Victim Blaming

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Ich saß neben einer Freundin im Physikunterricht, das Fenster ist zur Straße hin. Ein dunkelhäutiger Mann und eine Frau mit Kopftuch laufen vorbei. 

Meine Freundin aus dem Nichts: “Ah ja, die Ureinwohner Deutschlands.”

Im ersten Moment habe ich nicht verstanden, worauf sie hinaus will, weil das für mich so abwegig war, so eine Aussage aus meinem Freundeskreis zu hören.
Für mich sind meine Freunde immer das Gegenteil von rassistisch gewesen. Sie haben sich zwar nie offen dagegen ausgesprochen, aber sie sind mir befreundet, also können sie ja gar nicht rassistisch sein. Richtig? (Oh, Vergangenheits-Rose. Wenn das so einfach wäre)
Ich sehe sie also vollkommen verständnislos und schockiert an. “Das ist nicht dein Ernst, oder?” 

Meine Freundin fühlte sich sichtlich unwohl und versuchte, sich mit folgenden Worten rauszureden: “Das war ein Witz. Mein Fahrlehrer hat den auch immer gemacht. Wenn du den nicht verstehst, dann tuts mir leid für dich.”
Ich spürte wie mein Gesicht heiß wurde und wie ich etwas sagen wollte, aber nicht wusste was. Sie hat gesagt, es sei ein Witz gewesen. Und Humor darf doch alles.
Vielleicht war es gar nicht so gemeint, wie es rübergekommen ist. Ich kann ja nicht in ihren Kopf schauen. 

Und darauf folgte ein Gedanke, der mir oftmals gekommen ist: Habe ich nicht einfach überreagiert? 

Ich fühle mich immer noch schuldig, wenn ich ein Kapitel bei 100 Days of Burkina veröffentliche, weil ich glaube, dass es irgendwo meine eigene Schuld ist.

“Früher hast du das lockerer gesehen.” Das habe ich in den vergangenen Jahren öfter gehört. Ja, früher habe ich gedacht, es sei lustig, wenn ich mich als N*gger hinstelle, der Grund dahinter ist aber ein gewaltiges Problem mit meiner Selbstauffassung gewesen. Nach jahrelangen Rassismuserfahrungen dachte ich, ich würde dem ganzen die Macht nehmen, wenn ich es ins Lächerliche ziehe (da gibt es bestimmt einen schlauen psychologischen Begriff für). Ja, im Nachhinein ist mir auch klar, dass das im Endeffekt nur ein ungesunder Unterdrückungsmechanismus gewesen ist und die Taktik alles andere als empfehlenswert ist, aber mit 13 dachte ich noch, ich hätte den ultimativen Uno reverse card moment genutzt. 

Aber das ist jetzt auch wieder sechs Jahre her. In diesen sechs Jahren habe ich mich mit dem Thema befasst, erkannt, was ich da überhaupt in der Zeit gemacht habe und wahrscheinlich im Endeffekt alles schlimmer gemacht habe, aber die gleiche Zeitspanne hatten auch meine ehemaligen Klassenkameraden. 

Ich verstehe, dass man mit 15 noch nicht den Blick dafür hat, wenn man nicht davon betroffen ist, aber wir sind mittlerweile 19/20. Wir können wählen gehen. Da kann man doch erwarten, dass man sein eigenes Verhalten reflektiert und nicht auf etwas picht, bei dem ich mit 13 gemeint habe, es sei in Ordnung, in der Zwischenzeit aber mehr als oft genug gezeigt habe, dass ich das mittlerweile anders sehe. 

Ein anderes Szenario: Ich rede über Rassismus, vor allem, wie Leute davon ausgehen, dass ich kein Deutsch spreche. Daraufhin kam die Aussage: “Aber das kann doch auch nett gemeint sein. Die Person ist sich nicht sicher und geht auf dich zu. Das würde ich ihnen an deiner Stelle nicht aberkennen.” 

Wieder will ich sagen, dass das egal ist, mit was für Absichten das geschieht. Es geht ums Prinzip. Und ich kann doch sehr wohl unterscheiden, wann etwas eine nette Geste ist und wann etwas unter einfachen Rassismus fällt. Doch ich habe nichts gesagt. Weil ich mir gedacht habe, vielleicht hat die Person ja doch recht. Vielleicht habe ich ja nur überreagiert. 

Das ist dieses “Es gibt immer zwei Seiten”-Prinzip. Und aus irgendeinem Grund ist dann immer die Seite der Weißen die, die ich als Fakt annehmen sollte. Es war ja nicht so gemeint. Du kannst ja nicht in den Kopf reinschauen, vielleicht hat die Person ganz ander Absichten. 

Fakt ist aber, dass sie gesagt hat, was sie gesagt hat. Und so ist das angekommen. Und ich sollte mich nicht schuldig dafür fühlen, dass ich darin ein Problem sehe. Wenn die Person nämlich wirklich andere Absichten gehabt hat, dann wird sie einen anderen Weg finden, dies zum Ausdruck zu bringen und nicht mir die Schuld zuweisen, dass ich überreagiert hätte. 

Ich bin nämlich das Opfer von solchen Aussagen und nicht derjenige, von dem sie ausgehen. 

Und auch wenn ich überreagiert hätte: Ist mein Unwohlsein nicht Grund genug dafür, das zu unterlassen? Ist das nicht das, was man zu menschlichem Anstand zählt? Ich habe deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ich den Witz keinesfalls lustig fand, er mich sogar eher verletzt hat und die erste Reaktion darauf, ist darauf hinzuweisen, dass ihr Fahrlehrer den gleichen Witz gemacht hat, was ein sehr, sehr schwaches Argument ist. Was sagt mir das? Absolut gar nichts. Der Witz war indirekt auf meine Kosten und ich fande es nicht lustig. Da gibt es keine zwei Seiten. 

Jeder hat ein Problem mit Rassismus, wenn es aber daran geht, bei sich selbst was zu ändern und dass man Mal darauf hingewiesen wird, dass eine Aussage keinen guten Unterton hat, gehen sie in Verteidigungshaltung und wollen plötzlich das Problem, das sie normalerweise haben, nicht einsehen und relativieren es. Mit dem rassistisch sein ist es wie mit dem lustig sein: Das bestimmt man nicht selbst, sondern andere. Und wenn jemand wirklich glaubt, er sei nicht rassistisch, wäre er doch dankbar für jegliche Hinweise auf solche Tendenzen. 

Es ist gerade bei solchen “Nichtigkeiten” so unglaublich wichtig darauf zu achten, was man da sagt. Wenn ihr also eine Aussage macht und euch jemand darauf hinweist, dass eure Worte durchaus rassistische Züge haben, glaubt der Person einfach und überdenkt euer Verhalten. Es ist nicht einfach und irgendwo auch menschlich in Verteidigungshaltung zu gehen, aber damit erschwert ihr nur diese wichtige Konversation und lässt Leute wie mich teilweise frustriert, teilweise mit schlechtem Gewissen, weil sie was gesagt haben, zurück. 

- roselillae

InfobuchWhere stories live. Discover now