Die Leere der Trauer

5.8K 265 6
                                    

Kälte.

Stille.

Trauer.

Aber auch ein nicht weichendes Lächeln auf meinen Lippen, als wäre das gerade Gehörte ein schlechter Witz. Ein Lächeln, das zeigte, was ich in tausend Worten nicht hätte erklären können. Ein eiskaltes Lächeln, das kein weinerliches war, sondern nur den Unglauben widerspiegelte, der mich soeben ergriffen hatte.

Ein Lächeln, das die aufkommenden Tränen hinter sich verbarg. Die Wucht der Information, die mich gerade erreicht hatte, stach sich mehr und mehr in mein Bewusstsein hinein, ohne das geringste Mitleid zu haben. Langsam machte diese Wucht alles zunichte, was ich im Laufe meines Lebens an Gefühlen und Erfahrungen gesammelt hatte. Nein, etwas Derartiges hatte ich bisher wirklich noch nicht erlebt, mit nichts war es zu vergleichen.

Eine Leere breitete sich in mir aus, die jeglichen Rest von Menschlichem aus mir herausschoss und nichts ausser ihrer selbst hinterliess. Nie vorher hatte sich ein Gefühl, wie schön oder grausig es auch war, so in mich hinein katapultiert. Allerdings hatte diese Leere nicht ganz alles andere vernichtet. Ein Gedanke liess sich nicht vertreiben. Wieso war ich nicht da gewesen, als die Seelen meiner Familienangehörigen ihre Leiber verliessen? Wäre der Tod durch die Raubbande nicht auch mein Schicksal gewesen, zusammen mit meiner Familie und unserem Zuhause? Bin ich vor dem einfach feige davongelaufen?

An etwas anderes als an den Tod meiner Liebsten zu denken, war mir unmöglich. Natürlich war es das im Moment.

Bilder von gemeinsamen Tagen kamen mir vor Augen. Bilder aus glücklichen Zeiten. Vater und ich beim Schwimmen, Mutter, wie sie mir lächelnd beim Backen meines ersten Brotes half. Meine Schwester, meine kleine hilflose Schwester, wie sie sich mitten in der Nacht zu mir schlich, weil sie wieder Albträume hatte. Ja, meine liebe Schwester. War sie zum Sterben nicht viel zu jung? Hatte sie nicht auch ein erfülltes Leben verdient, so unschuldig wie sie gewesen war? Und was war mit Vater und Mutter? Meine ganze Familie hätte nicht durch so eine Raubbande sterben dürfen, und dass diese nicht ganz ungestraft davonkamen, gab mir trotz allem ein Gefühl der Stärke. Ich wusste, dass Vater es nie zugelassen hätte, dass seiner Familie etwas zustösst.

Mir war klar gewesen, dass er den Hof verteidigen würde. Doch all das, auch wenn meine Angehörigen noch so tapfer gewesen waren, half mir im Moment so ziemlich überhaupt nicht weiter. Ich sah sie vor mir, Vater so gross und kräftig wie eh und je. Mutter mit Maria im Arm, beide bildhübsch, und alle drei schauten sie mich glücklich an. Dann plötzlich sah ich Tränen ihre Wangen hinablaufen, ich sah, wie die Tränen Risse hinterliessen und wie sich alle drei schnell, viel zu schnell in Asche verwandelten, die sich vom seichten Winde davontragen liess. Ich hätte sie noch berühren wollen, sie beschützen sollen, vielleicht wären sie dann länger ein schönes Abbild ihrer selbst geblieben.

Und jetzt, langsam, nachdem sich die Asche weit von mir entfernt hatte, spürte ich erst die dünnen Tränenbäche auf meinen Wangen. Die ersten seit Jahren. Und sie galten nur der Trauer, die ich um meine Familie empfand. Oder besser gesagt der Leere, die die Trauer um sie hinterliess. Und obwohl ich wusste, dass mir das Weinen zustand, ja dass es sogar zu erwarten gewesen war, konnte ich es trotzdem nicht richtig. Ich hatte zwar Tränen im Gesicht, aber richtig losheulen konnte ich einfach nicht. Wahrscheinlich war ich zu aufgewühlt, zu überrascht über die schreckliche Nachricht.

Es war, als würde man vom Blitz getroffen werden, und erst nach einiger Zeit, in der sich die Hitze in das Holz frisst, entfacht sich das Feuer. Ich realisierte es noch nicht wirklich, dass ich sie nie mehr sehen würde, dass sie mir nie mehr bei irgend etwas beistehen würden oder könnten. Es fühlte sich zu unrealistisch an, so etwas überhaupt in Erwägung zu ziehen. Und obwohl ich eigentlich wusste, dass ich mich früher oder später damit abfinden musste, verdrängte ich das Wissen einfach. Zu grauenvoll war dieser einfache, alles zerstörende Gedanke.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now