Pandora lernt, dass man nicht für jedes Problem einen Heiler braucht

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Pandora kniff die Augen zusammen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! In diesem Moment erschien ein Arm am unteren Ende ihres Sichtfelds. Drew rammte ihr fast den Ellenbogen gegen die Schulter. Sollte das eine Aufforderung werden, sich bei ihm unterzuhaken? Sah ganz danach aus ... Und ihr blieb keine andere Wahl. Um sie herum starrten sie alle erwartungsvoll an, wie eine Erstklässlerin, die ihre Zuckertüte für ein Foto in den Arm gedrückt bekam.
Drew führte sie tatsächlich von ihrer Familie weg, in Richtung einer der Bars, die unter weißen Stoffzelten aufgebaut waren. Immerhin etwas Kühles zu trinken! Die Hälfte der Drinks wurden zwar von blauen züngelnden Flammen auf der Wasseroberfläche verziert, doch es musste sicher auch kühle Getränke geben.
„Auch ein Bier für dich?", wollte Drew schließlich wissen, nachdem er den ganzen Weg über geschwiegen hatte. Sein elfenhaftes Ohr zuckte.
„Ähm, nein danke. Für mich Ginger Ale bitte."
Ohne ein weiteres Wort ließ er sie an einem Stehtisch zurück, der mit Lavendel und Zitrus Früchten dekoriert war. In der Mitte erhob sich eine Flamme im Glaszylinder, wie eine Topfpflanze bei rein menschlichen Gartenfesten. Sie nahm eine Zitrone und drehte sie in ihrer Hand. Phoenix-Menschen achteten auf die alten Traditionen ihrer Heimatstadt, die nicht nur nach ihnen benannt war, nein Phoenix, Arizona war auch für seine Zitrusfrüchte, jede Menge Kupfer, Viehzucht und Baumwolle bekannt.
Zwei Minuten später war Drew mit einem Bier und einer Apfelsaftschorle zurück. Pandora starrte erst ihn und dann das Saftgetränk an, das er ihr hinhielt. Na das konnte ja heiter werden!
So ungemein heiter, das in den nächsten Minuten keiner von beiden ein Wort sagte. Drew pulte an dem Etikett seiner Bierflasche herum und Pandora schnaubte nur ab und zu, wenn sie einen Schluck Saft nahm, den sie weder bestellt hatte, noch besonders leiden konnte.

<<Na, hast du Spaß?>>, hörte sie irgendwann Aspyns Stimme in ihrem Kopf.

<<Ja, ungefähr so viel Spaß wie bei einer Beerdigung>>

<<Dann ist ja gut. Der Hulk hat mich gerade gefragt, ob ich die Emotionen meines Dates lesen könne.>>
Aha, da versuchte Grandma Beth wohl herauszufinden, ob Aspyn sich zur Emotionenleserin entwickeln könnte. <<Aber nein, kann ich natürlich nicht. Außer, dass er mich mit seinen Blicken quasi auszieht und ich daher mal frei auf seine Gedanken schließen könnte ...>>
Pandora musste sich das Grinsen verkneifen, dann hob sie den Kopf, um ihre Schwester in der Menge zu erspähen, aber das stellte sich als aussichtsloses Unterfangen heraus. Zu viele Phoenixe trieben sich auf dem Rasen herum.

