Games of Flames [Leseprobe]

Gleich 2 Überraschungen warten auf Pandora

Hinter dem nächststehenden Bücherregal trat ein Junge hervor. Groß, schlaksig, mit eisblauen Augen und dunklen Strubbelhaaren, die dringend geschnitten gehörten. Auf seinem linken Unterarm klebten mehrere Notizzettel.
Die Stirn in Falten gelegt, ließ Aspyn ihren Blick über ihn schweifen. Zerschlissene graue Jeans und ein moosgrünes Hemd mit braunen Knöpfen, auf dessen Brusttasche er irgendeinen Seriensticker geklebt hatte. Was für ein Nerd. Das konnte ja heiter werden.
"Ich bin Aspyn Pearcinson und ja, ich soll hier meine Nachsitzstunden abfeiern. Also warum sagst du mir nicht einfach, was ich tun soll und wir bringen es hinter uns?"
"Wow", der Typ kratzte sich am Hinterkopf. "Normalerweise sind die Nachsitzschüler nicht so freundlich."
"Ach nein?"
"Nein."
"Genauso freundlich wie die Bibliotheks-Aufsicht, die einem noch nicht einmal seinen Namen verrät?", hakte Aspyn nach.
Der Typ legte den Kopf in den Nacken um dann ein niedliches Lachen auszustoßen. "Touché. Andererseits, ich nahm an, du kennst meinen Namen, außerdem trage ich ja das hier." Er deutete auf seinen Seriensticker mit der Aufschrift 'Orange is the new black'. "Payton Orange."
"Aha." Daher die Anspielung mit dem Sticker. Gar nicht so unclever, wie Aspyn zugeben musste.
"Da wir die ganze Woche miteinander arbeiten werden, dachte ich mir, du könnest mir helfen, die Bücher neu zu sortieren."
"In: will ich lesen und will ich nicht lesen? Das wird eine einfache Geschichte", nickte Aspyn.
Wieder ein Payton-Lachen. "Nicht so ganz. Aber es geht schon in die richtige Richtung. Ich habe mir eine Schülerfreundliche Sortierung vorgestellt. Außerdem eine gemütliche Leseecke mit den neusten Bestsellern. Wie klingt das?"
"Wenn du jetzt darauf wartest, dass ein positives Adjektiv über meine Lippen kommt, muss ich dich enttäuschen. Warum sagst du mir nicht einfach, was ich genau tun soll, damit ich diese abgerannte Nerdhölle so schnell wie möglich wieder verlassen kann?"
Grinsend schob sich Payton eine verirrte Haarsträhne aus der Stirn. "Okay, wie klingt: wir räumen diese beiden Regale leer und füllen sie dann nur mit Büchern über Kunst?"
"Ganz, ganz furchtbar. Aber wenn du mir ein Sandwich besorgst, werde ich mithelfen."
In einer patriotischen Geste legte sich Payton eine Hand auf die Brust, genau auf seinen Sticker, wobei er zu einem unsichtbaren Publikum sprach: "Dann Ladies and Gentleman haben wir damit einen Deal."

~Pandora~

Nach der letzten Musik-AG-Stunde packte Pandora so schnell es ging ihre Sachen zusammen. Da der Keuchheitsclub montags nicht stattfand, hatte sie schon am frühen Nachmittag frei. Genau wie Aspyn, die Montags nur eine Sporteinheit absolvierte anstelle von zwei. Allerdings würde ihre Schwester sicher einen späteren Bus nehmen, um nach dem Fußballtraining noch in der Schule duschen zu können.
Einen Moment zögerte Pandora. Was wenn der pickelige Typ Aspyn auflauerte? Sollte sie auf ihre Schwester warten? Doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf. Mit dem würde Aspyn schon fertig werden. Sie sollte sich lieber Sorgen um den Jungen machen.
Dennoch: langsam mussten sie der Sache mit Aspyns Verfolger auf den Grund gehen.
