42. Kapitel

2.3K 87 10
                                    


Amara

Immer wieder versenke ich die Klinge meines silbernen Jägermessers im Fell eines anderen der uns angreifenden Wölfe.
Zwar liebe ich den Nahkampf, doch sind all die Tritte und Schläge, die ich beherrsche, bei Werwölfen leider ziemlich nutzlos.
Ein kaltblütiger Stich an der richtigen Stelle ist deshalb, in dieser Situation, meine einzige Option.

Schon damals, als ich zum ersten Mal einen Jäger im Tal entdeckt hatte, hätte ich eins und eins zusammen zählen müssen.
Wissen sollen, dass sie so skrupellos wären, sich sogar mit den Allerhöchsten der Werwölfe selbst zu verbünden, um zuerst alle anderen in Ruhe abschlachten zu können.
Bis sich dann irgendwann die Gelegenheit bietet, auch ihren vermeintlichen Partner von der Bildfläche verschwinden zu lassen.

Falls dies allerdings tatsächlich ihr glorreicher Plan gewesen sein sollte, wird der Jäger, dem ich dieses Messer zu Beginn des Kampfes abnehmen konnte, mit Sicherheit keinen Anteil mehr daran haben.
Dafür habe ich schließlich höchstpersönlich gesorgt, als ich ihm sein eigenes Werkzeug erbarmungslos in seine Halsschlagader gerammt habe.

Schon vor Minuten habe ich aufgehört, irgendetwas dabei zu empfinden.
Die Stimme, die in meinem Kopf immer wieder Mörderin brüllt, konnte ich dadurch bereits in die hinterste Schicht meines Unterbewusstseins verdrängen.
Denn ich weiß, dass es dieses mal anders ist.
Ich habe nämlich schlichtweg keine Wahl. Es geht hier nur noch ums nackte Überleben.

Entweder sie oder wir.

Und auf keinen Fall bin ich bereit dazu, die Bewohner des Vallis Mortis sterben zu lassen.
Im Gegensatz zu unseren Angreifern, haben sie diesen Krieg nicht gewollt.
Alles, was sie sich wünschen, ist Frieden.
Deshalb bin ich fest dazu entschlossen, nichts unversucht zu lassen, um ihnen eben genau diesen zu ermöglichen.

Auch wenn ich dafür einen Teil meiner eigenen Seele auf ewig verliere.

In einem flüchtigen Moment der Ruhe, sehe ich mich auf dem Schlachtfeld um.
Da erregt plötzlich eine Frau der Gegenseite meine Aufmerksamkeit.

Wieso hat sie sich noch nicht verwandelt?

Man könnte mich wohl dasselbe fragen. Nur wissen Mason und die meisten anderen, dass es mir immernoch schwer fällt, die Verwandlung bewusst zu kontrollieren.
Glücklicherweise habe ich das aber gar nicht unbedingt nötig, da ich in der Vergangenheit genug Kampftraining in meiner Menschenform hatte, um mich auch so behaupten zu können.

Doch was ist ihr Grund?

Mit gerunzelter Stirn steht sie beinahe regungslos in mitten des Geschehens.
Ein paar dunkle Strähnen, welche ihr aus dem Zopf gerutscht sein müssen, kleben nun auf ihrem schweiß-nassen Gesicht. Was sie allerdings nicht zu stören scheint.
Eher wirkt es so, als interessiere sie sich überhaupt nicht für all das, was sich gerade um sie herum abspielt.
Der Ausdruck in ihren stechend blauen Augen ist leer und weit in die Ferne gerichtet.
Die Uniform der Wächterrats-Armee sieht vollkommen falsch an ihr aus. Wie ein schlechtes Kostüm, in das man sie nur hineingezwängt hat.
Je länger ich sie beobachte, umso mehr erscheint es mir, als wäre nur ihr Körper gerade hier anwesend, während der Geist darin längst das Weite gesucht hat.

Eine leere Hülle.

"Selene!", schreit eine dominante Stimme auf einmal der Frau entgegen.
Sie reagiert nicht.

Mein Augenmerk auf den Sprechenden lenkend, erkenne ich einen Mann mittleren Alters.
Sein Gesicht ist stark vernarbt und an der Art wie er sich gibt, sowie an den Abzeichen auf seiner Uniform, meine ich zu erkennen, dass er einen weitaus höheren Rang als sie haben muss.

Amara & Mason ~ Alpha Der RudellosenWhere stories live. Discover now