6. Kapitel: 13.6.1972, Hamburg

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Das ist ein Problem und wir sagen natürlich, die Bullen sind Schweine. Wir sagen, der Typ in Uniform ist ein Schwein, das ist kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen. Das heißt, wir haben nicht mit ihm zu reden und es ist falsch, überhaupt mit diesen Leuten zu reden, und natürlich kann geschossen werden.

- Ulrike Meinhof, Juni 1970 -

13.6.1972, Hamburg

„Wir sollten von hier verschwinden!" Betont gelangweilt beugte Ingrid sich vor und blickte ihr Gegenüber an.

„Hast du was gesehen?" Hannes trank einen Schluck Kaffee, während er die Augen durch das kleine, schmuddelige Cafe schweifen ließ.

„Der Kerl am Fenster passt nicht hierher. Ich glaub, das ist n Schwein in Maske."

„Ein Schwein in Maske! Wie beim Karneval!" Sein Auflachen bewegte Ingrid nur dazu, die Augen zu verdrehen. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass ihr Kamerad die Revolution nur als ein aufregendes Spiel sah, bei dem die Befreiung des Proletariats einfach ein nettes Extra war, nicht das Ziel. Hannes war ein Student aus gutbürgerlicher Familie, der niemals gelitten hatte und erst relativ spät zu ihrer Gruppe gestoßen war. Er hatte nicht das gesehen, was Ingrid erlebt hatte. Nicht die Knüppel gespürt, die ihr Land als Polizeistaat entlarvt hatten, nicht erlebt, wie sich die Wut, als Ohnesorgs Mörder freigesprochen worden war, in Westberlin entladen hatte, während Ensslins und Baaders Brandstiftung als Rache für Vietnam mit drei Jahren Gefängnis geahndet worden war. Stattdessen hatte er im gemütlichen Heidelberg studiert und war mit anderen Mitgliedern des Sozialistischen Patientenkollektivs zu ihnen übergetreten.

Angeblich war es Hannes gewesen, der vorgeschlagen hatte, den nächsten Banküberfall mit Mickey-Maus Masken durchzuführen. Andreas sollte darüber nur gelacht haben.

Erneut warf sie einen Blick auf den Mann am Fenster, dessen Uhr die Sonnenstrahlen reflektierte und Lichtflecken über die unverputzten Wände tanzen ließ. Er war jung genug, um in die überwiegend junge Kundschaft zu passen, doch sowohl Kleidung als auch Körperhaltung ließen sie mehr an einen jungen, übereifrigen Mann des Verfassungsschutzes denken. Dieses Cafe war als Treffpunkt der linken Szene bekannt, doch bisher hatte es als sicher gegolten.

„Wir haben, was wir brauchen, komm!"

Ingrid stand auf und hörte den Brief, der ihnen eben übergeben worden war, an ihrem Oberschenkel leise knistern. Sie alle hatten auf diese Antwort gehofft, denn nachdem die Genossin Gudrun erst vor wenigen Tagen am Jungfernstieg von den Schweinen gefasst worden war, wurde der Fahndungsdruck auf ihre Gruppe in Hamburg immer stärker. Ulrike musste von hier fort, sonst verlor die Organisation auch ihren dritten Anführer im Kampf gegen das System.

„Komm!" Hannes ließ einige D-Mark auf den Tisch fallen, während Ingrid den Reisverschluss ihrer Jacke schloss.

Ihr Genosse stieß die Tür auf und gemeinsam traten sie auf die schmale Nebenstraße. Aus den Augenwinkeln nahm Ingrid noch wahr, wie der Mann am Fenster aufstand.

„Scheiße", fluchte Hannes, der den Mann anscheinend auch bemerkt hatte.

„Wahrscheinlich ein V-Mann", sprach Ingrid ihre Vermutung laut aus, während sie ihre Schritte beschleunigte. Diese Überlegungen hielten sie von den Gedanken ab, was gleich passieren mochte und schenkten ihr Ruhe.

„Mir doch egal!", erwiderte Hannes, „Schwein ist Schwein."

„Vielleicht ist es ja auch nur...", setzte sie an, doch dann sah sie die Polizeisperre vor ihnen, die gerade die Personalien einer jungen Frau kontrollierten, bevor sie die Bürgerin durchsuchten.

Wir werden immer zusammen gehenWhere stories live. Discover now