Seufzend stieß sie die Tür zum Parkplatz auf. Auf den Treppen und an der Straße, wo die Busse abfuhren, lungerten ungewöhnlich viele Schüler herum. Irritiert sah Pandora sich um. Der Grund für diese Massenversammlung war kaum zu übersehen. Gleich zwei schwarze Stretchlimousinen parkten mitten vor dem Schuleingang nur wenige Meter entfernt und blockierten so die Haltestelle für die Busse. Welcher von ihren Mitschülern wurde denn bitte mit einer Limo abgeholt?
Eigentlich war Pandora im Gegensatz zu Aspyn keine besonders neugierige Person, aber irgendetwas zog sie zu den Limousinen.
Beinahe kam es ihr so vor, als würde sie über die Mondlandschaft schweben, so langsam und trotzdem wie im Fluss näherte sie sich den Fahrzeugen. Um sie herum tuschelten ihre Mitschüler. Deuteten immer wieder auf die Limousinen und spekulierten wer wohl von einem Filmstar oder Prinzen auf ein Date eingeladen wurde. Direkt hinter einer großen Menschentraube blieb Pandora wie erstarrt stehen. Sie hatte die Fahnen bemerkt. Bei allen Flammen der Hölle! Das ... das waren eindeutig Wappen von zwei Phoenix-Clans auf den Fahnen am Kühlergrill. Die vordere Limousine zierte ein blaues Wappen, das drei Wellen eines Flusses zeigte. Das Wappen der hinteren Limousine beherbergte ein Kreuz an dessen vier Enden jeweils eine kleine Krone saß.
Die eine Limosine gehörte also dem Obrey Clan, während die hintere dem Lubrin Clan gehörte! Was? Aber warum?
"Pandora Pearcinson?" Aus der vorderen Obrey-Limousine stieg der Fahrer aus, tippte sich dann an die Mütze und sah sie fragend an.
Sofort erstarb das Geplapper auf dem Gehsteig. Wie das rote Meer teilte sich die Schülerschaar vor Pandora. Ausnahmslos alle starrten sie mit offenem Mund an.
"Sie können sich sicher denken, wer mich schickt, um sie abzuholen? Mister Daryan möchte sie gerne zum Tee einladen." Ihr entging nicht, dass Daryans Chauffeur bewusst nicht seinen Nachnamen nannte. Wahrscheinlich weil so viele neugierige Zuhörer anwesend waren.
Daryan Sutrey wollte sie zum Tee einladen? Warum? Und war er eigentlich noch zu retten eine Limousine zu ihrer High School zu schicken? Wahrscheinlich glaubte er damit Eindruck machen zu können. Ganz genau wie Calenta es vorhergesagt hatte!
Bevor sie auf die Frage des Chauffeurs antworten konnte, schlug die Tür der zweiten Limo zu. Der Fahrer war ausgestiegen und eilte auf sie zu. "Sind Sie Pandora?" Er schielte auf sein Smartphone, scheinbar um ihr Aussehen mit einem Foto zu vergleichen. "Mister Acewrin schickt mich, um sie zu einem Barbecue-Abend einzuladen."
In diesem Moment erstarrte Pandora ebenso wie ihre Mitschüler. Beide Limousinen waren wegen ihr hier? Drew lud sie ein? Warum das denn? Er hatte doch ebensowenig Spaß wie sie beim Krönungsball gehabt? Hatten ihre Großeltern ihn vielleicht bestochen? Nein, das war Quatsch. Aber warum dann? Allerdings konnte sie es sich nicht erlauben, die Acewrins und damit den gesamten Lubrin-Clan zu verärgern. Ihre Großeltern hatten die Verbindung quasi eingefädelt. Das zählte sehr viel unter Phoenixen. Wenn sie ablehnte, obwohl sie in den Augen seiner Familie quasi "dateten", konnte das üble Folgen haben.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie die ganzen neugierigen Blicke. Fast alle Schüler mussten sich inzwischen auf dem Parkplatz versammelt haben. Wieder und wieder hörte sie Geflüster über sich, was ihr mehr und mehr die Röte in die Wangne trieb.
