009 - WILLOW

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"Willow van Higbee - Fisk! Ich sage es nicht noch einmal! Sieh zu, dass du sofort nach unten kommst!" Sharon stand am unteren Ende der geschwungenen Treppe und schrie nach ihrer Tochter.

"Ich sage es auch nicht noch einmal. Ich werde Mister Celment nicht heiraten!", schrie Willow zurück, welche wiederum in ihrem Zimmer saß, mit abgeschlossener Tür. Dort saß sie seit der vergangenen Nacht und hatte es noch nicht gewagt ihren Eltern unter die Augen zu treten. Sie hatte nicht gedacht, dass sie es wirklich sagen würde. Dass sie ihren Gedanken aussprechen und  Daniel Celment auf der Bühne sitzen lassen würde. 

Sie hatte sich so gefühlt, als würde eine unbekannte Macht Besitz von ihr ergreifen und die Worte über ihre Lippen zwingen. Das blonde Mädchen ließ sich zurück auf ihr Bett fallen. Wie lange sie es wohl aushalten würde nichts zu essen? Ein Badezimmer war praktischer weise direkt an ihr Zimmer angeschlossen, doch das Wasser aus der Leitung war untrinkbar, da es mit Chlor gereinigt wurde um alle möglichen Schadstoffe abzutöten. 

Willow drehte sich zur Seite und blickte aus dem Fenster, welches direkt in den Garten raus zeigte. Die hohe Hecke die die kleine grüne Fläche umrandete schützte ihr Anwesen vor neugierigen Blicken der Nachbarn und spendete in den warmen Tagen gleichzeitig Schatten. Ihre Augen wanderten weiter zu den Beeten, für die ihr persönlicher Gärtner sorgte und die der größte Schatz ihrer Mutter waren, da auf ihnen sogar einige Rosen wuchsen. 

Ihr Mutter musste aufgegeben haben zu versuchen sie aus ihrem Zimmer zu locken, da ihr nerviges Geschrei endlich aufgehört hatte. Stattdessen war im gesamten Haus Ruhe eingekehrt. Willow lauschte angestrengt, ob sie jemanden hören konnte, doch es blieb still. Just in diesem Moment begann ihr Magen zu knurren. Sie hatte am Vortag nicht wirklich viel gegessen, da ihre Mutter meinte, sie passe sonst nicht in ihr speziell angefertigtes Kleid und auf der Gala hatte sie nur eines der Häppchen erwischt.

"Fred, befindet sich jemand im Haus?", sprach sie das integrierte Smart Home an. Nach kurzer Wartezeit antwortete ihr die mechanische Stimme.

"Negativ, Miss Willow. Sie befinden sich im Moment alleine in diesem Haus."

"Mach noch einen Scan. Bist du dir sicher?"

"Sie befinden sich im Moment alleine in diesem Haus."

Leise stand sie auf und huschte zu ihrer Zimmertür, die sie vorsichtig öffnete. Sie spähte durch den Spalt, doch sie sah und hörte nichts. Auf Zehenspitzen schlich sie bis zum Treppenabsatz, aber als sie dort immer noch nichts hören konnte, fasste sie all ihren Mut zusammen und schlich sich nach unten. Wachsam spähte sie um die Ecke und erreichte mit einigen großen Schritten schließlich die Küche. 

Das Personal war wohl noch nicht im Haus, denn die drei Küchenangestellten waren nicht in dem Raum. Ein leichtes Grinsen schlich sich auf ihre Lippen. Schwungvoll öffnete sie die Kühlschranktür und suchte nach etwas essbaren, wurde aber nicht fündig und schloss den Kühlschrank wieder. Willows Kehle verließ ein spitzer Schrei, als hinter der geschlossenen Tür ein älterer Mann stand und sie grimmig anstarrte.

"Edgar, Sie haben mich erschreckt. Was tun Sie hier?"

"Fräulein Willow, ich fürchte Sie müssen mich begleiten."

"Was? Nein! Wohin?"

Wortlos griff Edgar nach ihrem Handgelenk und zog sie kraftvoll hinter sich her.

"Lassen Sie mich los! Wenn das meine Eltern erfahren!"

"Ihre Eltern schickten mich Sie zu holen, Fräulein Willow. Bitte hören Sie auf Widerstand zu leisten. Sie können mir nicht entkommen."

