Hilfe, meine Familie ist rassistisch!

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Ich sitze mit meiner Mutter auf dem Sofa und wir schauen Fußball. Plötzlich fängt sie an, über einen schwarzen Spieler zu reden: „Ich wünschte, du würdest mit so einem Kinder kriegen, damit ich schokobraune Enkelkinder bekomme!"

Ich muss für ein paar Tage ins Krankenhaus und rede mit meiner Mutter über meine Zimmernachbarin. Sie sagt: „Na sei froh, dass du keine türkische Frau im Zimmer hast! Die haben so große Familien und die hängen dann von morgens bis abends in deinem Zimmer herum und sind laut!"

Ich erzähle meiner Oma, dass ich kein BAFöG mehr bekomme und sie sagt: „Das geht ja gar nicht, dass diese ganzen Flüchtlinge vom Staat finanziert werden, aber die eigenen deutschen Studenten nicht!"


Vielleicht sind deinen Eltern keine Nazis, aber Rassismus ist so stark in unseren Strukturen verankert, dass bei dem ein oder anderen sicher ab und zu ein alltagsrassistischer Satz am Esstisch fällt. Meine Mutter positioniert sich selbst als stark links, geht regelmäßig auf Anti-Nazi-Demos, spendet an „arme Kinder in Afrika" und trägt Buttons mit der Aufschrift STOPPT DIE AfD!. Trotzdem fallen manchmal Sätze, die mit „Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ..." beginnen und mit irgendeiner rassistisch angehauchten Bemerkung enden. Rassismus ist ein System, in dem man sich befindet, selbst wenn die eigene Facebook-Seite aussieht wie eine Werbekampagne der Linken. Rassistisch kann man sein, selbst wenn man kein Rassist ist. 

Weiße Kinder wie ich, die in weißen Elternhäusern aufwachsen, erleben dies mit. Vielleicht sind sie anders sozialisiert und viel rassismuskritischer als ihre Eltern. Trotzdem schweigen sie meistens, wenn eine Bemerkung fällt, und regen sich stattdessen in ihrem Freundeskreis, vielleicht sogar bei ihren nicht-weißen Freund*innen darüber auf. „Boah, mein Opa hat letztens wieder etwas total Rassistisches gesagt!"

Freund*innen von so etwas zu erzählen fühlt sich gut an, besonders weil man dadurch seine eigene anti-rassistische Haltung zum Ausdruck bringen kann: Ich erzähle negativ über Rassisten, also bin ich selbst besser. Wirklich geholfen ist damit allerdings niemandem, wenn man in der eigentlichen Situation nicht den Mund aufbekommt. 

Auch mir fällt es wahnsinnig schwer, meine Familie zur Rede zu stellen. Die Konfrontation fühlt sich unangenehm an, ich erwische mich dabei zu denken „Ich kann ihre Meinung eh nicht ändern", mich zurückzulehnen und schlechten Gewissens zu schweigen.

In Wirklichkeit sind gerade wir, die weißen Kinder unserer weißen Eltern, diejenigen, die unglaublich viel Macht haben. Familien behalten in der Öffentlichkeit vielleicht ihren Rassismus für sich und äußern ihn nur innerhalb der eigenen vier Wände. Die einzigen Menschen, die darauf reagieren, die protestieren, zum Umdenken anregen können, sind wir. Wir spielen in unseren Familien eine enorm große Rolle, was die Bekämpfung von Rassismus angeht.

Es geht also nicht nur darum, uns in Anwesenheit unserer PoC-Freund*innen über Rassismus aufzuregen, sondern dies eben auch dann zu tun, wenn niemand zuschaut. Auch wenn wir dann nicht vor unseren Freund*innen als gute Menschen und Held*innen dastehen.

Wie reagiere ich auf Rassismus in meiner Familie?

Dafür gibt es leider keinen Leitfaden. Aber die Reaktion ist trotzdem wichtig. Mir hat es enorm geholfen, mich selbst mehr mit Rassismus auseinanderzusetzen, denn je mehr ich darüber weiß, desto leichter fällt mir die Argumentation, desto schlagfertiger bin ich.

Stelle Fragen, die zur Selbstreflexion anregen

„Weißt du überhaupt, was das Wort bedeutet, und wo es herkommt?" (z. B. wenn jemand das N-Wort benutzt)

„Warum findest du es notwendig, bei deiner Aussage die Hautfarbe/ Herkunft der Person zu erwähnen?" (z. B. wenn meine Mutter immer über ihre „türkischen Nachbarn" redet)

Unverständnis zeigen, damit sich die Person erklären muss: „Wie meinst du das?", „Wie soll ich das verstehen?", „Das verstehe ich nicht, was willst du damit ausdrücken?", „Wo ist da der Zusammenhang?", „Warum ist das ein Problem für dich?"

Die rassistische Aussage auseinandernehmen und dem Gegenüber präsentieren: „Wenn ich das richtig verstehe, meinst du damit ... (dass Flüchtlinge in ihren Heimatorten bleiben und sterben sollten?)", „Also bist du der Meinung, dass ... (alle türkischen Familien keine Rücksicht nehmen?)"

Erzähle von deinen Freund*innen of Color oder von PoC, die du magst

Vielleicht hast du eine Lieblingsband mit einem schwarzen Sänger, vielleicht ist deine beste Freundin eine PoC. Erzähle beiläufig positiv von ihnen, vielleicht auch von ihren Erfahrungen, z. B.: „Meine beste Freundin wird im Bus ständig angesprochen, weil sie ein Kopftuch trägt!" Durch solche Erzählungen eröffnest du deiner Familie vielleicht eine Perspektive, die sie sonst nicht bekommen würde.

Erzähle von Dingen, du die lernst

Es gibt unzählige Bücher, die über Rassismus aufklären. Wenn du eines davon liest, kannst du es vielleicht deinen Familienmitgliedern empfehlen und ausleihen. Wenn du nicht glaubst, dass sie sie lesen würden, erzähle von den Dingen, die du daraus lernst, zum Beispiel der Bedeutung des N-Wortes, der strukturellen Verankerung von Rassismus, etc. So hilfst du deiner Familie, Rassismus als ein strukturelles Problem anzuerkennen und nicht bloß als ein paar Einzelfälle.

Ganz egal was du machst, versuche, nicht mehr zu schweigen! Wenn nie jemanden widerspricht, können die Menschen ja gar nicht erst versuchen zu verstehen, dass etwas an ihren Aussagen problematisch ist. Auch ich versuche nicht mehr zu schweigen, auch wenn es unangenehm ist und vielleicht sogar im Streit endet. Die nächsten Situationen, in denen ich Rassismus mitbekomme, sehen also hoffentlich so aus:

Ich sitze mit meiner Mutter auf dem Sofa und wir schauen Fußball. Plötzlich fängt sie an, über einen schwarzen Spieler zu reden: „Ich wünschte, du würdest mit so einem Kinder kriegen, damit ich schokobraune Enkelkinder bekomme!" Ich sage: „Würdest du die Hautfarbe von weißen Personen eigentlich auch mit Gegenständen vergleichen?"

Ich muss für ein paar Tage ins Krankenhaus und rede mit meiner Mutter über meine Zimmernachbarin. Sie sagt: „Na sei froh, dass du keine türkische Frau im Zimmer hast! Die haben so große Familien und die hängen dann von morgens bis abends in deinem Zimmer herum und sind laut!" Ich sage: „Wie meinst du das? Also willst du damit sagen, dass alle türkischen Familien rücksichtslos sind?"

Ich erzähle meiner Oma, dass ich kein BAFöG mehr bekomme und sie sagt: „Das geht ja gar nicht, dass diese ganzen Flüchtlinge vom Staat finanziert werden, aber die eigenen deutschen Studenten nicht!" Ich sage: „Also meinst du damit, dass es besser wäre, wenn die Flüchtlinge keine Unterstützung bekommen und auf der Straße leben müssten? Oder sollten sie deiner Meinung nach in ihren Heimatorten bleiben, in denen Krieg herrscht?"

- von onflowers

InfobuchWhere stories live. Discover now