1.

34.1K 992 403
                                    

Skeptisch betrachtete ich mich im Spiegel und stellte mal wieder fest, dass die Schatten unter meinen Augen noch stärker geworden waren. Ich suchte nach dem Concealer, den ich mir mal von Mae genommen hatte, meiner besten Freundin. Ob sie das eigentlich mal gemerkt hatte? Ich denke nicht, so viel wie sie von diesen Dingern besaß, fiel es ihr sicherlich nicht auf.

Das Mädchen besaß echt nichts anderes außer Schminke im Gegensatz zu mir, die sich seit Jahren mit nur vier Produkten zufrieden gab.

Ich setzte den Concealer unter den Augen und verblendete diese.
Mit bisschen Mascara noch ließ ich meine grünen Augen stechender wirken und bürstete meine langen braunen Wellen.
Halbwegs zufrieden betrachtete ich mich nochmal im Spiegel als die Tür in meinem Zimmer aufging.

Meine geliebte Oma, die ich Granni nannte, kam hereinsapziert und ließ sich auf mein Bett nieder.

Ich hatte mein ganzes Leben bei meiner Granni verbracht. Seit 17 Jahren. Sie war für mich eine Mom und ein Dad zugleich, die ich nie besaß. Meine Eltern starben bei einem Autounfall als ich gerade mal ein Jahr alt war.  Ab und zu wüsste ich gern wie es wäre, wenn ich Eltern hätte, aber meine Oma ist das wichtigste für mich auf der Welt, von daher könnten keine Eltern der Welt sie ersetzen.

Ich drehte mich zu ihr um und sah sie grinsend an.
Anscheinend hatte sie wohl wieder gebacken, denn ihr Gesicht war voller Mehl, was so unglaublich süß aussah.

"Warum grinst du denn so? Was hast du wieder angestellt?"

Ich schüttelte nur weiter grinsend den Kopf und nahm ihre zierliche Hand, an der ich sie zu meinem Spiegel zog.

"Och du lieber Gott! Ich sehe ja aus wie ein Gespenst!"

Bei ihrer zuckersüßen Art musste ich direkt los lachen, ehe meine Granni irgendwann mit einstimmte.

"Granni du bist so unglaublich süß!"

"Jaja danke und wolltest du nicht heute zu Mae fahren?"

Wir hatten gerade Ferien und ich ging wie fast jeden Tag zu Mae. Ihr Haus war so gut wie mein zweites Zuhause. Allgemein hatte ich ein sehr langweiliges Leben. Ich wünschte es würde endlich mal eine kleine Veränderung in meinem Leben kommen, sodass es wenigsten nur ein bisschen spannender werden würde. Zu dem hatte ich ja noch nicht mal einen Freund. Meine Freizeit verbrachte ich eh nur damit irgendwelche Teeni Romanzen zu lesen.

Den Richtigen war ich einfach immer noch nicht begegnet....

"Grace? Woran denkst du denn Kleines?"

Ich zuckte bei der sanften Stimme meiner Oma zusammen und erinnerte mich wieder, dass meine Granni mich etwas gefragt hatte.

"Ähm ja, genau. Ich muss zu Mae....bin schon spät dran, ich gehe dann mal ja?" zügig zappelte ich mich von meinem Bett auf und stand nun mit dem Gesicht zu meiner Oma.

"Ja pass auf dich auf Kleines."

Gerade als ich aus dem Zimmer gehen wollte, hörte ich sie noch was murmeln, weshalb ich abrupt stehen blieb.

".....noch jemanden kann ich nicht verlieren."

Mir stockte der Atem augenblicklich und ich rührte mich nicht vom Fleck. Ich schaute zu meiner Oma und stellte fest, dass sie traurig zu Boden blickte.
Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und meine Augen fingen an zu brennen. Mit ein paar Schritten gelang ich zu ihr und nahm sie sanft in die Arme.

"Granni, mir wird nichts passieren, ok? Ich gehe ja nur zu Mae, aber auch allgemein werde ich immer aufpassen. Bitte mach dir nicht so viele Sorgen. Hab dich lieb, Granni."

Sie nickte nur stumm und drückt meine Hand fest, ehe ich aufstand, um das Haus zu verlassen. Meine Schuhe angezogen, öffnete ich die Haustür und schloss sie wieder hinter mir.
Die Worte hallten immer noch in meinem Kopf und verpassten mir einen Stich. Sie so zu sehen, so traurig und zerbrochen, gefiel mir ganz und gar nicht. Granni hatte ein schweres Leben, mein Opa starb schon vor meiner Geburt, und dann noch meine Eltern. Sie hat mich ganz alleine großgezogen und sorgte seither immer noch um mich, mit ihren 78 Jahren.

Der kalte Wind jagte mir eine Gänsehaut, was mich sofort kurz zittern ließ. Ein Glück hatte ich mir eine lange Hose angezogen, denn bei diesem Herbstwetter in Seattle würde ich in kurzen Sachen wortwörtlich sterben. Es ist erst Oktober, doch dieses Jahr schien es viel kälter zu sein als in den anderen Jahren zuvor.

Ich ging den Weg hinunter zur Hauptstraße in Richtung zur Bushaltestelle. Zwar hatte ich schon einen Führerschein, den mir meine Granni finanziert hat, aber das Geld für ein Auto hatten wir jedoch nicht. Ich arbeitete schon seit einem halben Jahr in einem Café, um das Geld für ein Auto zu sammeln. Eigentlich hatte ich mehr als die Hälfte schon verdient, nur noch ein paar Monate, und dann könnte ich theoretisch ein Auto kaufen. Ich würde mir am liebsten einen Mini kaufen, die waren einfach perfekt fand ich.

Plötzlich wurde ich von einem Hupen aus meinen Gedanken gerissen und drehte mich erschrocken zu dem Lärmverursacher.  Meine komplette Aufmerksamkeit galt nun dem roten Ferrari, der neben mir auf der Straße hielt, das Fenster auf der Beifahrerseite heruntergekurbelt.

ESCAPE  | ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt