Die Skouros - Kapitel 1.2

80 10 0
                                    

Sie hätte es besser wissen müssen. In dem Moment, in dem sie ihre Hand gesenkt hatte, sah sie den dunklen Schemen erneut. Noch in ihrer Drehung zerrte sie das Halstuch vom Mund. Der penetrante Gestank trieb ihr Tränen in die Augen. Schnell sog sie die Luft durch den Mund ein und stieß ihn durch die Nase wieder aus. Ein Umstand, der sie Zeit kostete.

»Fos!« Durch das geflüsterte Wort begann ihre Hand zu leuchten. Nur ein zarter, bläulich-weißer Schimmer, der den Skouro jedoch sofort zurückweichen ließ.

Sie konnte ihn nicht entkommen lassen. Schritt für Schritt trat sie auf ihn zu. Der Seelenlose jedoch entglitt ihr immer weiter. Ihr Tempo erhöhte sich, sie joggte beinahe schon.

Die Gasse schien kein Ende zu nehmen. Sie wollte den Skouro festnageln. Doch um ihn zu zerstören, musste sie ihn berühren. Nie zuvor war sie ihm so nahe gewesen wie heute. Ella konnte nicht sagen, warum sie es wusste. Warum sie sich so sicher war, dass sie dem einen gegenüberstand, der ihr Jeremy genommen hatte. Oder war es nur Einbildung? Seit er Jeremys Körper verlassen hatte, war sie ihm nicht mehr so nahe gewesen.

Der Schatten wich immer weiter zurück, dem Ende der Gasse entgegen, aus dem es kein Entkommen gab. Dieser Umstand ließ Ella zweifeln, ob tatsächlich sie die Jägerin in diesem Spiel war. Sie schien direkt in eine Falle zu tappen.

Als hätten ihre Freunde dasselbe gedacht, tauchten plötzlich zwei Gestalten vor Ella auf. Schatten wie sie, jedoch mit einem zarten Silberglanz ums Handgelenk - die Verbindung zu ihren Körpern außerhalb von Skiàs Welt.

»Das ist ein Hinterhalt, Ella!«, rief Jan. Doch die Warnung kam zu spät. Er deutete in Richtung des offenen Endes der Sackgasse. Ella fuhr ihren Schattenkörper herum und entdeckte sofort die vier Schemen, die lautlos und unverborgen auf sie zukamen. Tiefdunkle Schatten, die keinerlei Verbindung zu einem Körper aufwiesen, wie menschliche Jäger oder Wandler sie besaßen: Skouros.

Kim fixierte weiterhin den Skouro, den Ella gejagt hatte. Eigentlich war es Ellas Prüfung. Jan und Kim sollten lediglich ihren Körper in der echten Welt begleiten, wie es für Jäger Vorschrift war. Niemand durfte ohne Etairos überwechseln und sich Skiàs dunklen Söhnen stellen. Doch zum Glück hatten sich Jan und Kim dafür entschieden, einzuspringen.

Sie pressten sich Rücken an Rücken. Kim visierte den einzelnen Skouro an, Jan und Ella wollten die anderen vier abwehren. Nahezu zeitgleich erhoben sie ihre rechten Hände und sprachen den Fos. Ihre Hände wurden sofort von dem Zauber umgeben und das Licht drängte die Schatten zurück. Für den ersten Moment. Denn plötzlich wuchsen ihnen aus den Händen Schwerter, die sie auf Ella, Jan und Kim richteten. Mit jedem Wimpernschlag kamen sie näher und Ella wagte es nicht mehr, zu blinzeln.

»Weiß einer von euch, wie man so ein cooles Lichtschwert materialisiert, wie Nikolaos es letztens vorgeführt hat?«, murmelte Jan. Nikolaos hatte ihnen demonstriert, welche Waffen den Jägern zur Verfügung standen. Da sie alle jedoch noch nicht wirkliche Kämpfe bestreiten sollten, gehörte das zum späteren Teil der Ausbildung. Nach der Eignungsprüfung, die heute für Ella stattfand.

Auch wenn Ella nicht wusste, ob Jan sie sehen konnte, schüttelte sie lediglich den Kopf. Die Skouros waren nur noch einen Meter von ihnen entfernt, die dunklen Schwerter durchbrachen bereits das Leuchten, das von Ellas Handfläche ausging.


NeumondschattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt