Training - Kapitel 4.1

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Verdammt, tat das weh! Nik hatte seine Drohungen wahr gemacht und behandelte die drei nun wie richtige Jäger. Er nahm sich im Übungskampf nicht mehr zurück, wie er es in den letzten Monaten getan hatte. Softie-Behandlung hatte er es genannt. Wie viel Unterschied zwischen einem Softie-Training und dem für Jäger bestand, musste Ella am eigenen Leib erfahren. Der Holzstab, den sie im Nahkampf als Ersatz für die Lichtwaffen benutzten, war hart gegen ihren Oberschenkel geknallt, als sie für einen kurzen Moment ihre Deckung vernachlässigt hatte. Sie rieb über die schmerzende Stelle, als könnte sie die Nervenenden so dazu bewegen, sich nicht mehr gegen sie und ihre Konzentration zu erheben.

»Ella, ich habe schon Schnecken gesehen, die schneller reagieren als du«, rief Nikolaos ihr zu, während er seinen Stab verteidigend gegen Jan richtete.

Nik kämpfte gegen alle drei Neolaias auf einmal und doch hatten die Neulinge keine Chance. Immer wenn Ella dachte, sie hätte eine Lücke in seiner Deckung oder einen wunden Punkt anvisiert, bereit, auszuholen und zu treffen, hatte Nik sich bereits gedreht. Er war stets in Aktion, wirbelte herum, dass einem schwindelig werden konnte. Dabei waren seine Bewegungen so geschmeidig, als würde er tanzen.

Ella ließ den Holzstab sinken und beobachtete den Kampf fasziniert. Was war sein Geheimnis? Die fließenden Sprünge und Drehungen? Die Bewegung des Stabes, hoch und runter, dann von der einen zur anderen Seite geneigt. Ella war sich sicher, dass allein dieser wie mechanisch vonstattengehende Rhythmus für einen Teil seines Erfolges verantwortlich war. Sicher, er reagierte auch auf die Angriffe von Jan und Kim - dies waren jedoch nur wenige Momente.

»Au!«, schrie Kim auf, während ihr Stab davonflog und sie mit schmerzverzogenem Gesicht ihren linken Oberarm hielt. Kim war Linkshänder, ein absoluter Vorteil im Kampf, wie Nik behauptete. Dieser hatte sich aber noch in keinem Moment gezeigt.

»Du kämpfst wie ein Mädchen«, neckte sie der Trainer, während er Jans unkoordinierte Schläge parierte.

»Ich bin ein Mädchen«, schnaubte Kim, während sie zu ihrem Kampfstab stapfte, der am Ende des Trainingsraumes lag. Ihre blonden Haare waren zu einem strengen Pferdeschwanz zusammengebunden, der nun von einer zur anderen Seite schwang. Mit Kim hatte Jan wirklich eine gute Partie gemacht. Sie war eines der hübschesten Mädchen des Abschlussjahrgangs gewesen und im Gegensatz zur Schulzicke Michelle, die ihr rein vom Äußeren her sehr ähnelte, zeigte sie auch eine innere Schönheit. Sie war gerecht und zu jedem freundlich, stand für ihre Freunde ein, ganz gleich, wie lange sie schon an ihrer Seite waren. Ella hätte nie gedacht, dass Kim gemeinsam mit Jan und ihr die Ausbildung zum Jäger absolvieren und den Studienplatz zur Tarnung annehmen würde. Der Schattenrat hatte großen Einfluss und vermittelte ihnen allen ihr Wunschstudium, in Wahrheit büffelten sie dort jedoch Theorie, wälzten alte Bücher über Mythologie und halfen so, noch mehr über die Geschichte Skiàs herauszufinden. Dieser Teil, das Opfer für das Wissen des Rates, war Pflichtteil der Ausbildung und jeder Neolaia musste daran teilnehmen.

Hier zeigte sich wöchentlich, dass Kim nicht nur hübsch und nett, sondern auch sehr klug war. Ella machte das Forschen mit Kim Spaß, sie war zu einer echten Freundin geworden und sie ergänzten sich wunderbar. Die Befürchtung, Kim könnte Ella ihren besten Freund Jan wegschnappen, hatte sich schnell in alle Winde verstreut. Kim neckte ihn ebenso gerne wie Ella und so waren sie ein tolles Team.

Auch wenn Jan oft mit mieser schauspielerischer Leistung versuchte, den Eingeschnappten zu spielen, wusste seine beste Freundin doch, dass er tief im Herzen ebenso froh war wie sie, dass sich alle so nahtlos zusammengefunden hatten.

Ella beobachtete Jan, der im Moment eisern Niks Schläge parierte. Bis er besiegt war, mussten die Mädchen vom Rand des Kreises zuschauen. Jan nutzte ebenfalls Niks Technik, fiel Ella auf. Nur dass ihm die Anstrengung auf die Stirn geschrieben stand. Zwischen zwei Schlägen wischte er mit dem Handrücken über die Schweißperlen und strich sich die blonden Fransen aus dem Gesicht. Ella fing Kims Blick auf, die für einen kurzen Moment ihre Augen klärte, ehe sie wieder dem Muskelspiel ihres Freundes zusah. Jans Körper war schon vor all dem hier gut trainiert gewesen. Als Hobby-Fußballer und Trainer des Nachwuchses war er mindestens zweimal die Woche auf dem Fußballplatz gewesen. Das Muskeltraining unter Niks Aufsicht hat seinen schmalen Körper etwas breiter gemacht, jede einzelne Erhebung an den Armen war wohldefiniert.

Es gab eine Zeit, vor vielen, vielen Jahren, da hatten Ella und Jan gedacht, sie würden mehr als Freundschaft füreinander empfinden und versuchten sich an einem Remake der Sandkastenliebe. Schon am nächsten Tag war klar, dass der Vorabend besser aus dem Kalender gestrichen gehörte und sie einen solchen Versuch niemals wieder wagen sollten. In Kim hatte er nun letztendlich die perfekte Partnerin gefunden und Ella wünschte sich von ganzem Herzen, dass ihr Glück für immer anhalten würde.

Jan schien Kims Blick auf sich zu spüren und er sah für einen kleinen Moment zu ihr an den Rand des Kreises. Und schon segelte sein Stab nach einer kleinen Handbewegung von Nik hinfort und prallte an der holzgetäfelten Wand ab.

Ein Grinsen stahl sich auf Niks Gesicht: »Dasselbe gilt übrigens für dich. Auch wenn du dich etwas besser geschlagen hast.«


NeumondschattenWhere stories live. Discover now