiteren Kaffee und Zigarettenpausen später, haben wir dieses dann auch wirklich zu Ende gebracht und ich bin erstaunt wie schnell das ging. Danach verabschiedeten wir uns und ich nehme die Bahn zurück nach Hause, 19.03 Uhr zeigt mir mein Handydisplay an. Perfekt! Ich habe keinen Ärger zu erwarten, und auf der Toilette im Starbucks hab ich mich eben so sehr mit Deo eingesprüht dass Basti auch nicht den Zigarettenrauch an mir riechen wird. Ich betrete die Wohnung und er scheint immer noch im Wohnzimmer zu sein, ich gehe zur Tür und klopfe an. Es ertönt ein semi lautes "Mhm" und ich öffne die Tür "Guck mal!!! Ich bin wieder da und es ist genau.." ich zücke mein Handy und schaue auf den Display "19.21Uhr.. überpünktlich!" Sage ich es voller Euphorie "Wahnsinn.." kommt es eher desinteressiert von Basti der halb auf der Couch liegt und in sein Handy vertieft ist "die Jungs kommen gleich vorbei" verkündet er in genau der selben Tonlage und mein Blick gleitet erneut auf das Sofa unter dem meine Tür immer noch seelenruhig liegt. "Cool.. sag mal, denkst du nicht auch ich hab ne Belohnung verdient weil ich so über pünktlich bin?" Frage ich und er dreht sich zu mir mit einem irritierten Blick "meine Tür.. zum Beispiel?" Fahre ich in einer etwas höheren Stimmlage fort. Er schaut mich einen Moment an ehe er zu seufzen beginnt und sich aufrichtet "Seid ihr fertig geworden?" Fragt er nach während er meine Tür unter der Couch hervor holt "Ja! Sind wir! Willst du's sehen?" Gebe ich prompt wieder und gleite mit meiner Hand zu meiner Tasche in der mein Laptop drinne ist "Ne lass mal, ich werd's schon mitbekommen wenn du's nicht gemacht hast" Sagt er lachend und geht mit der Tür an mir vorbei zu meinem Zimmer. Mir fällt jetzt erst auf wie riesig dieses Ding eigentlich ist, dass er sie einfach so aus den Angeln heben konnte ist schon krass. Ich glaub ich könnte sie nicht mal hoch heben.
"Ich hab heute mit Lukas drüber geredet warum ich ins Heim gekommen bin und so" fange ich an zu erzählen während er die Tür wieder in ihren Rahmen hängt "Ach echt?" Gibt er es wieder, schaut dabei jedoch ziemlich konzentriert um sie wieder richtig rein zu kriegen. Ich nicke "Stimmt das eigentlich? Das unsere Mutter gegangen ist weil sie ihn betrogen hat?" Frage ich, denn das ist etwas worüber ich nach dem Gespräch nach gedacht habe. An sich rede ich schon nicht viel mit Basti darüber, aber das meiste was ich von früher weiß, weiss ich aus Erinnerungen oder von ihm. Außer das. Es macht kurz Klick und die Tür ist nun wieder vollständig im Rahmen drinne, das ging schnell "darüber habt ihr geredet?" Fragt er mich mit einem Blick der verwundert als auch ein wenig besorgt aussieht. "Ja, nein, keine Ahnung, also, Lukas hat mich halt gefragt wieso sie sich getrennt haben. Und ich weiß nur dass er mir das früher ein mal gesagt hat aber.. ob das stimmt weiß ich halt nicht" sage ich ein wenig verunsichert. "Willst du's denn wissen?" Fährt er fort, ich zucke mit den Schultern "Sonst würde ich dich nicht fragen oder?" Lache ich ein wenig wegen seiner Frage "Ne ich meine wieso interessiert dich das noch? Das ist so lange her und eigentlich auch scheiß egal oder?" Gibt er es wieder und dreht sich um, um in die Küche zu gehen. Ich folge ihm "Also weißt du es auch nicht" stelle ich fest, er holt sich ein Bier aus dem Kühlschrank und öffnet es mit seinem Feuerzeug "Nein, ich weiß es auch nicht und es juckt mich auch nicht, okay?" Sagt er um das Gespräch zu beenden "Oder weißt du es und willst es mir einfach nur nicht sagen?" Hake ich weiter nach, er stößt einen genervten Seufzer aus "Joyce!" Er blickt kurz an die Decke, dann wieder mich an "Lass es gut sein, ja? Sie war ne Spinnerin und er ein Säufer, dass sie sich getrennt haben war nur 'ne Frage der Zeit. Ist doch komplett egal warum! Fakt ist, ich bin jetzt der Erwachsene hier und ich sage dir geh und freu dich dass ich dir deine Tür wieder gegeben hab, bevor ich sie dir wieder weg nehme!" Ich verdrehe die Augen und mache mich auf den Weg in mein Zimmer "Ja mein Gott, kein Grund arschig zu werden.." Murmel ich währenddessen "Was hast du gesagt?!" Ruft er mir ein wenig wütend hinterher "Nichts!" Rufe ich zurück, bevor ich endlich wieder meine eigene Zimmertür schließen kann "Will ich auch hoffen!" Gibt er es wieder und ich schließe die Tür. Eine Woche ohne Handy und Tür, wie habe ich das nur überlebt?

You Can't Always Get What You WantWo Geschichten leben. Entdecke jetzt