sechzehn

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BIRNE

Mein Blick ist an die Decke meines Zimmers gerichtet. Ich halte das zweite Kopfkissen, das eigentlich kaum benutzt wird, in meinen Armen.

Normalerweise würde ich mir mehr Gedanken darüber machen, dass ich gerne nicht mehr allein aufwachen würde. Aber meine Kapazität nagt nach guten anderthalb Wochen immer noch an dem Gespräch mit Kristin.

Sie hat mich zu Anfang total eingeschüchtert. Durch ihr Pokerface hatte ich die Befürchtung, dass ich sie nur nerve und sie das nur Mücke zuliebe tut. Wir sind allerdings auf Augenhöhe, nicht nur weil wir gleich groß sind. Es hat sich endlich mal jemand nicht über meine Größe lustig gemacht.

Ihre kobaltblauen Haare haben mich aber irgendwie abgeholt. Ich konnte ihrer sehr selbstbewussten Art standhalten und mich ihr ziemlich gut öffnen. Kristin ist kein Mücke, denn sie hat mir klipp und klar gesagt, was sie denkt oder wie sie Situationen einschätzt.

Die Bulgarin hat mir geschildert wie sie ihre Sexualität für sich definiert, sich aber hauptsächlich als queer labelt. Sie hat mir allerdings auch klar gemacht, dass ich mir keinen Begriff aufdrücken muss, sondern einfach mein Ding machen kann.

Sie hat absolut recht damit, dass man das keinesfalls muss. Aber ich möchte das für mich irgendwo. Es zu benennen hat mir schon immer geholfen, mich besser zu verstehen.

Nur bin ich bisher nicht darauf gekommen, romantische und sexuelle Anziehung voneinander zu unterscheiden. Kristin hat mir erklärt, dass sie bisexuell ist, aber sich absolut nicht vorstellen kann eine richtige Beziehung mit einem Typen einzugehen. Da sie sich bisher auch nur in weiblich gelesene Personen verliebt hat, kam bei ihr dann die Unterscheidung zwischen Sex und Romantik.

Homoromantisch, aber Bisexuell klingt wie etwas das auch zu mir passen würde. Theoretisch zumindest. Denn in der Praxis renne ich immer wieder gegen eine Wand, wenn ich mich selbst so bezeichne. Ich habe eine kleine Ewigkeit damit verbracht, mich zu verstehen. Da ist es eigentlich logisch, dass es nicht von null auf hundert erledigt ist.

Es klopft an meiner Tür und kurz darauf streckt Lou ihren Kopf hinein. Nala ist natürlich auch mit von der Partie. Die Hündin drückt sich durch den Türspalt und springt neben mich aufs Bett. «Machst du dich langsam mal fertig?», fragt sie und ich seufze.

Heute ist Heiligabend. Das heißt, dass wir bei unserer großen Schwester Monika, ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter zu Gast sind. Unsere Eltern kommen natürlich auch, weswegen meine Stimmung etwas gedrückt ist.

Es ist natürlich grandios, mit einer riesigen Identitätskrise im Gepäck auf einer Familienfeier aufzuschlagen. Ich fühle mich absolut nicht gewappnet.

Ich hatte gehofft, mir bis heute irgendwas einzufangen, um die Feiertage zu meiden und einfach nur mit Nala zuhause zu bleiben. Am liebsten würde ich zu Silvester springen. Gustav hat mich zu seiner Feier eingeladen und ich kann es irgendwie kaum erwarten.

«Ich gebe mir Mühe», murmle ich.

Lou atmet laut auf. «Ich lasse deine Tür mit Absicht offen. Wenn du aufstehen willst, um sie zu schließen, kannst du auch einfach ins Bad gehen und dich unter die Dusche stellen.»

Tatsächlich stört es mich sehr, dass meine Zimmertür offen steht. Genervt und widerwillig krieche ich aus dem Bett und stelle mich vor meinen Kleiderschrank.

Meine Wahl fällt selbstverständlich auf eine schlichte, dunkle Jeanshose und ein weißes Hemd. Da meine Eltern dabei sind und Mona selbst sehr gläubig ist, werden wir heute nicht um eine Messe herumkommen.

Meine Augen landen auf der Kuhmütze, die mir Mücke zu meinem Geburtstag geschenkt hat. Ich will die anderen Geschenke nicht schlecht machen, aber das ist mein absoluter Favorit.

in case I fall for youWhere stories live. Discover now