Kapitel 9 - Die Stimmen

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Eigentlich brauchte ich nicht mehr zu erwarten, dass die Engel je wieder mit mir reden würden, doch um ehrlich zu sein hatte ich es gehofft. Immer wieder ertappte ich mich dabei, wie ich aufsah, wenn irgendwo ein Licht an ging oder, wie ich zusammen zuckte, wenn ich einen warmen Raum betrat.

Nach zwei Wochen jedoch, gab ich die Hoffung auf. Mir war noch immer nicht ganz klar, weshalb ich gehofft hatte Michael würde zurück kommen. Hatte ich etwa einfach Angst davor, was noch kommen würde? Und weshalb kam mir dann jeder Gedanke daran, "gerettet" zu werden, wie ein Verrat vor? Ich hatte Angst, Lucifer würde etwas davon wissen, doch es sah nicht so aus, als täte er es. (Oder zumindest konnte er es gut verheimlich, wenn er es denn tat.)

"Guten morgen, Mei!", begrüßte mich Isaac freudestrahlend und riss mich somit aus meinen Gedanken. Ja, ich weiß. Eigentlich hatte ich die ganze Zeit versucht ihn los zu werden, allerdings kam er einfach immer wieder zurück, wie eine Art Boomerang. Wobei ich ja zugeben musste, dass es ganz nett war einen solchen Optimisten um sich zu haben und irgendwie... Waren wir mittlerweile so etwas wie Freunde, auch, wenn Lucifer davon ganz und gar nicht begeistert war.

"Morgen", murmelte ich müde, als er seinen Ordner auf den Tisch legte und sich, nicht weniger müde als ich, auf seinen Stuhl fallen ließ.

"Hast du Mathe gelernt?", fragte er und ich schüttelte bloß den Kopf. Als würde es etwas bringen zu lernen. Letztendlich war sowieso alles egal. Konzentrieren konnte ich mich zuhause schon lange nicht mehr, was es mir erschwerte mich für die Schule vorzubereiten.

Isaac und ich führten unser kleines banales Gespräch weiter. Es war nur oberflächiges Geschwafel über den Unterricht, Lehrer und den neuen Kinofilm, den er am Wochenende gesehen hatte. Deadpool, hieß der glaube ich. Er klang ganz gut, allerdings brauchte ich ihn mir nicht anzusehen, da Isaac mir sowieso die gesamte Handlung im Unterricht erzählt hat.

Dem Rest der Klasse schenkte ich keinerlei Beachtung - weder dem Unterricht, noch den Schülern. So bemerkte ich nicht einmal den Jungen, der einen Teigscharber durch den Raum warf, nachdem jemand geniest hatte. Es war, als wäre ich komplett in meinen Gedanken versunken - nein, eher als hielten sich mich fest umschlungen von der Außenwelt abgekapselt. Erst, als Isaac mir einen Zettel zu schob, war ich zurück in der Wirklichkeit.

"Große Pause, Tic-Tac-Toe im Klassenzimmer?", stand darauf und ich begann zu Lächeln.

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"Isaac?", ich betrat zögernd das leere Klassenzimmer. Schon merkwürdig, wie groß es eigentlich war.

"Scheint noch nicht hier zu sein", stellte Lucifer fest, der mich nach dem Unterricht mit seinem plötzlichen Erscheinen überrascht hatte. Er setzte sich aufs Fensterbrett und begann mit den Beinen zu baumeln. Ich folgte ihm und sah aus dem riesigen Fenster, dass beinahe die gesamte Wand einnahm. Mir war noch nie aufgefallen, wie schön die Aussicht eigentlich war. Jetzt, im Licht der Mittagssonne und dem klaren blauen Himmel, sah das Städtchen irgendwie magisch aus. Die Felder und der kleine Wald in der Ferne hatten wunderschöne herbstliche Farben angenommen. Ich seufzte.

"Alles in Ordnung?", Lu musterte mich von der Seite und ich nickte. Eine seiner pechschwarzen Strähnen fiel ihm ins Gesicht und ich musste unwillkürlich Lächeln. Äußerlich hatte er sich nicht im geringsten verändert und doch kam es mir vor, als wäre er ganz anders - als hätte er sich in den wenigen Monaten hier komplett verändert. Vielleicht war das aber auch nur in meiner Vorstellung so.

"Mei!", Isaac lächelte, als er sah, dass ich bereits auf ihn gewartet hatte. Er schloss schnell die Tür hinter sich, da es uns eigentlich nicht gestattet war, uns alleine in den Klassenzimmern aufzuhalten.

"Der schon wieder", murmelte Lu und rollte mit den Augen. Ich versuchte ihm so gut es ging keine Beachtung zu schenken.

"Was gibt's?", fragte ich gleich nach und er biss sich auf die Lippe.

What's up, Lucifer?Where stories live. Discover now