Interessiert musterten sie auch die beiden Chauffeure. Offenbar warteten alle auf ihre Entscheidung. Ja ganz sicher sogar. Also tat Pandora das einzig Logische was ihr einfiel. "Ich ... äh bin nicht Pandora. Sondern Aspyn. Ihre Zwillinsschwester." Eilig machte sie ein paar Schritte rückwärts. "Ich ... äh, werde Pandora einfach mal holen gehen." Sie deutete über ihre Schulter hinweg zum Schulgebäude, stolperte dabei fast über ihre eigenen Füße. Ihre Mitschüler musterten sie verwirrt. Sicherlich wussten einige von ihnen, dass Aspyn der selbstbewusstere, sportlichere Zwilling war, doch glücklicherweise enttarnte sie niemand.
Nach ein paar Metern Rückwärtslaufen, in denen sie immer wieder andere Schüler anrempelte, drehte sie sich schließlich um und rannte die letzten Meter zum Schulgebäude. Noch im Laufen griff sie nach dem Zwillingsband. <<Aspyn! Ich brauche dich! Komm sofort zum Haupteingang. Bitte!>>
Zwei Sekunden umhüllte nur dröhnende Stille Pandora. Dann gerade als sie einer Lehrerin ausgewichen war und sich gegen eine Säule in der Aula lehnte, hörte sie die Stimme ihrer Schwester. <<Was soll die Aufregung? Ich bin noch im Umkleideraum.>>
<<Du wirst es nicht glauben>>, keuchend beugte sich Pandora nach vorn, stützte sich mit den Händen an den Knien ab, <<vor der Schule warten zwei Limousinen auf mich. Daryan und Drew haben ihre Fahrer geschickt, um mich abzuholen!>>
<<Oh klasse! Das ist ja wie bei Beverly Hills 90210!>> Aspyns Stimme hörte sich tatsächlich erfreut über diese Entwicklung an.
<<Nein, das ist gar nicht komisch! Was soll ich machen? Ich kann Drews Einladung auf keinen Fall ablehnen! Das könnte einen Konflikt mit dem kompletten Lubrin Clan auslösen!>>
<<Andererseits hat das neue Phoenix-Oberhaupt auch Interesse an dir, Schwesterlein! Wie aufregend! Okay, ich komme so schnell ich kann. Wir treffen uns in der Toilette vor dem Ausgang.>>

Keine drei Minuten später schlug die Tür zu dem kleinen Waschraum auf. Den ganzen Weg über hatte Pandora ihre Schwester mit den übrigen Infos zur Situation auf dem Parkplatz versorgt.
Gerade spritzte sich Pandora am Waschbecken etwas Wasser ins Gesicht als ihre Schwester hereinstürmte. Glücklicherweise waren sie allein. "Okay, folgender Plan: Da du Drew nicht verärgern solltest, fährst du mit ihm. Wenn du wirklich nichts von ihm willst, sorg dafür, dass er langsam das Interesse verliert und du irgendwie aus diesem Verkupplungsdeal mit dem Hulk rauskommst."
Pandora nickte. Womöglich war ihre Großmutter ebenfalls zu diesem Barbecue Abend eingeladen.
"Und ich steige als du in Daryans Limo." Aspyn wackelte mit den Augenbrauen. "Wollen wir doch mal sehen, was hinter seinen Avancen steckt. Wenn er wirklich nur auf ein Abenteuer aus ist und dich ein wenig beeindrucken will, werde ich das schon rausbekommen."
Zwar hatte sie damit gerechnet, trotzdem drehte sich bei dieser Ankündigung Pandoras Magen um. Das fühlte sich alles so falsch an! Und sie wollte unter gar keinen Umständen mit Drew Acewrin verkuppelt werden. Dem realitätsfremden Langweiler!
"Also ist es abgemacht, Pandi?"
Ein Nicken. Zu mehr war sie als Antwort nicht in der Lage.
"Gut, ich gehe vor. Warte eine Minute, okay?"
"Warte!" Pandora hielt ihre Schwester am Arm zurück. Aspyns noch feuchte Haarspitzen kitzelten  sie am Handgelenk. "Trag die Haare offen. So." Sie strich Aspyn blonde Wellen über deren Schulter.
