011 - ELIJAH

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Elijah betrachtete den Sonnenaufgang durch sein Schlafzimmerfenster. Er hatte fast die ganze Nacht kein Auge zugetan, zu viele Gedanken spukten in seinem Kopf herum. Er dachte immerfort an das was Daniel ihm gesagt hatte und dann tauchte ab und zu ein Bild von Willow hinter seinen Augen auf. Ihre langen, blonden Haare umrahmten ihr Gesicht und die grünen Augen sprühten nur vor Leben. Dann dachte er wieder daran, wie sie ihn angesehen hatte, als Daniel vor ihr kniete.

Müde rieb er sich über die Augen und schwang schließlich seine Beine über die Bettkante. Es hatte keinen Sinn weiter im Bett zu liegen und sich zu quälen. Er musste auf andere Gedanken kommen. Mit schlurfendem Schritt ging er in sein Bad, schaltete das Licht an und sofort wieder aus, als er sich im Spiegel sah. Wenn er am Abend nicht aussehen wollte als hätte er die Seuche, sollte er sich dringend um sich kümmern.

Mürrisch schaltete er das Licht wieder ein und betrachtete die Baustelle vor ihm. Die Haare standen in zotteligen, leicht fettigen Strähnen in allen Richtungen von seinem Kopf ab, dunkle Ränder waren um seine Augen verschmiert, weil er sich nicht abgeschminkt hatte und ein dunkler Schatten legte sich über sein Kinn und seine Wangen, wo kleine Bartstoppeln sprossen.

Seufzend schälte er sich aus seinen Klamotten. Achtlos ließ er alles auf dem Boden liegen und stieg dann unter die Dusche. Das heiße Wasser entspannte seine Glieder und als er sich in seinen flauschigen Bademantel gehüllt hatte, kämmte er mit seinen Fingern seine Haare und kramte einen Haargummi hervor. Schnell steckte er seine Haare hoch, ignorierte die Strähne, die vollkommen falsch lag und rasierte sich. Die kleinen Bartstoppeln waren zwar nur leicht zu sehen, doch Elijah fühlte sich einfach unwohl, wenn die kleinen Härchen aus seinem Gesicht schossen - er wirkte dann sofort wie ein Dreißigjähriger und das Altern wollte er, so gut es ging, noch etwas hinauszögern.
Nach der Rasur wusch er sich den Schaum weg und kramte sein Peeling hervor.

"Fred, spiel Joe Cocker - You can leave your Hat on!", rief Elijah und kurz darauf schallte die Musik durch das Loft. Nachdem Elijah sich seine Gesichtsmaske auftrug, schlitterte er aus dem Bad und drehte sich.

"Baby take off your coat, real slow. And take off your shoes, I'll take off your shoes. Baby take off your dress, yes yes yes. You can leave your hat on..."

Seine Haare wippten im Takt mit und seine nackten Füße vollführten so komplizierte Schritte, dass er sich sicher war, er würde sie nicht nochmal genauso ausführen können, sollte er es noch einmal versuchen.

Plötzlich aber sprang die Haustür des Lofts auf und Daniel stand in der Tür. "Was verdammt hast du zu ihr gesagt?", rief er wutentbrannt und starrte den Barkeeper an. Dann hielt er inne. Elijah war stehen geblieben. In den Händen hielt er Mangoscheiben, die er sich noch auf die Haut legen wollte. Doch jetzt starrte er verständnislos zu dem Halbschotten. Dieser blickte ebenso eingefroren zurück, bis er sich schließlich wieder fing.

"Und was zur Hölle machst du da?"

"Gesichtspflege", murmelte Elijah. "Und was machst du hier?"

Unbekümmert legte sich Elijah die Mangoscheiben ins Gesicht und setzte sich auf das Sofa. Die Sonne schien durch die Fenster und genüsslich schloss Elijah seine Augen.

"Fred! Schalte diesen Lärm ab."

Das Smart-Home reagierte sofort und schaltete die Musik ab, zu der Elijah noch vor wenigen Augenblicken getanzt hatte. Entrüstet warf dieser die Hände in die Luft.

"Hey! Das ist kein Lärm! Das ist ein alter Klassiker!"

