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Vorne bei Rosie angekommen, lächelte sie zuerst breit und schnalzte darauf missbilligend mit der Zunge. Was hatte ich denn jetzt wieder angestellt, wo ich doch gerade erst seit fünf Minuten in der Bar war? Es war kein Glas zu Bruch gegangen, ich hatte niemandem die Nase gebrochen oder einen Streit angezettelt. Ich war schon beinahe langweilig fromm wie ein Lamm.

„Schätzchen, wo hast du dich denn heute wieder herumgetrieben?"
„Warum?", gab ich begriffsstutzig zurück. Sich dumm stellen war manchmal einfach am besten, um herauszufinden, in welche Richtung das Gegenüber mit seinen unbestimmten Fragen wollte.

„Zum einen mag ich ja deine Haarfarbe, Jess. Ehrlich. Der dunkle Ansatz, der in einer türkisen Haarpracht endet, sieht genial aus! Und erst mit diesen neuen blauen Highlights! Aber Schätzchen – deine Frisur! So zerzaust habe ich dich noch nie gesehen. Sieht aus, als hätte dort ein Vogel genistet – nein, gleich eine ganze Familie."

Ich gluckste über das Bild, das sich bei ihrer Bemerkung in meinem Kopf bildete, räusperte mich aber schnell, als sie mich verkniffen anstarrte. Huch, das war also doch nicht scherzhaft gemeint?

„Danke. Ich tue mein Bestes für diesen natürlichen Windböen-Look. Für den Rat, ein paar Strähnen indigoblau zu färben, bin ich meiner guten Freundin, die einfach einen unglaublichen Stil besitzt, noch immer dankbar und werde es ewig sein, sogar bis in mein Grab."

Mit einer Hand auf dem Herzen zwinkerte ich ihr grinsend zu, da sie diese besagte Freundin war und Komplimente hortete und ablegte wie alte Omas Bonbons in Glasbehältern. Eigentlich hatte Rosie mir beim letzten Mal, als sie mich und meinen dunkel nachwachsenden Ansatz bemerkt hatte, der bereits einige Zentimeter breit gewesen war, nahegelegt, meine Haare komplett dunkelblau zu färben und darin grüne, pinke und lila Strähnen unterzumischen. Aber ehrlich? Dazu war ich einfach viel zu faul und es war nicht ganz mein Stil. Da könnte ich ja gleich mit Ohrringen und Ketten durch die Gegend laufen. Deswegen waren der Ansatz und die türkisen Haare geblieben und lediglich durch ein paar Strähnen ergänzt worden. Das hatte ich mit dem Farbwechselstift gemütlich auf der Couch erledigen können, während ich mit der anderen Hand mit einem alten Jo-Jo gespielt hatte, das die Frettchen zu erwischen versucht hatten. Bei der Erinnerung daran, wie begeistert die beiden flink hin und her gewuselt waren, wischte ich mir lächelnd einige Haare aus dem Gesicht.

„Und wo hast du dir das da eingefangen?", fragte sie und deutete mit ihrem weißen Stift auf mein Gesicht.
Kurz war ich verwirrt und wusste nicht, was sie meinte, dann spürte ich wieder ein kleines Brennen und erinnerte mich an den Hieb des Vampirs, der mir die Wange blutig gekratzt hatte. Ich wedelte mit der Hand. „Ach, das ist nur eine Schramme. So ein kleines Nagetier hat mich gekitzelt. Wollte mit mir spielen und ich hatte keine Lust mehr."

Böse starrte Rosie mich an und obwohl sie erst sechsundzwanzig und somit nur zwei Jahre älter war als ich, wirkte sie gerade, als wäre sie meine Mutter und ich ein ungezogenes Kind, das einen Lolli gestohlen hatte. Oh ja, ein Lolli wäre jetzt etwas Feines!

„Red keinen Bockmist. Was hast du heute gejagt – Werwolf, Vampir oder sonst irgendeine Absonderlichkeit? Wissen Jayden und Julian Bescheid? Ich glaube nicht, dass sie erfreut darüber sein werden."

Pikiert schob sie ihre Brille ein Stück runter und sah mich über den Rand hinweg streng an. Normalerweise war sie die nette Sekretärin mit großem Mundwerk. Jetzt hingegen spielte sie den bösen Cop, der einem Angst einjagen konnte. Wow, und das alles in einer Person.

Ich war beeindruckt und wand mich, als ich nach einer Antwort suchte. Jayden lag mir seit Ewigkeiten damit in den Ohren, gemeinsam mit mir auf die Jagd gehen zu wollen, und sein Bruder Julian war kein bisschen besser. Doch ich weigerte mich vehement gegen den Vorschlag der beiden, mit Jayden zu jagen, und ich hatte meine Gründe dafür. Gute Gründe.

Gerade wollte ich den Mund öffnen, um eine freundliche, na gut, eher eine witzige, ausweichende Antwort zu geben, da pöbelte mich einer der angepissten Jäger aus der Reihe hinter mir an. Seine Schnapsfahne und der Gestank seines schweißgetränkten Hemdes brannten in meiner Nase. Wie appetitlich.

„Was soll die Scheiße? Zuerst drängelt sich dieses Püppchen vor und jetzt veranstaltet ihr hier einen Kaffeeklatsch?"
Püppchen! Hat mich dieser Kerl gerade Püppchen genannt?

