4. Cambridge 2020

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„Hier ist deine Fahrkarte", sagt er und hielt ihm das kleine Papier hin, das er gerade am Automaten gezogen hatte. Harry nahm es mit spitzen Fingern an sich und warf einen Blick darauf.

„Da steht ja gar nichts", sagte er leise und seine Augen huschten über den QR-Code. Außer dem und einem Datum, war nichts mehr auf dem Ticket abgebildet. Louis tippte auf den Code und versuchte zu erklären, was das genau war.

„Das ist alles hier drin verschlüsselt. Wenn du kontrolliert wirst, dann scannt man das Ticket ab und auf dem Display des Kontrolleurs wird dann die Information zu dem Ticket angezeigt."

„Abscannen? Display...ich verstehe kein Wort...", stammelte Harry und wirkte vollkommen überfordert. Seine Hand, in der er die Fahrkarte hielt, zitterte und er ballte sie zur Faust, um sich ein wenig zu beruhigen.

„Entschuldige, ich weiß, dass das alles viel ist und ich habe aber leider auch keine Ahnung, wie ich dir das besser erklären kann", sagte Louis schnell und widerstand dem Bedürfnis, Harry den Arm um die Schulter zu legen. Wer wusste schon, wie er auf körperliche Nähe reagierte.

„Vielleicht hilft es dir, wenn ich dir sage, dass die alten Menschen das auch nicht alles verstehen und damit überfordert sind."

Harry zuckte mit den Schultern und sah wieder nach draußen.

Der Bus war angefahren und zuckelte nun die lange Straße nach Whittelsford hinein, denn Duxford selbst hatte keine Bahnanbindung. Sie fuhren an Feldern und kleinen Wohngebieten vorbei und Harry wirkte ein wenig ruhiger, als er die Natur mit ihren windschiefen Bäumen und den dichten, ungemähten Wiesen sah. Das schien für ihn etwas Vertrautes zu sein, doch als ein Motorrad mit einem ziemlichen Geheul an ihnen vorbeiraste, um den Bus zu überholen, zuckte er vom Fenster zurück und zog den Kopf ein.

Louis senkte den Blick.

Er hätte nie gedacht, dass man vom Krieg so dermaßen verschreckt sein könnte. Aber vermutlich konnte man sich das auch einfach nicht ausmalen, wenn man es nicht selbst erlebt hatte und mit einem Mal kam er sich ziemlich dumm dabei vor, das nicht bedacht zu haben.

Die Zugfahrt zurück nach Cambridge schien Harry leichter zu fallen, als die Fahrt mit dem Bus. Zwar verwirrten ihn die Drehkreuze am Eingang der Station, aber der Anblick des alten Bahnhofes schien ihn ruhiger zu machen. Das schien etwas Vertrautes für ihn zu sein.

Louis beobachtete den Soldaten dabei, wie er den Blick über die Metallverzierungen am Gebäude schweifen lies und als sein Mundwinkel sogar einmal zuckte, als könnte er es nicht ganz fassen, dass es noch etwas gab, das er kannte, war Louis ein wenig beruhigter. Er hatte damit gerechnet, dass der Soldat vollkommen irritiert sein würde, doch das hielt sich ja wirklich in Grenzen.

Zumindest bis jetzt.

Auf der Rückfahrt war im Zug recht viel los, denn viele Pendler nutzten diese Strecke, um von den kleineren Städten in Richtung Cambridge aufzubrechen. Daher war das Abteil ziemlich voll und sie mussten sich trennen.

„Wir steigen in Cambridge aus", sagte Louis leise zu Harry, bevor er weiter den Mittelgang entlang ging und sich dann auf einen freien Platz gegenüber einer Dame setzte, die im schicken Businessoutfit in einer Zeitung las.

Müde lehnte er sich zurück und schloss die Augen, während der Zug auf den Schienen dahinglitt. Er war hundemüde, weil die Nacht lang und mental aufwühlend gewesen war.

Natürlich – schließlich traf man nicht jede Nacht jemanden aus einer anderen Zeit.

Ab und zu öffnete er ein Auge und lugte zwischen den Sitzen hindurch zu Harry hin, der am Fenster saß und mit weit geöffneten Augen nach draußen blickte. Obwohl er immer noch sehr blass und kraftlos aussah, schien es, als müsste er einfach alles aufnehmen, was sich seinen Augen bot.

Airspeed OxfordWhere stories live. Discover now