<<Jetzt bittet mich der Hulk, dich zu fragen, ob du die Gedanken von diesem Lubrin Bonzen lesen kannst ...>>
Seufzend wandte Pandora ihre Aufmerksamkeit wieder Drew zu, versuchte sich sogar anzustrengen, seine Gefühle wahrzunehmen, obwohl das natürlich alles vollkommen idiotisch war. Was empfand Drew Acewrin in diesem Moment? Aber nein, nichts passierte.
<<Nein, keine Chance.>>
Dennoch betrachtete sie ihn eine Weile, wie er penibel das Klebeetikett an seiner Flasche nach und nach ablöste und zu einem kleinen Scheiterhaufen aufschichtete. Dann, als nur noch Klebereste an der Flasche zurückgeblieben waren, kniff er die Augen zusammen und ließ den Haufen in Flammen aufgehen. Bevor das Tischtuch in Brand geraten konnte, pustete er die Asche vom Tisch. Ziemlich ausgefuchst.
Seine Lippen bewegten sich die ganze Zeit über. Möglicherweise summte er seinen Lieblingssong, oder war einfach nur irre. Auf einmal umfasste er seine Bierflasche, als wolle er von ihrem nichtvorhandenen Etikett ablesen. Doch er schwieg einfach weiter, presste seine Finger nur noch fester gegen das braune Glas. Und auf einmal verbog es sich! Die Flasche verzog sich so, dass Drew seine Finger genau in der Mitte in eine Einkerbung legen konnten. Er hatte die Flasche personalisiert auf seine Handform gepresst, sozusagen. Ohne das Glas kaputt zu machen. Unglaublich.
„So mag ich sie lieber." Er hob den Kopf und zuckte einmal kurz mit den Schultern. Ein Kraftbündler also ... Etwas in Pandoras Kopf zerrte an ihrem Gehirn. Doch es war nicht das Zwillingsband. Etwas anderes ... eine Information über den Lubrin Clan, die sie vor Kurzem aufgeschnappte hatte ... Doch der Gedanke verflüchtigte sich schon wieder, je intensiver sie danach zu greifen versuchte. Sie nahm einen weiteren Schluck von diesem widerlichen Saftgemisch, das die Leute in Europa so gerne tranken; verschluckte sich dieses Mal aber daran. Auch das noch! Heftig hustend klopfte sie sich selbst auf das Dekolleté, was ihr ein paar verwunderte Blicke der umstehenden Gäste einbrachte. Drew jedoch rührte sich nicht. Nicht, dass sie es gut gefunden hätte, wenn Mister-Elfenohr ihr auf den Rücken geklopft hätte, dennoch ging es hier ums Prinzip! Hustend und prustend machte Pandora einen Schritt rückwärts, wobei sie zu ihrer großen Bestürzung mit ihrem rechten Stöckelschuh Jemandem auf den Fuß trat. „Oh nein, Verzeihung ..." Sie drehte sich um und die Worte blieben ihr im Hals stecken. Hinter ihr stand das neue Phoenix Oberhaupt. Sie hatte Daryan Sutrey ihren Absatz in den Fuß gerammt! Sogleich verzog er schmerzgepeinigt das Gesicht. „Arrrrgh, verdammt. Ich glaube er ist gebrochen!" Er krümmte sich nach unten.
Auch das noch! Automatisch tat es ihm Pandora gleich. „Oh Gott, das wollte ich nicht, Eure Hoheit!" Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, kramte gleichzeitig ihr Handy etwas undamenhaft aus ihrem BH hervor. „Ich rufe schnell meine Mutter, sie ist eine hervorragende Heilerin!" Vor Aufregung fand sie kaum die richtigen Tasten. Hoffentlich bekamen das jetzt nicht die ganzen Phoenixclans mit. Was für einen Skandal würde das ansonsten nach sich ziehen! Aus dem Augenwinkel musterte sie sein schmerzverzerrtes Gesicht. Warum musste gerade sie auch so tollpatschig sein und das frisch gekrönte Oberhaupt verletzen? Sie hatte gerade die richtige Nummer im Adressbuch gefunden, da packte Daryan sie am Handgelenk. „War nur ein Scherz. Und du sollst doch DU zu mir sagen."
Verwirrt hielt Pandora inne. Ein Scherz? Ein Scherz! Sie hatte sich ernsthafte Sorgen um ihn gemacht! Hatte er noch alle Streichhölzer in der Schachtel? „Gerade möchte ich recht gerne zum ‚Sie' zurückkehren", zischte sie ihn an. „Das war ein echt beschissener Scherz!" Sie straffte die Schultern, wollte sich schon von diesem ungehobelten Obrey Oberhaupt abwenden, doch wieder hielt er sie zurück. „Verstehst du denn gar keinen Spaß? Interessanter Aufbewahrungsort übrigens für ein Smartphone." Er schielte in Richtung ihres Ausschnitts.
Am liebsten hätte sie ihn in diesem Augenblick in Flammen aufgehen lassen. Während Pandora noch hörbar laut einatmete, verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Und wenn ich es mir in den Hintern stecken würde, würde es dich immer noch überhaupt nichts angehen!" Huch, woher war das auf einmal gekommen? Warum brachte dieser Typ sie nur immer wieder dazu, in die Luft zu gehen? Hatte er etwa eine seltene magische Fähigkeit, die das mit sich brachte? Nein, eher unwahrscheinlich.
Daryan lachte. „Immerhin sagst du jetzt wieder ‚du' zu mir." Das Grinsen konnte Pandora so ganz und gar nicht erwidern. Was für ein Vollidiot! Erst die Sache mit den Enten und jetzt das!
In diesem Moment räusperte sich Drew. „Schön Sie zu sehen, eure Hoheit." Daryan wandte sich ihm zu. „Oh hallo, Mister Acewrin, richtig?" Auf einmal hörte er sich ziemlich steif an, benutzte eine ganz andere Tonlage, als die, mit der er eben mit Pandora gesprochen hatte. Gab es da womöglich einen kleinen Zwist zwischen den beiden? Sofort spitzte Pandora die Ohren. Das würde eventuell noch interessant werden. So lässig wie möglich ließ sie ihr Handy in ihren Ausschnitt gleiten. „Mister Acewrin ist mein Date für heute Abend." Diese spitze Bemerkung konnte sie sich einfach nicht verkneifen. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie immer noch ihre leicht entflammbaren Tage durchmachte. Zudem hatte sie noch nie zuvor jemanden kennengelernt, der sie so sehr bis aufs Blut reizte, wie Daryan Sutrey. Am liebsten hätte sie ihn erwürgt. Leider war das keine Option. Zu viele Zeugen. Und zu viele Heiler ...
Während sie sprach, beobachtete sie jede Regung von Daryan genau. Immer noch starrte er Drew an. Nachdem Pandora ausgesprochen hatte, dass Drew ihre Verabredung für heute Abend war, zuckte ein Muskel an Daryans Kiefer. Die Flügel an seiner sonst so ebenmäßigen Nase blähten sich auf. „So so. Ist das so? Dann muss ich Sie wohl beglückwünschen, Mister Acewrin, zu ihrem bezaubernden Date."

