ESCAPE | ✔

11.

Seit über einer Stunde fahre ich schon und noch immer befinden wir uns auf der Autobahn. Zwischendurch gab es mal hier und da kleine Staus, aufgrund einiger Baustellen. Viele Autos kommen hier aus anderen Staaten als Washington, eher aus Oregon, Kalifornien, Nevada oder Montana und noch aus ein paar anderen Staaten. Wahrscheinlich fahren sie alle in den Urlaub, da heute ja erst der vierte Ferientag ist.

Wir sind zwar schon längst aus Seattle raus, aber sind noch innerhalb von Washington. Kyle halt mir verboten den Navi oder sein Handy für die Strecke zu benutzen, aufgrund des GPS', durch welches sie uns orten könnten und er hat mir empfohlen einfach den Schildern in Richtung Oregon zu folgen. Aber ich verstehe nicht warum nicht sein Handy? Klar, wenn ich das Navi vom Auto benutze, könnte die Polizei uns orten, aber Kyles Handy ja nicht, da sie ihn doch gar nicht kennen. Oder meint er vielleicht mit "sie" nicht nur die Polizei, sondern auch wen anders. Vielleicht diese Leute von heute Vormittag, die ihn angeschossen haben?

Hunderte Fragen schweben in meinem Kopf herum, aber keine Antwort. Und so wie Kyle nun mal ist, wird er mir auch sicher nichts erklären, warum er gejagt wird.

Ich blicke nach rechts und sehe einen schlafenden Kyle, der seinen Kopf in meine Richtung gedreht hat. Während ich auf die Straße schaue und ab und zu auch in den Rückspiegel, beobachte ich nebenbei auch den Schönling neben mir. Wer hätte noch heut Morgen gedacht, dass der Tag so enden würde?

Es ist bereits 22Uhr und ich habe keine Ahnung wohin und wie lange wir noch fahren. Außerdem muss ich immer wieder an Granni denken. Sie denkt bestimmt, dass ich bei Mae schlafe, während Mae bestimmt denkt, dass ich doch nicht zu ihr komme. Sie hat mir bestimmt schon tausende Nachrichten geschrieben, wo ich bleibe und so.

Ich schaue wieder zu Kyle, der mit seinen verwuschelten Haaren so friedlich aussieht. Augenblicklich habe ich das große Bedürfnis, mit meiner Hand durch seine braunen Haare zu fahren. Keine Ahnung warum, aber ich habe das schon immer geliebt und fahre auch immer Maes kleinem Bruder durch die Jahre, wenn ich immer bei ihnen bin. Ihm nervt das immer total wenn ich das tue, und sofort muss ich grinsen als ich zu dem schlafenden Kyle blicke und mir vorstelle, wie er wie ein kleines Kind rummeckert, weil ich seine Haare anfasse.

"Pass auf, dass du keine Ausfahrt verpasst, weil du mich die ganze Zeit anstarrst."

Erschrocken über seine tiefe Stimme schaue ich abrupt nach vorne und stelle fest, dass es erst eine Ausfahrt in ein paar mehreren Kilometern gibt. Erleichtert atme ich aus und schaue wieder zu Kyle, der eigentlich noch am Schlafen war.

"Ich dachte du schläfst?"

"Hatte ich auch-..." Er gähnt und setzt sich dabei aufrecht in seinem Sitz. "....-Aber bei deinen katastrophalen Fahrkünsten kann man das nicht so lange, da die Autos deinetwegen anfangen zu hupen."

"Hey! So schlecht fahre ich gar nicht."

"Neiiiin. Gar nicht. Die Autos hupen ja einfach so grundlos, weil denen langweilig ist."

Ich zucke nur mit den Schultern und spiele auf beleidigt. Dabei muss ich wieder an Caleb denken und grinse breit über den Idioten.

"Warum grinst du denn jetzt so?"

"Musste nur an Caleb denken. Er hat heute diesen Wagen bekommen und ist zum ersten Mal überhaupt gefahren. Und er war die ganze Zeit über komplett lost!"

"Caleb also..."

"Ja, Caleb...."

"Ist er dein Freund?"

