Warum ◇ abusive relationships und mental illness nicht romantisch sind

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Ein Erfahrungsbericht

[Content Notes] 

• Nötigung
• Suizidalität
• Essstörung
• soziale Ängste
• soziale Isolation
• Behinderung
• Psychiatrie

Normalerweise würde ich diese Geschichte nicht erzählen und würde mir wünschen diesen Text nicht schreiben zu müssen, allerdings sind die Themen, die ich ansprechen möchte, auf Wattpad allgegenwärtig und das finde ich als (ehemals) Betroffene nicht richtig: Die Romantisierung von missbräuchlichen Beziehungen und mentalen Erkrankungen.

Was ist daran falsch, fragen jetzt vielleicht manche, es sind doch nur Bücher. Nur Texte! Ich will ja nicht geschlagen und von einem Mafiaboss entführt werden, nur weil ich es gut finde darüber zu lesen.

Wenn Romanfiguren ihre Würde, ihre Freiheit und ihre mentale Gesundheit aufgeben und für eine andere Figur wie ein Rettungsanker da sind, ist das doch in Ordnung. Ist ja nicht die Realität. Das darf ich also sogar romantisch finden.

Dass sich das schnell ändern kann, habe ich schmerzlich erfahren müssen. Ich war 18 und hatte bis dahin noch keine Beziehung gehabt oder überhaupt sexuelle Erfahrung, wenn man von sexueller Belästigung absieht. In Verhaltenstherapie war ich zu diesem Zeitpunkt seit zweieinhalb Jahren, 5 Monate davon in einer Jugendpsychiatrie. Wegen sozialer Ängste, einem unschönen Erlebnis in meiner Kindheit und einer schweren Autoimmunerkrankung habe ich Nähe zu Menschen, besonders Männern, gemieden.

Die Vorstellung jemanden tatsächlich nahe an mich heranzulassen, hat Panikattacken in mir ausgelöst und tut es manchmal noch immer. Ich dachte daher länger einfach aromantisch beziehungsweise asexuell zu sein, wollte aber trotzdem eine Beziehung haben, oder eher die Emotionen, die im Allgemeinen damit assoziiert werden. Geborgenheit ja, aber bitte nichts emotional belastendes, oder etwas sexuelles, bei dem ich jemandem vertrauen müsste. Dass nicht meine Sexualität, sondern meine mentale Erkrankung und meine schlechten Erfahrungen der Auslöser für diese Gefühle waren, habe ich erst hinterher verstanden.

Mit 18 entschied ich also mental stabil genug zu sein um das Experiment zu wagen. Es war der Wunsch nach einer Beziehung um „es endlich hinter sich zu haben", endlich das soziale Statussymbol „Freund" zu haben. Ein Mädchen dieses Alters, das noch immer Jungfrau ist, keine Beziehung hat, keine Kinder will, Flirts abblockt und sich aber auch noch nicht als Teil der lgbtqai*-community geoutet hat – der Druck aus meinem Umfeld und von mir selbst ausgehend war das Zünglein an der Waage.

Ich meldete mich also auf DER Plattform an. Tinder. Ich schrieb ein wenig mit verschiedenen Typen, hatte tatsächlich Spaß, wurde ein bisschen sexuell belästigt, tauschte ein bisschen Instanamen aus, das Übliche eben.

Mit der Zeit kristallisierte sich ein Kandidat heraus – nennen wir ihn Alexander. Wir standen in immer regerem Kontakt, tauschten Nummern aus und schließlich konnte ich mich zu einem ersten Date durchringen.

Alexander und ich trafen uns in einer Stadt die ich gut kenne – eine Sicherheitsauflage meiner Therapeutin. Das Date verlief so weit gut, zumindest wenn man gut als „er schweigt ängstlich und apathisch während sie laut und viel redet um die Stille zu übertönen weil seine Unsicherheit sie noch unsicherer macht" definiert.

Aus mangelnder Erfahrung – und immerhin hatten wir uns umarmt! - gab es weitere Treffen. Das Gefühl, dass etwas nicht stimmte und wie ich an meiner Angst erstickte, versuchte ich herunterzuschlucken. Ich wurde mit der Zeit besser darin. Immerhin wollte ich unbedingt eine Beziehung und er mochte mich ja. Wir konnten auch wunderbar schreiben und stundenlang Memes austauschen. Alexander hatte sogar einen Pulli mit Memekatzen drauf!

InfobuchWhere stories live. Discover now