Er konnte mir ja vieles an den Kopf werfen, aber verdammt – Püppchen? Aus dem Augenwinkel sah ich ein kurzes Messer, das er versteckt in der Hand hielt. Schnell schüttelte ich meine Entrüstung über seinen Kosenamen beiseite und im nächsten Moment fuhr meine eigene kleine Klinge namens Bo aus, die wie eine gefährlich glitzernde Verlängerung meines rechten Handgelenks aussah. Diese versteckten Messer – Bo rechts und Bo links - die ich mit ledernen Messerscheiden eng um die Unterarme geschnallt hatte, waren manchmal wirklich praktisch. Vor allem, wenn es schnell gehen musste.

Was Schnelligkeit anging, übertraf mich dieses Mal sogar Rosie, was ich auf meine Empörung aufgrund des „Püppchens" schob. In dem offenen, kleinen Fenster, das in dem kugelsicheren Glas eingelassen war, um Waren und Bezahlung auszutauschen, prangte jetzt ein Pistolenlauf, der direkt auf die Fresse des Typen gerichtet war. Rosie sah mit der Waffe in der Hand, die gut verborgen und nur für uns drei sichtbar war, knallhart aus. Ihre Stimme aber klang freundlich wie die einer Bibliothekarin, die nach der Ausleihdauer eines Buches fragte.

„Sei so nett und steck deine Waffe weg, Arschgesicht. Dann bediene ich dich heute vielleicht noch, anstatt dich rauswerfen zu lassen oder dein Gehirn in der Bar zu verteilen. Einverstanden?"

Ich selbst hatte meine Klinge Bo wieder eingezogen, da Rosie wie damals ihr alter Herr die Sache voll im Griff hatte. Der Typ neben mir hustete, obwohl es eher wie ein zurückgehaltener Fluch klang, und drehte sich fort, um zurück an seinen Platz in der Reihe zu stapfen. Rosies Pistole musste tatsächlich Eindruck auf ihn gemacht haben.

„Danke. Hübsche Waffe, Rosie."
„Gerne, Schätzchen. Für dich doch immer. Also, warst du allein auf der Jagd, ohne Jayden zumindest Bescheid zu geben? Und erzähl mir keinen Scheiß, ich bekomme es ja doch raus."

Mit schief gelegtem Kopf sah ich zu Rosie hoch und kniff die Augen zusammen. Würde es etwas bringen, mich wie ein Knirps rücklings auf den Boden zu werfen, dabei hin und her zu wälzen und zu schreien? Ich fürchtete, das funktionierte nur bei süßen Kleinkindern, also gab ich es zu.

„Na schön, ich war allein. Aber ...", setzte ich theatralisch eine Pause, während ich meinen Schatz – die Büchse - hervorholte und sie mit einer übertriebenen Geste öffnete, „... nicht lange! Hab dort drei neue Freunde gefunden."

Vielsagend zwinkerte ich und schüttelte die Dose, in der scheppernd die weißen Beißerchen hin und her wackelten. Grinsend sah ich wieder auf und fügte schnell hinzu: „Die Freundschaft hat aber nur kurz gedauert. Diese Idioten sind mir ins Katana gelaufen! Kannst du dir das vorstellen?! Ah, Mist. Dabei fällt mir ein, dass dort noch ein Typ, ähm ... sprichwörtlich rumhängt. Ich muss Jayden anrufen!"

Kopfschüttelnd sammelte Rosie die Zähne ein, stopfte sie in eine spezielle Gildenbox und tippte auf der Holo-Tastatur sowie auf dem Sicherheitsglas vor sich herum, um mir den Sold zu bestätigen. Dabei konnte nur Rosie die Daten sehen, die über die innere Glaswand huschten.

„Was auch immer du da gerade schwafelst ... Rede mit Jayden, und sag ihm, dass du verletzt wurdest. Glaub ja nicht, ich hätte nicht bemerkt, dass du dir vorhin auch die Seite gehalten hast."

„Ja, Mami. Mache ich alles, jetzt her mit meinen Kröten", flötete ich und warf ihr eine Kusshand zu, um das Thema damit endgültig zu beenden. Ich streckte ihr den linken Arm entgegen und hielt ihn direkt vor die Öffnung, damit Rosie mit ihrem elektronischen Stift an meinen HandChip kam und mir dort das Geld draufladen konnte. Dieser HandChip war, wie bei allen anderen, zwischen Daumen und Zeigefinger eingepflanzt. Mit einem ‚Pling' wurde die Transaktion erfolgreich bestätigt und als ich auf meine linke Hand hinuntersah, konnte ich meinen neuen Kontostand in 3-D-Anzeige in der Handinnenfläche aufblinken sehen.
Fette Kohle! Das gefiel mir.

Nachdem ich mich noch einmal bei Rosie bedankt und ihr zum gefühlt zweihundertsten Mal versichert hatte, Jayden von meinem kleinen Rempler zu erzählen, verabschiedete ich mich und marschierte gut gelaunt aus der Bar. Zwar bekam ich noch ein paar grimmige Blicke der anderen Jäger ab, aber diese ignorierte ich geflissentlich.

***

MONSTER GEEK: Die Gefahr in den WäldernWhere stories live. Discover now