Die Reise

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Es war erst kurz nach Sonnenhöchststand, als ich aufbrach. Tausend Gedanken durchflogen meinen Kopf währenddem ich, glühend vor Hitze, quer durch unser Reich ritt. Es war für mich immer noch unfassbar, dass mich Vater diesen grossen Schritt machen liess. Nicht weil er geizig oder stur war, nein, sondern weil ich sein ältestes Kind war. Und er wusste, dass ich nicht mehr zurückkommen würde. Er setzte viel Hoffnung in mich, und auch das wusste ich nur zu gut. Aber ich war zu fest in meine Vorstellung eines aufregenden Lebens versessen, als dass ich auf seine stummen Bitten gehört hätte. Ich wusste, dass es ihm Schmerzen bereiten würde, ja, der ganzen Familie würde es Schmerzen bereiten, wenn sie mich fortreiten sehen würden. Und nun war es so weit. Ich konnte das Anwesen schon nicht mehr sehen, als ich aus meinen tiefen Gedanken aufwachte, und so ritt ich einfach immer weiter, summend, singend oder einfach still mit dem ständigen Gedanken, wie meine Zukunft wohl aussehen würde.

Bald schon ritt ich dem Sonnenuntergang entgegen, und ich musste ein Anwesen oder eine gute Übernachtungsmöglichkeit finden. Ich trieb Christus ordentlich an, und er gehorchte mir auf den ersten Fersendruck. Ich suchte weiter, bis es schon eindämmerte, sah allerdings nirgends eine Scheune oder ein Dörfchen. So hielt ich bei der nächsten Baumgruppe an, wo ich auch gleich abstieg und Christus absattelte. Er hielt still, und es war kein Problem, ihn an einem Ast anzubinden. Ich sammelte einen Bündel Holz, und endlich brannte ein Feuer, mochte es auch noch so klein sein. Es war nicht kalt, und erst in die Satteldecke eingewickelt würde es wohlig warm sein. Meine Verpflegung reichte gut aus, ich hatte nach dem Essen sogar noch etwas für den nächsten Tag übrig und Wasser reichte auch für Christus und mich. Ich war nun satt, sehr sogar. Eine Weile noch sass ich am Feuer und träumte von der neuen Schule, Schiffen und Helden. Hoffentlich würde ich all das auch einmal erleben. Die Schule abschliessen, den Ozean überqueren und eine Heldin werden. Dabei noch so viele neue Menschen aus allen Regionen kennenlernen, so dass ich mir nicht einmal den Namen jedes Einzelnen einprägen konnte. Das war es, wovon ich schon so lange geträumt hatte, und das war es auch, was mir ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Christus‘ Schnauben weckte mich aus meinen wilden Träumereien. Ich stand auf, streichelte das Tier und bereitete dann mein Nachtlager vor. Bei Sonnenaufgang wollte ich gleich weiterreiten, und es war wohl besser, mich gleich schlafen zu legen, damit ich am nächsten Tag ausgeruht und kräftig in den vielleicht wichtigsten Tag meines Lebens aufbrechen konnte.

Das Vorbeireiten einer Truppe in der Ferne liess mich aufschrecken. Es war allerdings auch höchste Zeit. Dem Sonnenstand zufolge musste der Tag vor Kurzem begonnen haben. Ich musste also schnell weiter. Vorsichtshalber wartete ich noch, bis die Reiter ausser Sichtweite waren, und sofort fing ich an, mein Essen und den Wasserbeutel in die Satteltasche zu packen. Die Tasche und den Sattel schnallte ich auf das Pferd. Dabei machte sich in meinen Armen und Beinen ständig der lange Ritt vom Vortag bemerkbar. Meine Oberschenkel schmerzten, und mein Rücken war heute besonders steif. Christus stand immer noch an der gleichen Stelle wie am Abend zuvor. Anscheinend hatte auch er nicht grosse Lust darauf, sich gleich noch einmal eine weite Strecke abzuquälen.

„Brav, Christus“, lobte ich ihn. Dann band ich die Leine vom Ast los und stieg auf seinen Rücken. Mein Ritt wurde trotz geringer Lust fortgesetzt. Durch Wälder, die aus so hohen Bäumen bestanden, dass ich die Spitzen nicht mehr sehen konnte, und die so eng bewachsen waren, dass mir nicht nur einmal ein kleiner Ast vor die Nase kam. Aber auch durch Flüsse mit glasklarem Wasser und durch einen kleinen Sumpf führte mich mein Weg. Noch nie hatte ich derart verwilderte Gegenden gesehen. Natürlich gab es auch hinter unserem Hof einen kleinen Wald und Flüsse aber keiner war so gross gewesen, wie sie es hier waren. Es war wunderschön hier, wenn mir auch etwas mulmig war. Ich kannte viele Schauergeschichten von kleinen Mädchen oder unartigen Jungen, die in solchen Wäldern tot oder sogar nur noch knochig aufgefunden wurden. Doch trotzdem konnte ich die Augen nicht von dem satten Grün der Wälder lassen. Und auch meine Ohren konnten nicht genug bekommen von dem leisen Plätschern kleiner unbedeutender Wasserfällen. Unterwegs begegnete ich lediglich ein paar Hasen, und als ich gerade einen Mittagshalt machte, bemerkte ich auch ein Reh. Es bewegte sich geschmeidig durchs Dickicht, und ich konnte die Gestalt lange beim Fressen beobachten. Das Reh schien mich nicht gesehen zu haben, und so frass es gemächlich weiter, währenddem auch ich den Rest meines Vorrats genoss. Jedenfalls waren es die einzigen Lebewesen, welche ich als solche identifizieren konnte. Einmal, kurz bevor ich aus einem der Wälder herausgeritten war, flatterte eine zierliche blauschwarze Gestalt mit riesigen Flügeln neben mir her. