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Tag 1 v.N.

Thor war so gut wie tot.

Ich wandte mich wieder Kane zu, um das Bild nicht sehen zu müssen.

Überall hatten sie es zeigen lassen.

Ein Video, in dem Thor fast zu Tode geprügelt wurde. Ein Video, das zeigte, was mit all denen passierte, die Widerstand leisteten.

Kaum hatte ich eine Person wieder, war ich auch schon dabei, die nächste zu verlieren.

Ich wusste, dass es auch für Kane nicht einfach war.

Sein bester Freund war dabei für ihn sein Leben zu geben.

"Was machen wir?" Die Frage hing mehrere Momente im Raum, ohne dass jemand sie beantwortete.

Schließlich zuckte Kane nur mit den Schultern und wandte sich ab.

Wir waren nicht wieder zum Widerstand zurückgekehrt - aus dem einfachen Grund, dass er kaum noch existierte.

Die Ablenkung waren sie gewesen. Ich weiß nicht, wie viele gestorben waren.

Stattdessen landeten Kane und ich irgendwo im Wald in einer alten Siedlung, die schon lange nicht mehr bewohnt wurde, da alle Menschen in die Städte getrieben wurden.

Seltsam das solche alten Häuser überhaupt noch hier standen.

Ich dachte immer, die Light hätten alles der alten Welt zerstört.

Sogar ein paar wenige Konserven standen noch hier. Allesamt schon seit Jahrzehnten abgelaufen. Gegessen hatten wir davon dennoch.

Fließendes Wasser gab es hier natürlich nicht mehr, dafür allerdings einen kleinen Bach ganz in der Nähe.

Unwillkürlich fragte ich mich, wie es wohl vor der Einteilung auf der Erde gewesen war.

Darüber hatte mir nie jemand etwas erzählt. Vermutlich weil die meisten Menschen es selbst nicht wussten.

Auch Kane war verwundert gewesen, hier noch Häuser stehen zu sehen, mir aber dann ziemlich schnell erklärt, dass sie vermutlich als Raststätte für Soldaten genutzt wurden.

Hier gab es keinen Strom, geschweige denn überhaupt elektrische Geräte, die ich kannte.

Gesehen hatten wir das Video über Thor nämlich nur im Auto.

Mehrmals hatte ich Kane schon gefragt, was ich wegen Thor tun sollten, doch er hatte nicht ein einziges Mal geantwortet.

"Kane!" Jetzt fuhr ich ihn regelrecht an, doch noch immer antwortete er nicht.

Als ich ihn schließlich ungeduldig an der Schulter packte, seufzte er.

"Ich weiß es nicht, Lyon, okay? Ich weiß es nicht."

Mit zusammengekniffenen Augen schüttelte ich den Kopf. "Vergiss es. Du hast irgendwas vor, sonst wären wir nicht hier geblieben. Wir wären einfach weitergefahren. Verkauf' mich nicht für dumm!"

Kane seufzte wieder. "Ja, weil es keinen Zweck hat zu fliehen. Sie wissen, dass wir noch irgendwo hier draußen sind. Sie werden uns jagen. Wenn wir wegrennen, haben wir eigentlich keine Chance. Sie werden nicht erwarten, dass -"

Er brach den Satz ab und schüttelte den Kopf. "Auf jeden Fall wäre es wirklich -"

Wieder verstummte er.

Im nächsten Moment wusste ich auch schon weshalb.

Ein lautes Motorknattern durchbrach die Ruhe des Waldes.

Unwillkürlich spannte ich alle Muskeln an, bemerkte dann aber, dass Kane sich nicht rührte.

Was hatte er vor?

Als das Geräusch immer lauter wurde, wurde ich unruhig. "Kane!"

Angesprochener schüttelte knapp den Kopf und zog mich schnell aus dem Haus, bis wir an einem der Hänge standen, die hier überall vorhanden waren.

Wenn man da runterfiel - da war ich mir wirklich so gut wie sicher -, war man tot.

Mein Ehemann hielt mich eng umschlungen in seinen Armen und starrte hinab in die Tiefe.

Es war ziemlich spät. Die Sonne war fast untergegangen, dennoch erkannte ich sofort die Soldaten, die mit auf uns gerichtete Waffen in unsere Richtung maschierten.

"Kane", wisperte ich fast lautlos.

Er reagierte gar nicht.

Kurz fragte ich mich, ob er uns umbringen wollte, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder.

Ich vertraute Kane. Er würde wissen, was er tat.

Oder?

Etwa zwanzig Meter von uns enfernt blieben die Soldaten stehen.

Zwischen ihnen trat Derek, Kanes älterer Bruder, hevor. "Ich würde ja sagen, schön, dich zu sehen, aber das ist es nicht", begann er seine Rede und legte den Kopf schief. "Diesesmal hast du wohl deinen Verrat nicht gut genug geplant. Du bist öffentlich aufgeflogen, es tut mir leid, kleiner Bruder. Tötet sie."

Kane hob abrupt den Kopf, da begann es schon Schüsse zu regen.

Blitzschnell hatte er uns umgedreht, so dass die Kugeln jetzt seinen ungeschützen Rücken trafen.

Die Wucht der Aufschläge warf uns um, keiner von uns beiden konnte das Gleichgewicht noch halten.

Wir stürzten in die Tiefe.

Tief in mir drin wusste ich, dass ich jetzt ... in Kanes Armen bereit war zu sterben.

Dark and LightWhere stories live. Discover now