Nik - Kapitel 1.3

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»Du meinst so etwas Cooles wie das hier?«, rief eine Stimme aus dem Nichts und ein Licht durchschnitt zuerst die Luft und dann den Skouro links außen. Er zerbarst in einem Leuchtregen. Ein weiterer Dolch aus purem Schein schoss auf den mittleren Skouro zu und zerstörte auch ihn.

Nun waren die anderen gewarnt, wichen zur Seite, versteckten sich in den echten Schatten der Mülltonnen und waren mit bloßem Auge nicht mehr auszumachen, so sehr Ella auch die Augen zusammenkniff.

Mit einem Sprung landete Nikolaos genau neben ihnen. Sein Körper war dermaßen durchtrainiert, dass man selbst an seinem Schatten jeden einzelnen Muskel der Oberarme erkennen konnte. Auch an seinem Handgelenk funkelte der Lichtreif seiner Seele, die Verbindung zu seinem Körper.

Plötzlich durchschnitt ein Schrei die Stille. Sofort wirbelte Nikolaos, beweglicher als man es von einem so großen Körper erwarten würde, an Kims Seite. Ihr Fos war bereits erloschen, völlig von dem Skouro eingesaugt.

»Oplo!«, rief ihr Ausbilder laut und hielt im selben Moment ein weißglühendes Langschwert in der Hand. Doch der Skouro bewegte sich in unmenschlicher Geschwindigkeit. Er wich zurück, sprang auf einen Glascontainer am Ende der Gasse und überwand mit einem großen Satz die Mauer zum angrenzenden Grundstück. Er war ihnen entwischt.

Schnell durchforsteten Ella und Jan die Schatten neben den Mülltonnen, um die beiden übrig gebliebenen Skouros zu suchen, jedoch ohne Erfolg. Sie hatten mit der Ankunft von Nikolaos das Weite gesucht.

Die Umgebung gesichert, eilte Jan zu Kim, die ihren rechten Arm an den Oberkörper gepresst hatte und vor Schmerzen aufstöhnte. Beruhigend fuhr Jan ihr über den Rücken. »Zum Glück ist er nicht noch näher gekommen«, flüsterte er, als wäre er sich eben erst der Gefahr bewusst geworden, in der sich die drei Neolaias befunden hatten.

Gemeinsam mit Nikolaos, oder auch Nik, wie er sich zu Beginn ihrer Ausbildung vorgestellt hatte, trat Ella zu den beiden.

»Kehrt zurück. Die Wunde muss schnellstmöglich versorgt werden«, befahl er.

Ella sprach den Diavasi laut und deutlich, wie es jedem Neolaia beigebracht wurde. Sofort war der Übertritt geschafft und ihr Bewusstsein war wieder in ihrem echten Körper. Auch ihre Freunde waren zurückgekehrt.

Nikolaos nahm Kims rechte Hand vorsichtig in seine, streckte ihren Arm und untersuchte die Wunde. Ella war immer wieder schockiert, was die Verletzungen in Skiàs Reich dem Körper in der echten Welt antun konnten. Kims Arm war von der Hand ausgehend dunkelrot gefärbt, als hätte sie starke Verbrennungen erlitten. Doch es waren keine Verbrennungen. Es war die beginnende Verwesung der berührten Körperteile. Kim musste schnellstmöglich behandelt werden.

Nik zog ein kleines Päckchen aus seiner Gesäßtasche und packte es aus. Ein Verband befand sich darin, der vom Magos mit einem Zauber versehen worden war. Auch Ella hatte einen solchen in der Tasche. Ohne dieses Hilfsmittel müssten verletzte Jäger den Schmerz bis zur Behandlung durch den Heiler ertragen. Früher oder später würden sie vor Qual zusammenbrechen. Kaum waren Kims Hand und ihr Arm eingewickelt, entspannte sich ihr Gesicht. Die Magie darin wirkte sofort.

Ella war bisher von einer Verletzung durch Skouros verschont geblieben. Bis auf heute, dem Tag ihrer Prüfung, hatte sie stets Nik an ihrer Seite im Skià gehabt und die Schatten waren vernichtet gewesen, ehe sie Ella zu nahe rücken konnten.

Dankbar sah Kim Nikolaos hinterher, der die Gasse entlangging. Als keiner von den Neolaias Anstalten machte, ihm zu folgen, rief er, ohne sich umzudrehen: »Der SUV parkt in der nächsten Straße. Oder wollt ihr etwa laufen?« Mit einem lauten Lachen, als wäre nichts geschehen, lief er weiter.

So war Nik. Seit sie ihn vor knapp drei Monaten kennengelernt hatten, konnte ihn nie etwas aus der Fassung bringen. Er war die Ruhe in Person, ein Fels in der Brandung. Ganz gleich, ob man einen ruhigen Pol im Kampfgeschehen benötigte oder beim Training, das ihn sicher das eine oder andere Mal zum Verzweifeln brachte. Er blieb stets die Ruhe selbst.

»Los! Gehen wir, damit Kim schnellstmöglich vom Magos behandelt werden kann«, motivierte Ella Jan und seine Freundin. Die beiden hatten nie auch nur daran gedacht, Ella in der ganzen Zeit hängen zu lassen. Eigentlich war es ihr Kampf. Sie selbst wollte dem Schatten entgegentreten, der ihr Jeremy genommen hatte. Ihr Wille war groß genug gewesen, um ihr altes, verträumtes und alles andere als selbstbewusstes Ich zu Rapunzel in den Turm zu sperren und die Rolle des tapferen Ritters zu übernehmen. Die Retterin, die ihren schlafenden Prinzen aufwecken würde.

Doch dazu musste sie die Prüfung bestehen, bei der sie nicht gerade erfolgreich gewesen war. Kim war verletzt, sie und Jan hätten gar nicht erst eingreifen dürfen. Von Nikolaos' Auftritt ganz zu schweigen. Ella verzog den Mund und ließ sich etwas zurückfallen. Während sie weiter ihren Gedanken nachhing, beobachtete sie Kim und Jan. Er hatte seinen Arm um Kims Hüfte gelegt. Sie fest an sich gepresst, gingen sie nebeneinander her.

Ella spürte ein schmerzhaftes Ziehen in ihrer Brust, das unwillkürlich das Bild von Jeremy in ihren Geist projizierte. Sie sah den leichenblassen Körper vor sich, wie er aufgebahrt in den Räumen des Magos' lag, sein kaum mehr sichtbarer Schatten wie graue Spinnweben neben sich.

Ella schüttelte den Kopf. Sie verbot sich diese Gedanken, die sie in den trüben Sumpf aus Schuldgefühlen stürzten, weil sie ihm nicht helfen konnte. Sie versuchte, stark zu sein. Sie musste stark sein. Für Jeremy. Für ihre Freunde. Kim war verletzt und musste geheilt werden. Was Ella unweigerlich mit den Bildern konfrontieren würde, die sie soeben aus ihrem Geist verbannt hatte.


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