Fast hätte ich eine Vollbremse gelegt über diese absurde Frage. Caleb? CALEB? MEIN FREUND?! Sofort fange ich lauthals an zu lachen und Kyle schaut mich nur verwirrt an.

"Omg bist du lustig. Ich weiß ich bin bisschen crazy, aber ich habe noch genug Verstand."

"Hä? Ist er jetzt dein Freund oder-..."

"Nein oh Gott! Natürlich nicht. Caleb ist der größte Vollidiot!"

Ich weiß nicht ob das nur Einbildung ist, aber für einen klitze kleinen Moment sah so etwas wie Zufriedenheit in seinem Gesicht, ehe er wieder monoton und kalt nach vorne schaut wie üblich.

"Warum wolltest du das wissen?"

"Warum nicht? Muss mich ja vorbereiten auf später, falls es eine Chance auf ein wenig Stress mit dem Freund gibt. Aber, dass er nicht dein Freund ist, hätte ich mir schon denken können."

"Was meinst du damit?" Ich schaue ihn verwirrt an und er verdreht leicht seine Augen.

"Dass du keinen Freund hast."

"Wer sagt denn, dass ich keinen Freund habe, vielleicht habe ich ja einen anderen als Caleb?"

"Hast du denn einen?"

"Nein."

"Na also."

"Und warum hältst du es für so ungläubig, dass ich einen haben könnte?!"

"Weil du das typische Mädchen zu sein scheinst, die sogar bei einer Kussszene in einem Barbie Film die Augen zu halten würde."

"Hey! Das stimmt nicht! Ich bin nicht so unschuldig und kindisch!"

Er zieht ungläubig eine Augenbraue hoch und mustert mich durchdringend. "Hattest du überhaupt schonmal einen richtigen Kuss gehabt und damit meine ich keinen Kindergarten Kuss?"

Und somit sinkt meine Laune noch tiefer in den Keller, da er Recht hat. Ich hatte noch nicht mal meinen ersten Kuss, obwohl ich schon 17 bin. Aber das liegt nicht unbedingt daran, dass mich keiner haben will, ich meine Caleb könnte ich immer um den Finger wickeln, sondern eher daran, dass ich zu sehr verklemmt bin. Ich war noch nie mit einem Jungen mehr als nur befreundet. Irgendwie traue ich mich das gar nicht und kann meine Gefühle auch nicht zulassen.

Es entsteht ein Kloß in meinem Hals und meine Augen fangen an zu brennen. Mit viel Willen versuche ich meine Tränen zurück zu halten, die durch seine verletzende Feststellung verursacht werden. Dass er so über mich denkt verletzt mich, obwohl er ein Unbekannter ist, der mich aber trotzdem durchschaut hat.

Ich habe gar nicht vor ihm zu antworten, erstens weil er die Antwort eh schon weißt und zweitens möchte ich mich nicht noch mehr von ihm demütigen lasse. Was denkt sich dieses Arschloch. Hat er denn keine Ahnung, dass er mit sowas ein Mädchen verletzen könnte? Er ist ab und zu ganz nett und lustig, und gleich danach wieder so ein Arsch und ignorant!

"Also gehe ich davon aus, nein? Wusste ich doch."

Er grinst nur weiterhin dümmlich und schaut auf sein Handy.

Wut und Schmerz lodern ihn mir auf, seinetwegen. Doch ich versuche ihn zu ignorieren und schaue in den Rückspiegel, um festzustellen, dass ein schwarzer Geländewagen schon seit längerer Zeit hinter uns fährt. Es ist ein schwarzer Land Rover, in dem nur ein schwarzgekleideter Mann mit einer Sonnenbrille sitzt.

Wer zum Teufel trägt bitte nachts eine Sonnenbrille?!

Ich wechsle von der rechten Spur auf die linke und gebe ein bisschen mehr Gas.

"Wow, du kannst ja doch schneller fahren."

Ich ignoriere einfach den unnötigen Kommentar von Kyle und schaue wieder in den Rückspiegel, um leider festzustellen, dass der schwarze Jeep auch die Spur gewechselt hat und nun wieder direkt hinter uns fährt...

"Ähhm Kyle? Ich glaube wir werden verfolgt."