Willow zog und zerrte an ihrem Arm. Wenn Edgar von ihren Eltern geschickt wurde, dann konnte das nichts Gutes bedeuten. Sie kamen an der Hintertür vorbei, durch welche man direkt in den Garten gelangte und Willow nahm all ihre Kraft zusammen und zog so heftig, dass Edgar nach hinten stolperte und sie los ließ. Ohne eine Sekunde zu zögern rannte sie zurück zu der Tür und wollte sie gerade öffnen, als Edgar ihr hinterher rief.

"Fred, verschließe Tür B3."

Ein Klicken war zu hören und Willow zog und zerrte so stark wie sie konnte, doch die Tür rührte sich nicht.

"Fred, öffne Tür B3!  Öffne die Tür!"

"Negativ, Miss Willow. Sie sind nicht autorisiert diesen Befehl zu geben."

Verzweifelt rüttelte das Mädchen weiter an der Tür, doch nichts tat sich und schließlich packte Edgar sie wieder am Handgelenk und zog sie rücksichtslos hinter sich her. Sie verließen das Haus durch die Fronttür, vor welcher ein dunkler großer Wagen geparkt war. Eine der getönten Scheiben wurde heruntergelassen und Sharon starrte sie aus kalten Augen direkt an.

"Steig ein, Kind! Du hast schon genug Zeit verschwendet."

Edgar zog Willow die letzten Meter und öffnete die Wagen Tür. Wiederwillig stieg sie ein. Sie wusste genau wo sie hingebracht werden sollte. Mit einem lauten Knall wurde die Autotür geschlossen. Ihre Hand zuckte zur Türklinke, doch Edgar, der neben sie eingestiegen war, zog sie zurück. 

"Zieh dich jetzt um, Willow!", herrschte ihre Mutter sie durch die offene mittel Scheibe an.

Willow blickte neben sich und entdeckte den Stapel Klamotten der dort lag. Eine weiße Bluse und eine dunkelblaue Schlaghose. Normalerweise würde sie die Sachen gerne anziehen, doch die Umstände ließen einen sauren Geschmack in ihrem Mund entstehen. Kurz zuckte ihr Blick zu Edgar. Er starrte ausdruckslos nach vorne, doch Willow wusste genau, dass der Mann seine Augen überall hatte.

"Ich ziehe mich nicht vor Edgar um", murrte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Dass sie aussehen musste wie ein kleines Kind, dass gerne ein Eis haben möchte, störte sie nicht.

"Es reicht, Willow. Zieh dich gefälligst nochmal an. Edgar hat dich schon mit weniger Stoff am Körper gesehen."

Willows Wangen wurden rot, doch als ihre Mutter sich nicht umdrehte und ihre Tochter durch das kleine Fenster mit zusammengezogenen Augen anstarrte, zog sie sich ihren Pullover über den Kopf, griff sich ihre Bluse und knöpfte sie zu. Dann schlüpfte sie aus ihrer Jeans und zog sich (extra umständlich - den Körper nur halb auf dem Sitz und die Beine lang nach vorne gestreckt, sodass sich Edgar gegen die Tür quetschte) die Hose an. Nachdem sie auch in die Schuhe geschlüpft war, die Edgar ihr gegeben hatte, drehte sich ihre Mutter endlich wieder um.

"Na siehst du. Geht doch. Warum du aus allem immer gleich so ein Drama machen musst."

Willow widerstand der Versuchung mit den Augen zu rollen und starrte stattdessen aus dem Fenster. Der Wagen raste förmlich durch die Straßen und mit einem Ruck blieb er plötzlich stehen. Willow wurde kurz nach vorne geschleudert und stöhnte auf, als sich der Gurt in ihren Bauch drückte. Sie waren an einer Kreuzung stehen geblieben. Auf der rechten Seite konnte Willow die hochgezogene Brücke sehen, die in den Doomring führte.

Daneben war eine Fußgängerbrücke, dachte Willow und biss sich auf die Lippe. Ihre Finger zuckten. Sie wusste, dass man zum Verlassen eines Ringes seine Karte nicht durch den Scanner ziehen musste. Nur zum Betreten eines Ringes musste man seinen Ausweiß durch einen Schlitz ziehen, damit von einem Gerät überprüft wurde, ob besagte Person dazu befugt war den Ring zu betreten.

Im nächsten Moment wehte Wind um Willows Nase. Sie hatte, ohne es zu bemerken, die Autotür geöffnet, als dieses mit quietschenden Reifen losfahren wollte, hatte sich raus geworfen, aufgerappelt und war Richtung Süden gerannt.

Nur über die Brücke, dachte sie sich. 

G E N - deltaWhere stories live. Discover now