Aspyn findet für jede Lösung ein Problem

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Der Zwillingsdetektor flackerte. Zumindest fühlte es sich in Pandoras Kopf so an, als würde jemand eine Glühbirne in schnellem Tempo an- und wieder ausschalten. An, aus, an, aus, an... Seufzend, griff Pandora im Geiste nach der Verbindung, schaltete sich gewissermaßen 'online'. Am anderen Ende spürte sie Aspyns Gefühle lodern. Ihre Schwester machte sich Sorgen. Große Sorgen, doch es hatte nichts mit ihrer spontanen Selbstentzündung und dem verpassten Pokalspiel zu tun...
"Hast du wieder deinen schwarzen Mann gesehen?" Nachdem sie mitsamt ihren Schulbüchern im Arm aufgestanden war, strich sich Pandora die blonden Haare glatt.
"Er ist nicht MEIN schwarzer Mann! Und er verfolgt mich! Wie ein Stalker!" Auf Aspyns Scheitel zündelte plötzlich ein Flammenkamm auf, wie bei einem Hahn aus der Hölle. "Scheiß Pedo!"
"Als ob du nicht jedem Pedo Angst einflößen würdest. Die rufen doch panisch nach ihrer Mami, wenn du sie anfunkelst."
"Nicht lustig, Pandi! Nie hab ich meine Ruhe vor dem! Immer beobachtet er mich!"
"Vielleicht ein Fußball-Talentscout?"
"Ein Talentscout in einer schwarzen Mönchskutte? Der jedes Mal in eine dunkle Gasse abhaut, wenn ich ihn zur Rede stellen will?"
Pandora tippte mit dem Zeigefinger zweimal auf den Holztisch. "Sag ich doch, er hat Angst vor dir!"
<<Du bist so eine hirnlose, dumme...>>, teilte ihr Aspyn über den Zwillingsdetektor mit, bevor Pandora die Verbindung unterbrach.
Mit einem lauten Poltern, das ihr gleich darauf schon wieder leid tat, schmiss sie ihre Zimmertür wenige Sekunden später ins Schloss, um etwas Abstand zwischen sich und Aspyn zu bringen. Himmel, Hergott nochmal... Ihre Schwester trieb sie regelmäßig zur Weißglut!
Je älter die Zwillinge wurden, desto besser konnten sie die Flammen kontrollieren, außer sie bekamen ihre Tage oder Wutanfälle.
In letzter Zeit häuften sich Aspyns Wutanfälle, was vor allem mit dem schwarzen Mann zusammen hing. Und der bisher noch nicht aufgetauchten magischen Gabe...
Von innen lehnte sich Pandora gegen die Zimmertür. Die Schulbücher rutschten ihr aus den kraftlosen Fingern. "Heilerin!", flüsterte sie mehr zu sich selbst. Sie wollte nichts lieber werden, als Heilerin in der Phoenix-Gemeinschaft. Ihre bevorzugte der vier magischen Gaben, die Phoenixe ab ihrem 15. Lebensjahr entwickelten.
"Hey Mädchen, seid ihr da?", wieder flog die Haustür auf und wurde danach krachend ins Schloss geworfen. Die Emotionen in dieser Familie schienen immer am Überkochen zu sein.
"Nein, Mom!", rief Aspyn aus der Küche.
"Ah gut. Dann lebst du noch? Nicht von der Polizei in ein Versuchslabor gekarrt worden, weil du das halbe Fußballstadion in Brand gesteckt hast?", rief Mom zurück.
Pandora seufzte. Ihre Familie war laut. Sehr laut. Mit Außnahme von Pandora.
"Nee heute nicht, Mom. Aber eine schöne Idee, wenn ich mich am Sonntag mal langweile!"
Auf dem Weg zum Bett steckte sich Pandora die Finger in die Ohren, bevor sie sich rückwärts darauf fallen ließ, so dass ihre Kuscheltiere in die Höhe katapultiert wurden. Natürlich nützte das rein gar nichts.
<<Mom will, dass du in die Küche kommst>> teilte Aspyn ihr über den Zwillingsdetektor mit, den Pandora unglücklicherweise nicht fest genug verschlossen hatte. <<Wegen dem verkackten Bonzen-Ball>>
Kurz überlegte Pandora, ob sie sich tot stellen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Das würde nichts nützen. Nicht so lange das Band zwischen ihnen existierte.
<<Mach schon. Ich weiß, du lebst da drin noch>>, drängelte ihre Schwester auch schon.