Drew zuckte nur mit den Schultern. Am liebsten hätte Pandora ihn mit der Bierflasche geschlagen. Eine winzige Flamme schoss auf dem Nagel ihres Mittelfingers empor. Eilig drückte sie sie mit dem Daumen aus. Wäre ja noch schöner, wenn jemand ihren Ärger bemerkte.
„Wie laufen denn so die Geschäfte, Mister Acewrin? Wie man hört, liegen Sie mit Fortuna im Klinsch?", fuhr Daryan fort.
Welche Fortuna? Pandora blinzelte.
Um sie herum schoben sich immer mehr Schaulustige heran, offenbar angelockt vom Lärm und der Tatsache, dass das neue Obrey Oberhaupt recht lange an Pandoras und Drews Stehtisch verweilte.
Statt zu antworten presste Drew jetzt die Lippen aufeinander. Eine Sekunde später zersprang die Bierflasche in seiner Hand. Die Menge um sie herum atmete geräuschvoll ein, während Pandora versuchte sich vor den umherfliegenden Glasscherben in Sicherheit zu bringen Dabei stieß sie gegen Daryan. Komischerweise hob das Phoenix Oberhaupt sogleich eine Hand und hielt sie schützend vor ihr Gesicht. „Ruhig bleiben, Acewrin. Fast hätten Sie dieses hübsche Gesicht zerschnitten." Damit meinte Daryan wohl sie, Pandora. Gleich darauf nickte er den Schaulustigen um sie herum zu, um ihnen zu signalisieren, dass es hier nichts mehr zu sehen gab. Tatsächlich drehten sich die meisten von ihnen sofort in eine andere Richtung um.
Daryan Sutrey - ganz Gentlemen! Rächer der mit Scherben beworfenen armen Date-Opfer. Doch diese Nummer nahm sie ihm nach der Sache mit den Enten und dem Fuß nicht mehr ab. Schnaubend machte sich Pandora von ihm los. Wirklich, sie ertrug keinen der beiden Idioten an ihrem Tisch auch nur eine Sekunde länger!
Jetzt lehnte sich Daryan an ihr vorbei, um sich eine Serviette vom Tisch zu nehmen. Tatsächlich blutete seine Hand aus mehreren kleinen Schnitten, die er jetzt abwischte. Er hatte damit tatsächlich die Scherben von ihrem Gesicht abgehalten ... Ein wenig betreten sah Pandora an sich herunter, bemerkte dabei ein paar kleine Kratzer an ihrem Ausschnitt und einen größeren an ihrer Schulter. Allerdings tat keiner davon weh. Ihr Herz pochte dafür gerade fast schmerzhaft in ihrer Brust. Irgendwie wollte sie auf einmal nur noch von hier weg. Wollte rennen und in Flammen aufgehen und immer schneller und schneller rennen! Natürlich war das nicht möglich. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Jemand drückte ein Tuch auf ihre Schulter. Es war Daryan, der ihr eine Blutspur abtupfte. Sie drehte den Kopf und berührte dabei mit der Wange seine Hand. Verwirrt zuckte sie zurück.
„Alles okay?", wollte er lächelnd von ihr wissen.
Sie konnte darauf nur nicken. Was machte er eigentlich immer noch hier? Warum verschwand er nicht zu seinen Obrey Freunden oder rieb ein paar Allingtors unter die Nase, dass keiner von ihnen, sondern er das neue Phoenix Oberhaupt geworden war? Sie kniff die Augen zusammen. "Braucht jemand von euch einen Heiler?", fragte er jetzt.
Sowohl Drew als auch Pandora schüttelten den Kopf. Sicherlich wollte Drew vermeiden, schwach zu wirken.
Völlig entspannt legte Daryan Sutrey die Serviette zurück auf den Stehtisch. „Okay. Wie wäre es, wenn Mister Acewrin sich ein neues Bier besorgt und ich die reizende Miss Pearcinson zu einem kleinen Spaziergang entführe?"
War das ein Scherz, oder sein Ernst? Wie konnte er jetzt einen Spaziergang verlangen? War das so ein Spiel von ihm? Oder hatte er am Ende eine Wette verloren, oder etwas in der Art? Warum in aller Welt, wollte er Zeit mit ihr verbrigen? Nein, dafür war sie zudem viel zu aufgewühlt, hübsche Nase hin oder her. Außerdem: Er war das neue Oberhaupt aus dem Obrey Clan. Sie dagegen entstammte dem Edison Clan weit weit unten in der Hitliste der üblichen Phoenixpartner für einen Obrey.
Pandora warf Drew einen Blick zu, doch der hatte entweder nicht zugehört, oder beschlossen sie beide zu ignorieren. Denn er starrte nur teilnahmslos auf die Glasscherben in seiner Hand. Ein Blutrinnsal tropfte aus seiner Hand direkt auf das Gras unter ihm.
Also räusperte sich Pandora. „Nein, danke. Da muss ich leider ablehnen. Mein Date ist verletzt. Ich muss einen Verband besorgen und dann wird es sicherlich schon Zeit für den Ball sein." Sie trat näher an Drew heran. Plötzlich verspürte sie das dringende Bedürfnis, ihren Händen etwas zu tun zu geben, weswegen sie sich mit beinahe übertriebener Sorgfalt daran machte, die Splitter aus Drews Hand zu pulen. Der Lubrin Sprössling schwieg dabei immer noch. Die Stirnfalte in seinem Gesicht verriet ihr jedoch, dass er die Verletzung wie ein Mann hinnahm: sozusagen als Zeichen, dass er sich geprügelt hatte. Wahrscheinlich hoffte er sogar auf eine Narbe, mit der er angeben konnte.
„Oh verstehe." Schwang da etwa Enttäuschung in der Stimme von Daryan mit?

Games of Flames [Leseprobe]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt