5. Kapitel: 19.5.1972, Hamburg

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Wir verlangen, daß die Springerpresse diese Erklärung abdruckt.
Wir verlangen nichts Unmögliches.
Wir werden unsere Aktionen gegen die Feinde des Volkes erst einstellen, wenn unsere Forderungen erfüllt sind.
Enteignet Springer!
Enteignet die Feinde des Volkes! Kommando 2. Juni

- aus der Erklärung vom 20 Mai 1972 -


19.5.1972, Hamburg

Als sich die Tür ruckartig öffnete und abgehetzte Atemzüge erklangen, schauten alle, die im Wohnzimmer über den Plänen saßen, auf. Ein Mitglied, dessen Name Ingrid unbekannt war, stand in der Tür und blickte in die Runde.

„Eine Schießerei...", keuchte er, „In Augsburg."

Irgendjemand sprang auf und schaltete den Fernseher ein, aber Ingrid bekam es gar nicht richtig mit. Hermann war in Augsburg...Zusammen mit Andreas und Jan-Carl. Vor zwei Wochen war ihr Freund in seine Heimat zurückgekehrt, um dort den Kampf vorzubereiten, so wie sie es hier in Hamburg tat. Die Sorge um ihn zerdrückte ihr das Herz, ließ ihren Atem stocken und Schweiß sich in ihrem Nacken ansammeln.

Erst als jemand aufschrie, wandte sie sich um und blickte ebenfalls auf den Fernseher.

„Bei der darauf folgenden Schießerei, bei der die Flüchtigen rücksichtslos von der Schusswaffe Gebrauch machten, wurden zwei Polizisten leicht verwundet und einer der drei Männer tödlich getroffen. Seine Identität ist noch nicht zweifelsfrei festgestellt, doch wird vermutet, dass es der aus Augsburg stammende Hermann Schulte ist, der seit zwei Jahren untergetaucht zu sein scheint. Bei einem der entkommenden Schützen könnte es sich zudem um Andreas Baader handeln, einen der Anführer der Terror-Gruppe. Erst vor zwei Tagen wurde Thomas Weisbecker, ein anderes Mitglied der Baader-Meinhof-Bande am Hohen Weg erschossen."

Der Ton wurde leiser gedreht und jemand sagte leise: „Scheiße!"

Ingrid saß wie erstarrt da. Tränen rannen ihr über das Gesicht und ihre Fingernägel ritzten blutige Muster in ihre Handflächen. Nun hatte der Schießbefehl also auch Hermann das Leben gekostet, nachdem schon Petra und Georg das Jahr zuvor und vor zwei Tagen auch Thomas ihm zum Opfer gefallen waren. Die Genossen Astrid, Manfred und Wolfgang hatte es noch schlimmer erwischt, sie waren Gefangene jenes Staates, der von Polizeigewalt geleitet wurde und seiner Willkür ausgesetzt.

Sie spürte den Zorn in sich, Kälte, die alles bedeckte, was zuvor noch gezweifelt hatte und den Weg, der vor ihr lag, klar offen legte. Hermann vermisste sie jetzt schon, doch war er für einen gerechten, guten Kampf gestorben und das gedachte auch sie zu tun. Es gab keine Alternative. Die Genossen brauchten sie.

„Dafür werden sie büßen", erklärte Ingrid mit fester Stimme und nickte mit grimmigem Gesichtausdruck. „Wir werden ihnen zeigen, dass sie nicht straflos, welche von uns umbringen dürfen, weil wir dann zurückschlagen und zehnmal mehr töten. Die Revolution ist nicht zu stoppen, denn entlarvt dies nur das Gesicht des Polizeistaates, der gegen uns, die wir für die Freiheit kämpfen, einen Schießbefehl verhängt."

Jemand, Hannes, drückte ihr ein Glas in die Hand. Sie hob es, schaute den Versammelten in die Augen. „Auf Hermann und die Freiheit, für die er sein Leben gab!"

Bitter rann der Trunk ihr die Kehle hinab, aber sie genoss es, weil es sie härter machte und der Schmerz, den sie fühlte, sie endgültig zu einer wahren Revolutionärin werden ließ.

Ingrid schüttelte die Gedanken an Hermann ab und den Tag vor zwei Wochen, als sie von seiner Liquidierung durch diesen faschistischen Polizeistaat gehört hatte, den sie heute bekämpfen würde.

Wir werden immer zusammen gehenDonde viven las historias. Descúbrelo ahora