In der Küche, die in der Größe und im Design an einen halben U-Bahn Waggon erinnerte, lehnte sich Pandora mit dem Rücken gegen die Spüle. Aspyn hatte es sich mit angezogenen Beinen auf der breiten Fensterbank bequem gemacht, während Mom einen Brief am Küchentisch studierte.
"Wir müssen euch noch Kleider für morgen besorgen. Nachdem die alten unglücklicherweise in Flammen aufgegangen sind."
"Upps", machte Aspyn vom Fensterbrett aus und betrachtete dabei ihre Fingernägel.
Mom hob den Kopf. Mit ihren dicken blonden Haaren und dem wachen Blick wurde sie oft für die große Schwester der Zwillinge gehalten. In Wirklichkeit war sie 35 Jahre alt. Die Zwillinge hatte sie bereits mit 18 Jahren bekommen.
"Ach Mom, ich glaub das mit dem Brand im Kleiderschrank war ein Omen. Wir sollten lieber nicht zur Krönungszeremonie gehen", bemerkte Pandora wie beiläufig.
Wie immer wenn eine ihrer Töchter diesen unschuldigen Ton anschlug, legte Lina Pearcinson den Kopf schief und beobachtete sie genau. "Warum denn nicht, Schatz? Ist das nicht eine großartige Möglichkeit auf ein paar Jungs in deinem Alter zu treffen, die so sind wie du?"
"Du willst doch nur dorthin, weil du diesen Tierpfleger wieder sehen willst, Mom", warf Aspyn ein. "Seit du ihm am Unabhängigkeitstag begegnet bist, planst du doch schon euer Wiedersehen."
Das Oberhaupt der acht Phoenixfamilien wohnte in einem Schloss, mitsamt Privatzoo, der am vierten Juli für alle Phoenix zugänglich war.
"Stimmt doch gar nicht. Ich möchte euch mit netten Phoenix-Jungen verkuppeln und außerdem unser neues Oberhaupt kennenlernen", meinte Mom wenig überzeugend.
Pandoras Kopf ruckte nach oben. "Wie verkuppeln? Mom, ich werde mich nicht mit Jungs verabreden, ich hab wirklich Wichtigeres im Kopf. Ich muss für das Stipendium lernen!"
Aspyn rutschte vom Fensterbrett. "Außerdem ist meine reizende Zwillingsschwester dem Jungfrauen-Club der Schule beigetreten und gefährdet damit übrigens auch meinen Ruf!"
"Stimmt das, Pandi?", wollte Mom wissen. "Du bist in diesem religiösen Kein-Sex-vor-der-Ehe-Club?"
Eine Weile beobachtete Pandora einfach nur die Falten, die die Stirn ihrer Mutter in diesem Moment warf.
"Ja, Mom", gab sie letztendlich zu.
Aspyn hielt ihrer Mutter die offene Handfläche hin. "Hab ich's dir doch gesagt!"
Stöhnend verdrehte Mom die Augen, kramte dann in der Jackentasche ihrer orangenen Thermo Joggingjacke und zog fünf Dollar hervor, die sie Aspyn nur äußerst widerwillig aushändigte.
"Ihr habt auf mich gewettet? Das glaub ich jetzt einfach nicht! Ihr seid solche unreifen Hühner!" Pandora lief rot an, drehte dabei an ihrem silbernen Purity Ring, den sie vor kurzem im Keuschheitsclub der Casa Grande Union High School erhalten hatte.
"Verdammt!", fluchte Mom und überreichte weitere fünf Dollar an die feixende Aspyn, was Pandora mit einem wütenden Blick quittierte. "Ihr sollt aufhören auf mich zu wetten!"
"Schatz, ich würde dir dringend raten uns nicht mehr unreif zu nennen, sonst habe ich nächste Woche nicht mehr genug Scheine für dein Taschengeld."
Grummelnd steckte Pandora ihre Fäuste in die graue Yogahose. Man könnte wirklich meinen, Mom sei ihre Drillingsschwester und nicht ihre Mutter. Von ihrem kindischen Verhalten her jedenfalls.
"Also wir drei. Mall. Jetzt. Abendkleider besorgen." Mom stand auf und band sich ihre Nike Sportschuhe indem sie die Füße auf der Tischplatte abstützte. "Obwohl: Seid ihr beide heute menstruationsbedingt schon in Flammen aufgegangen oder laufen wir Gefahr die Mall in Brand zu stecken?"
"Schon erledigt, Mom", meinte Aspyn. "Fußballstadion."
"Braves Mädchen."
Pandora verdrehte die Augen. "Sie wollte ja nicht hören. Hat es aber gerade noch so nach Hause geschafft."

Nachdem Pandora die Haustür hinter sich zugezogen hatte, hielt sie ihre Mutter kurz am Arm fest. "Wer wird morgen Abend nochmal zum neuen Oberhaupt gekrönt?"
"Na so ein austauschbarer Obrey Bonze. Bestimmt ist er auch noch Multiplikator und schwimmt in Geld und Diamanten", presste Aspyn hervor. Ein Multiplikator zu sein, war eine der vier magische Begabungen, die innerhalb von Phoenix Familienclans auftraten.
Da ebendiese magische Begabung bisher nur in Obreys und Allingtors Familien aufgetaucht war, schien Aspyns Vermutung durchaus naheliegend.
"Oh da fällt mir ein: Opa wird morgen Abend auch da sein und er hat mir erzählt, er hätte eine Überraschung für euch." Mom sprang auf den Bürgersteig und hielt ihren Töchtern die Tür auf, durch die blendendes Sonnenlicht in den Flur drang.
"Was? Och nö! Sicher wieder nur ein Test, mit dem er die magische Begabung aus uns herauskitzeln will. Langsam nervt's echt!" beschwerte sich Aspyn so laut, dass ein Chihuaha, der gerade an ihr vorbei tapste, vorsorglich den Schwanz einzog. Ob ihre Schwester damit den hundertsten Versuch ihres Großvaters meinte, sie auf eine magische Gabe zu testen, oder einfach die frustrierende Tatsache, dass keiner der beiden bisher eine Gabe entwickelt hatte, obwohl sie bereits älter als 15 Jahre waren, wusste Pandora nicht zu sagen.
"Los kommt schon Mädels. Zeit sich herauszuputzen und einen netten Phoenix Typen abzuschleppen!" Mom hopste auf dem Gehsteig in Richtung ihres roten Toyotas. "Aber bringt mir bloß keinen aus dem Suelo-Clan nach Hause!" Der Suelo-Clan lag mit dem Edison-Clan, dem die Pearcinson Familie angehörte seit Jahrzehnten im Streit.
"Mom, du bist so...."
"Sag's nicht. Denk an dein Taschengeld, Pandora!"

Games of Flames [Leseprobe]Where stories live. Discover now