29. Kapitel

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Amara

Eingekauert sitze ich auf dem kleinen Sofa, auf welches Mason mich nach unserer Ankunft verfrachtet hat.

Einerseits bin ich wütend darüber, dass er mich mit seiner Alphastimme herumkommandiert.
Andererseits weiß ich, dass ich mich ihm jetzt unbedingt erklären muss, damit er nichts falsches von mir denkt.

Aber heißt das wirklich, dass ich ihm alles erzählen muss?

Spätestens jetzt wird er nämlich von mir wissen wollen, was genau ich alleine hier im Nirgendwo verloren hatte.

„Wurdest du von ihnen hier her geschickt?“, höre ich ihn plötzlich fragen.

Weder seine Miene, noch sein Ton geben einen Hinweis darauf, was gerade seinem Inneren vorgeht. Doch ich kann die Angst und Enttäuschung aus seinen atemberaubenden Augen herauslesen. Sie wirken viel dunkler als sonst und kleine Fältchen des Misstrauens haben sich zu ihren Seiten gebildet.

„Nein“, antworte ich ehrlich und sehe, wie augenblicklich ein Teil der Anspannung für einen Moment aus seinem Körper weicht, bevor er seine Reaktion blitzschnell vor mir verbirgt.

Aus Furcht davor, dass er mir vielleicht nicht glaubt, spreche ich weiter:
„Ich wusste nicht, wer du bist oder das hier überhaupt ein Lager von Rudellosen ist. Ich habe mich schon vor Jahren aus der Welt der Werwölfe zurückgezogen und ein ganz normales Leben unter den Menschen geführt.“

Meine Aussage scheint ihn kaum zu überraschen, was irgendwie logisch ist, da er mir schließlich schon bei meiner Ankunft dabei helfen musste, wieder in meine menschliche Gestalt zu wechseln. Allein dies sollte ihm gezeigt haben, dass ich seit längerem nicht sonderlich viel mit dem Wolfsdasein zutun hatte.

„Wieso hast du dich von deinem Rudel entfernt?“

Seine Augen sind zusammengekniffen und er betrachtet mich nun, als wäre ich ein Rätsel welches er entschlüsseln muss.

Ich schlucke hörbar, bevor ich meine Beweggründe vor ihm erläutere. Denn es ist mir wirklich unangenehm, mit jemandem über meine Vergangenheit zu sprechen.

„Meine Eltern waren die Anführer unseres Rudels. Sie ließen mich als Kind vorübergehend bei meinem Onkel zurück, weil sie vom Wächterrat auf eine Eroberungsmission geschickt wurden. Aber sie kehrten nie zurück und-“

„Sie sind gestorben?“, unterbricht Mason mich.

Ich nicke zögerlich.

"Bis heute werden sie in meinem Rudel als Kriegshelden gefeiert. Aber für mich waren sie einfach nur meine Eltern, die mich im Stich gelassen haben.“

Ich spüre eine unerwartete Träne meine Wange herunterkullern und wische sie schnell mit dem Handrücken weg.

Ich will jetzt nicht weinen.

Mein Mate macht Anstalten, auf mich zuzukommen, hält sich dann jedoch im letzten Moment zurück.

Ich sehe das deshalb als mein Zeichen an, weiterzuerzählen.

„Mit den Jahren wurde meine Abneigung gegen das ganze Machtgehabe unter den Wölfen für meinen Onkel immer offensichtlicher. Er gestattete mir, ein Leben unter den Menschen zu führen, bevor der Rest meines Rudels davon Wind bekäme und ich somit den ehrenhaften Namen unsere Familie in Ungnade fallen ließe.“

Nach meiner Erklärung betrachtet der Alpha mich eine Zeit lang wortlos. Ich wende den Blick von ihm ab, weil ich gerade nicht wissen möchte, was er von meiner damaligen Entscheidung hält. Schließlich ist es bei Werwölfen verpönt, seine wahre Natur zu verleugnen.

„Und du kanntest Caden?“, will er irgendwann von mir wissen.

Ich schüttle den Kopf.

„Nein, er wurde erst Mitglied des Rudels, als ich schon nicht mehr dort war. Ich habe ihn nie gesehen, doch er hat wohl meinen Namen gekannt und eins und eins zusammengezählt.“

Diesmal ist es an Mason zu nicken.

Gerade, als ich erleichtert ausatmen will, da meine Erläuterungen ihn zu besänftigen scheinen, stellt er mir die Frage, vor deren Antwort ich die allergrößte Angst habe.

„Und was hattest du dann als Wolf hier im Wald zu suchen? Wenn du dem Wolfsleben doch abgeschworen hattest?“

Mein Puls beschleunigt sich um ein Vielfaches und Bedauern und Schuldgefühle schnüren mir die Kehle zu, als ich an meine grausame Tat zurückdenken muss.

Mason nimmt meinen Stimmungsumschwung wahr und tritt ein Stück näher an mich heran.

„Ich bin weggelaufen“, gebe ich zu und umklammere dabei mein rechtes Handgelenk.

Der Rudellosen begibt sich auf Augenhöhe mit mir und fixiert mich mit einem neugierigen, aber auch besorgten Blick.

„Vor wem?“, fragt er und sieht mir dabei eindringlich in die Augen."

Beschämt wende ich meinen Blick von ihm ab.

Eine ganze Weile lang herrscht nur bedrückende Stille, welche mir beinahe die Luft zum Atmen raubt.

Doch Mason drängt mich nicht. Er wartet vielmehr geduldig darauf, bis ich mich wieder gesammelt habe und erneut zu ihm aufsehe, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

„Vor niemandem“, flüstere ich irgendwann.

Meine Antwort verwirrt ihn. Er zieht die Brauen zusammen und grübelt einen Moment.

„Vor was?“, macht er dann einen erneuten Ansatz.

Ich zögere.

„Vor dem, was ich getan habe.“

Mason legt eine Hand auf meine eigene, welche mein Handgelenk unzwischen schon zu zerquetschen droht.

„Was hast du getan, Amara?“

Ich sehe in seine silbern schimmernden Augen und erkenne keinerlei Abneigung darin.

Nur Neugierde und das Flehen nach einer Erklärung, die mich nicht zu seiner Feindin macht.

Er streichelt sanft über meine Hand. Seine Finger strahlen eine angenehme Wärme aus, die mich sofort beruhigt.

„Was hast du getan?“, wiederholt er seine Frage deutlicher.

Mördern! Mörderin!, hallt diese schreckliche Stimme mal wieder  durch meinen Kopf.

Eine erneute Träne fließt an meiner Wange herab.
Meine Lippen beben leicht.

Trotzdem fühle ich mich bei Mason so sicher wie noch nie in meinem Leben zuvor und ich will, dass auch er endlich die ganze Wahrheit über mich kennt. Schließlich hat er mir seine eigene Geschichte bereits anvertraut.

Und nur deshalb schaffe ich es, den nächsten Satz laut auszusprechen, selbst wenn es mir alles andere als leicht fällt:

„Ich - ich habe zwei Menschen getötet.“

Amara & Mason ~ Alpha Der RudellosenWhere stories live. Discover now