Thara - Kapitel 1.4

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Thara sah zum Fenster hinaus. Grün, wohin das Auge blickte. Rasen, Bäume, Wiesen, Felder, noch mehr Bäume, noch mehr Wiesen.

Selbst heute wusste die Achtzehnjährige nicht, warum ihre Mutter damals gewünscht hatte, dass sie ausgerechnet diese Schule im Süden Deutschlands besuchte, weit entfernt von ihrem Wohnort in London und ebenso dem Land ihrer Vorfahren.

Ihre Eltern waren beide griechischer Abstammung und hatten ihre Tochter auf den wohlklingenden Namen Tharalea getauft. Thara empfand ihn als zu lang, daher wurde sie von ihren Mitschülern nur Thara genannt. Ihr Vater - wenn sie ihn denn mal zu Gesicht oder auch nur ans Telefon bekam - nannte sie Lea.

Ihr Name war eine Art Kompromiss gewesen, hatte er ihr irgendwann erzählt. Der Wunschname ihrer Mutter war Thara gewesen, ihr Vater hatte für Lea gestimmt. Wie er jedoch später dem letzten Wunsch seiner verstorbenen Frau nachgekommen war und Thara für das Abschlussjahr auf die Schule in Salem geschickt hatte, hatte er damals auch nicht auf seinen Namenswunsch beharrt. Nachdem Tharas Mutter kurz nach der Entbindung gestorben war, hatte er ihr einen Doppelnamen gegeben.

Da stand sie nun: ihr Name ein Kompromiss, ebenso ihr ganzes Leben. Sie war während der Unterrichtszeiten hier im Internat, während der Ferien in London. Doch ganz gleich, wo sie war, ihren Vater sah sie so gut wie nie.

Sie hatten sich auch vorher schon auseinandergelebt, ihr Umzug vor fünf Monaten hatte diesen Zustand nicht einmal verschlechtert.

Tharas Blick fiel auf ihre Mitschülerinnen zwei Stockwerke unter sich. Heute Nachmittag war Yoga angesagt. »Die beste Möglichkeit, seine Energien zu fokussieren«, wie die Schulleiterin immer zu sagen pflegte. Das ganzheitliche Getue und die Naturverbundenheit waren das Einzige, das Thara am »Mädcheninternat Salem« störte. Anstelle von Yoga nutzte sie den Trainingsraum im Keller und übte die Kampftechniken, die sie von klein auf von ihrem Vater beigebracht bekommen hatte.

Auch wenn sie sich gegen dieses Leben entschieden hatte, wollte sie doch gewappnet sein, sollte sie einmal auf einen seelenlosen Schatten treffen.


NeumondschattenWhere stories live. Discover now