Sofort schnellte Aspyns rechte Augenbraue in die Höhe. "Was? Willst du etwa, dass ich, oder gewissermaßen du Eindruck bei Daryan machst?"
Ein wenig beschämt zog Pandora am Kragen ihres Samtkleids. Langsam wurde es darin wirklich zu heiß. "Natürlich nicht, aber alle müssen dich für mich halten und ich trage beinahe nie einen Pferdeschwanz."
Ihre Schwerer warf ihr einen letzten argwöhnischen Blick zu, öffnete dann aber die Tür. In ihren kurzen Shorts sah sie immer noch zu sportlich für Pandora aus, aber das würden vermutlich weder der Fahrer noch Daryan bemerken. Und ihre Mitschüler würden hoffentlich die Klappe halten. "Gib mir dreißig Sekunden, Pandi."

Nach genau 29 Sekunden stürmte Pandora aus dem Waschraum, flog geradezu zur Eingangstür. Durch die Glasfenster konnte sie gerade noch sehen, wie die erste Limousine abfuhr.
Mit klopfendem Herzen raste sie die Stufen hinunter. Aspyn war auf dem Weg zu Daryan!
Niemand achtete auf sie, denn alle Schüler der Sunnyslope High waren damit beschäftigt der abfahrenden Luxuskarosse hinterherzustarren. Selbst der Fahrer von Drews Wagen. Ungläubigkeit und auch ein wenig Unbehagen lag in seinem Blick. Dann wandte er sich als Erster ab und stieg zurück in den Wagen.
Eilig hastete Pandora auf ihn zu. Er durfte nicht ohne sie abfahren!
"Warten Sie!" Mit ihren Fingerknöcheln klopfte sie an sein Seitenfenster. "Nehmen sie mich mit."
Die Scheibe glitt herunter. Ein verwirrt aussehender Chauffeur begegnete ihrem Blick.
"Ich bin Pandora Pearcinson. Meine Schwester und ich haben die erste Limousine ausgetrickst."
Immer noch verwirrt musterte der Fahrer sie. Wahrscheinlich überlegte er einen Moment. Schließlich fuhr er sich mit der Hand über seine Schläfen. Er war eindeutig hispaniolischer Abstammung. Vielleicht aus Mexiko. "Okay, steigen sie ein. Mister Acewrin wird hoch erfreut sein."
"Danke."
Offensichtlich wollte er sich nicht die Zeit und Mühe machen auszusteigen und ihr die Tür zu öffnen. Aber das war Pandora nur recht, denn inzwischen hatten ihre Mitschüler sie bemerkt. Getuschel hob an.
"Da! Das ist die andere!"
"Sie steigt in die zweite Limousine!"
"Was ist das bloß mit diesen Zwillingen und wer holt sie ab?"
Eilig riss Pandora die hintere Tür des Wagens auf. Schmiss zuerst ihre Tasche und dann sich selbst auf die schwarzen Polstersitze im Inneren. Als sie es endlich geschafft hatte, die Tür zu schließen, beruhigte sich ihr Herzschlag ein wenig. Die Geräuschkulisse war ausgeblendet. Niemand konnte sie mehr sehen.
<<Ich bin drin.>> Sie sank tiefer in den Sitz, sah sich um. Die Stretchlimousine war hinten und an einer langen Seite mit schicken Lederpolsterbänken ausgestattet. Die anderen Seiten zierte eine Musikanlage und eine riesige Minibar. Leise Loungemusik schallte aus den Lautsprechern. 
<<Ich auch>>, kam es von Aspyn.
Nachdem Pandoras Wagen vom Schulgelände gerollt war, öffnete der Fahrer die schwarze Trennwand zur Fahrerkabine. "Alles in Ordnung, Miss Pearcinson?"
"Ja. Wie lange wird die Fahrt dauern?"
"Nur fünfzehn Minuten. Sie können sich gern eine Erfrischung aus der Bar nehmen.  Mister Acewrin erwartet Sie schon."
Ach, tat er das? Obwohl es eigentlich kaum möglich war, sank Pandora noch ein wenig tiefer in ihren Sitz.