8.1 - Es reicht vollkommen, wenn man mich Göttin nennt

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Passend zu meiner Stimmung und meiner Vorahnung ging die Sonne längst unter, als ich den Wald erreicht hatte und mir der würzige Duft von Fichten entgegenschlug. Zusätzlich hatte ein leichtes Nieseln eingesetzt und die Temperatur war gesunken. Wenn ich ausatmete, konnte ich beinahe eine weiße Wolke vor meinen Mund ausmachen, während ich mich zwischen den hohen Buchen und anderen Bäumen hindurchwand. Den Gleiter hatte ich in einer Einkerbung zwischen zwei Felsen geparkt und versucht, ihn somit vor neugierigen Augen zu verbergen. Da ich nicht wusste, wo sich das kleine Biest versteckte, hatte ich vor, einfach an der nächstgelegenen Waldstelle mit meiner Suche zu beginnen, nur wenige Fahrminuten vom Motel entfernt.

Unter meinen Klamotten trug ich Thermounterwäsche, was zwar nicht sehr sexy war, aber da mich nur der Werwolf oder die Kinder, die ich vorhatte zu retten, sehen würden, machte mir das nichts aus. Darüber trug ich wie immer meinen Kampfanzug, der in Wirklichkeit aus einer schwarzen Lederhose und einer dazu passenden Jacke über schwarzem Top bestand und sich wie eine zweite Haut an mich schmiegte. Das Leder war so weich und speziell verarbeitet, dass es nicht hinderlich war, sondern mir genügend Bewegungsfreiheit ließ und sogar wärmte. Die Haare hatte ich zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengefasst und anschließend geflochten. Das blau-türkis gefärbte Zopfende baumelte auf meinem Rücken hin und her und streifte dabei den Seesack, der schwer auf meinen Schultern lastete.

Wie immer in solchen Situationen verfluchte ich meine geringe Körpermasse beziehungsweise eher meine weibliche Statur. Ich war schnell und geschickt im Kampf, geübt mit Waffen und eine gute Schützin, war jedoch nicht dafür geschaffen, auf längere Zeit schwere Lasten zu schleppen. Dafür fehlte mir die extra Portion Muskeln, wie sie oft nur Männer besaßen.

Bereits nach zwei Stunden, die ich geräuschlos durch den Wald geschlichen war, spürte ich den verspannten Nacken und ein leichtes Brennen in den Beinen. Vielleicht hatte ich doch zu viel in den Seesack gestopft oder ich sollte damit anfangen, auf meine Cousins und Onkel Héctor zu hören. Immerhin lagen die drei mir ja ständig damit in den Ohren, mit Jayden jagen zu gehen, und für einen Auftrag wie diesen wäre das tatsächlich nett gewesen. Dann hätte er diese blöde, zentnerschwere Tasche schleppen können.

Kurz lächelte ich bei diesem Gedanken, doch dann sah ich wieder meine Mutter vor mir. Wie sie vor all den Jahren zu uns zurückgesehen hatte, als unser Zuhause angegriffen worden war. Den traurigen Blick darin, der die Gewissheit zeigte, sie würde bei dem Versuch, mich und Dad zu retten, sterben. Wie es auch passiert war und das nur, weil die beiden mich beschützen wollten. Wäre Dad nicht mit mir geflohen und hätte ihr geholfen, hätten sie eine Chance gehabt, dieses Biest zu töten und aufzuschlitzen. Ich wollte nie schuld daran sein, dass meinetwegen so etwas passierte.

Gerade Jayden sollte das wissen, er müsste das doch nachempfinden können. Als sein Zwillingsbruder Julian damals an der Wirbelsäule schwer verletzt wurde und dadurch nun im Rollstuhl saß, hatte sich Jayden ebenfalls selbst die Schuld daran gegeben. Ich sah noch immer seine Tränenspur vor mir, während wir neben dem Krankenbett von Julian gesessen und in sein blutleeres Gesicht gestarrt hatten. Damals hatte mir Jayden verraten, dass sie ein Werwolfrudel hatten überfallen wollen – nur zu zweit. Julian war skeptisch gewesen, wollte weitere Jäger anfordern, aber Jayden war schon immer ein Draufgänger gewesen und wollte nur einen Blick riskieren. Dieser kurze Blick hätte diese beiden Idioten fast das Leben gekostet, weil Jayden nur einmal unvorsichtig und zu vorschnell gehandelt hatte.

Ich war keine Heldin, ich war ebenfalls manchmal unachtsam, obwohl ich es zu vermeiden suchte. Doch ich war ebenso bloß ein Mensch, und Menschen machen nun mal Fehler – das ist der Unterschied zwischen uns und den Maschinen. Wenn ich aber einen Fehler machte, bezahlte nur ich ihn und niemand sonst. Nicht meine Mutter, nicht meine Cousins oder mein Onkel – nur ich allein. Alle ihre Gesichter schwebten lächelnd vor meinem geistigen Auge und ich schluckte schwer.

MONSTER GEEK: Die Gefahr in den WäldernWhere stories live. Discover now