35 Die große kleine Überraschung.

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┊  ┊  ┊          ★ ISABELL

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Die Vorfreude Harry heute Abend ganz für mich alleine zu haben war groß. Ich machte mich direkt nach der Uni auf den Weg zu ihm, besorgte chinesisches Essen und wimmelte ihn ab, als er anbot mich abzuholen. Ich war sicher, dass ich mit der Tube schneller bei ihm war, als er mit dem Auto bei mir.

Mittlerweile war der Schnee nur noch Matsch und es regnete, so wie es für London üblich war. Der Dunst kam zurück und das Gefühl, Nachts in jeder Ecke Jack the Ripper zu sehen, ebenfalls. Ich war erschöpft, aber ich war mir sicher, dass ich meinen inneren Akku bei Harry wieder aufladen konnte.

Das heutige Seminar hatte mal wieder an meinen Kräften gezerrt. Nicht zuletzt, weil Gruppenarbeit für mich immer furchtbar war. Ich hatte niemanden von meinen vier Leuten verstanden, um uns herum redeten alle und ich konnte mich nicht richtig beteiligen. Mittlerweile sollte ich es wirklich gewohnt sein.

Aber gewisse Grenzen trafen mich jedes Mal aufs Neue.

In schnellen Schritten brachte ich das Stück zwischen Harrys Haus und der Bahnstation hinter mich. Mit eiskalten Fingern klingelte ich an der richtigen Hausnummer und konnte es kaum erwarten ins Warme zu kommen.

Harry öffnete mir die Tür und ich stürzte als Erstes ins Innere. Meine Glieder fühlten sich sofort weniger taub an und er lachte: „Tolle Begrüßung."

„T-Tut mir l-leid", ich klapperte mit den Zähnen und pellte mich aus meinem Mantel. Noch immer hatte ich Harrys Schal und wie es aussah wollte er ihn auch nicht zurückhaben. Ich drehte mich um und stellte mich auf Zehnspitzen, um ihn zu küssen. Auf halben Weg kam er mir entgegen.

Er roch nach frischen Aftershave und Creme, so als wäre er erst vor wenigen Minuten aufgestanden. Aber wahrscheinlich kam er eher aus der Dusche. Meine Finger glitten über seinen Nacken und just in diesem Moment erschauderte Harry.

„Woah, was hast du für eiskalte Flossen", beschwerte er sich und nahm mir das Essen ab. Er wandte sich zur Küche und ab da wurde es merkwürdig. Harry blickte sich mehrmals um, stellte die Tüte mit dem chinesischen Essen auf der Arbeitsplatte ab und schien etwas zu suchen.

Ich versuchte mich nicht irritieren zu lassen: „Was ist die Überraschung, von der du gesprochen hast?"

Ein unglaublich breites Grinsen erschien auf seinen Lippen und er beschwor: „Du wirst es lieben! Warte einen Moment, ich habe ein Geschenk für dich und – es ist perfekt!" Harrys Augen strahlten und die Vorfreude wurde riesig. Wenn er schon so überzeugt davon war, dann konnte es nur gut sein.

Er eilte aus der Küche und ich machte mich daran unser Essen auszupacken und Besteck auf den Tisch zu legen. Schließlich kehrte Harry zurück und ich drehte mich mit einem glücklichen Lächeln um.

Sekunden darauf hielt er mir eine Kugel Wolle mit Knopfaugen unter die Nase.

Zuerst wusste ich überhaupt nicht, wie ich reagieren sollte, doch dann bewegte sich das Stück Wolle und mir leckte das Ding über das Kinn. Völlig verdattert starrte ich erst die Wollkugel an und schließlich meinen Freund, der aussah, als habe er mir einen Lottoschein mit sechs Richtigen überreicht.

„Ist er nicht süß?", Harry schien vor Stolz aus sämtlichen Nähten zu platzen. 

Der winzige Welpe zuckte mit den kurzen Beinchen und automatisch hob ich die Arme, um den Hund anzunehmen. Doch dann zog ich hastig meine Hände zurück. Ich musste erst einmal Luft holen, da ich jegliches Atmen eingestellt hatte. Nur langsam begriff ich, was er mir da andrehen wollte.

Flüsternde Hände ✓Where stories live. Discover now