"Das ist kein alter Klassiker. Das Lied, wenn man das so nennen kann ist antik, so alt ist es schon."

"Das verletzt jetzt schon ein bisschen meine Gefühle", murmelte der langhaarige Asiate und verzog traurig seinen Mund.

"Ich habe dich verdammt nochmal was gefragt", sprach Daniel und Elijah hörte, wie der Mann ihm näher gekommen war.

"Hast du was getrunken?", fragte der sich sonnende und öffnete kurz ein Auge. Normalerweise war Daniel nie aufgebracht oder kam einfach in das Loft ohne anzuklopfen oder zu klingeln. Einige Aussetzer hatte er schon gehabt, doch Arlington hatte ihren Ziehvater retten können - wie auch Elijah damals.

"Nein, verdammt", murrte Daniel. "Jetzt antworte mir gefälligst!"

Elijah seufzte. "Wen meinst du? Ich rede mit vielen Leuten, also werde bitte etwas genauer."

Neben ihm sank das Sofa und ein Schlag gegen seine Brust ließ eine der Mangoscheiben auf seinen Bademantel fallen. "Verdammt nochmal, Elijah. Es geht um die Kleine van Higbee-Fisk. Sie ist verschwunden, die Medien zerreißen sich bald das Maul, wenn herauskommt, dass sie vor mir geflüchtet ist." Verzweiflung sprach aus seiner Stimme. "Die werden sich fragen, was an mir so schlimm ist und..."

"Und sie werden nichts finden." Elijah öffnete die Augen und sah dem rothaarigen Mann in die Augen. "Höchstens deinen übermäßigen Alkoholkonsum könnten sie in den Zeitungen breit treten. Aber was würde das bringen? Es hat nichts mit Willow zu tun." Plötzlich stockte Elijah. "Moment, was meintest du damit, sie ist vor dir geflüchtet?"

Aufgebracht stand Daniel auf und riss die Arme in die Luft. "Verdammt nochmal, Elijah. Liest du keine Zeitung?"

Suchend blickte sich der Barkeeper um. Seine Mangoscheiben waren bereits alle vom Gesicht gerutscht, doch das kümmerte ihn jetzt nicht. Irgendein Ziehen war in seinem Bauch aufgetaucht und sein Kopf pochte.

"Die...Die muss Arlington mitgenommen haben. Er liest die Zeitung immer am Abend und gestern kam er wirklich sehr spät."

Daniels Lippen waren mürrisch verzogen, als er eine Augenbraue hob. "Arlington...er arbeitet in der IT-Abteilung, richtig?"

Sprachlos klappte Elijahs Mund auf. "Daniel", keuchte er. "Arlington ist mein Bruder. Du solltest wissen, dass er da unten sitzt. Immerhin hast du ihm die Ausbildung ermöglicht und ihn aus der Wüste gerettet." Daniels Augen blickten ihn ausdruckslos an. "So wie du mich gerettet hast", setzte er mit Nachdruck nach.

Daniel nickte. "Ja. Ja, ich weiß doch, wer Arlington ist. Demenz habe ich nicht, also verkaufe mich nicht für blöd." Er drehte sich um, steckte die Hände in die Hosentaschen und starrte aus dem Panoramafenster über die Stadt.

"Du musst sie finden."

"Warum ich?"

"Du hast mit ihr geredet. Danach wollte ich ihr einen Antrag machen und sie ist abgehauen", entgegnete Daniel und klang dabei so, als wäre das selbstverständlich. "Ich weiß wie deine Aura auf die Menschen wirkt. Vincent ist nicht der einzige, der dir verfallen ist. Also finde sie, bevor die Presse hier auftaucht."

Er drehte sich bereits weg um das Loft zu verlassen, blieb aber noch einmal stehen und blickte zurück.

"Vergiss nicht, dass eure Tests demnächst anstehen. Ich erwarte, dass ihr pünktlich erscheint."

Und ohne ein weiteres Wort zu verlieren, verließ Daniel das Loft und schlug die Tür hinter sich zu.

'Vincent ist nicht der einzige, der dir verfallen ist.'

G E N - deltaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt