Das zweite Jahr: Die Warnung

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Der sandige Boden unter meinen Füssen war für einmal noch nicht brennend heiss. Die Sonne fand erst gerade ihren Weg in den Himmel, als wir bereits ein gutes Stück Weg zurückgelegt hatten. Das fehlende Meeresrauschen hatte schon vor längerer Zeit ein Loch in mir hinterlassen, während wir uns immer weiter landeinwärts fortbewegten.

Nicht mehr lange, und wir würden unser Ziel erreicht haben. Auch Adàm schien dies zu glauben, denn der Krieger nickte mir auf der Lippe kauend zu. Wir hatten das Lager schon in der Nacht verlassen und hatten seit dem Aufbruch kaum eine Pause eingelegt. Die Erschöpfung war also unausweichlich.

Doch die Aufgabe, die uns bevorstand, bereitete mir weitaus grössere Sorgen als die schwindende Kraft in meinen Beinen. In der Truppe war es still obwohl Patroclos die Führung übernommen hatte. Wenn Achill sich mit den Heerführern über Politik bereden musste, hatte Patroclos immer das Kommando bekommen. Und obwohl seine Führung etwas mehr Lockerheit bedeutete, redete kaum jemand vor Tagen wie diesem.

Natürlich war es eine Aufgabe wie jede andere. Aber wie ich in den letzten siebzehn Mondzyklen gelernt hatte, waren die wenigsten Aufträge im Krieg ehrenvoll. Und die wenigsten Krieger in der Lage, alle Aufträge ohne ein schlechtes Gewissen auszuführen. Alleinig die Brocken, wie wir sie nannten, konnten ihre Gefühle unterdrücken und töten, was auch immer es zu töten gab.

„Elios", sprach mich Thalìs an meiner anderen Seite an.

Als er nichts weiter sagte und ich ihm einen fragenden Blick zuwarf, nickte er mir zu und deutete dabei mit seinen Augen auf meinen Helm. Schnell tastete ich mit meiner freien Hand nach der Kopfbedeckung und stellte fest, dass während des langen Marsches ein Büschel meiner Haare unter dem Helm hervorgetreten war. Thalìs streckte mir seine Hand hin und ich übergab ihm meinen Speer. Dann machte ich mich daran, das braune Haar zurück durch die Öffnung im Helm zu stecken.

Als mein Haar länger geworden war, hatte mir Patroclos ein Loch in meinen Helm gebohrt, so dass ich sie wie bei dem von meinem Vater geschmiedeten verstecken konnte. Denn im Moment war ich nicht dazu zu überreden, sie noch einmal abzuschneiden. Egal wie sehr mich Patroclos dazu drängte.

Die Krieger vor mir blieben stehen und stellten ihre Speere auf den Boden. Schnell zog ich die letzte Strähne durch den Helm und nahm meine eigene Waffe zurück. Keiner der Krieger interessierte sich für meine Aktion. Natürlich nicht, denn jeder einzelne von Achill's Truppe wusste derweilen, wer sich hinter meinem Helm verbarg. Und ich wusste mit Bestimmtheit, dass es alleinig der Schutz von Patroclos und seinem Herzensbruder Achill war, der mich frei herum laufen liess. Doch was mich überrascht hatte, war wie viele Krieger mich ohne Einwand akzeptiert hatten, nachdem sie mich kennengelernt hatten. Und die, die dies nicht konnten, wurden von Patroclos mit feindseligen Blicken durchbohrt, wenn sie sich mir zu viel näherten.

Obwohl mein Stolz diesen Schutz von Patroclos verachtete, war ich im letzten Sonnenzyklus doch vernünftiger geworden. Hätte ich nicht Achill' s Waffenfreund zum Gefährten, wäre ich wohl schon lange kein Teil seiner Truppe mehr. Patroclos' Beschützerinstinkt hatte mich ihn noch mehr lieben gelernt.

Aufgrund des möglichen plötzlichen Antreffens von anderen, eventuell feindlichen Truppen sorgte ich dennoch jederzeit für eine möglichst gute Tarnung.

Patroclos trat in die Mitte der Krieger. Die Narbe an seiner Schläfe leuchtete immer noch feuerrot. Obwohl ich nicht darauf starren wollte, kamen alle die Angstgefühle wieder hoch. Die Angstgefühle, die ich verspürt hatte, als er vor ungefähr zehn Tagen mit verschlagenem Kopf auf dem Boden gefunden wurde.

„Krieger", ertönte Patroclos' tiefe Stimme über die Menge. Noch immer traf mich der Klang direkt ins Herz. „Sogleich werden wir das Dorf erreichen. Also pflegt die Tugend des Schweigens und redet nur soviel wie nötig. Sobald die Sonne unsere Helme erwärmt, werden wir beginnen."

Die letzte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt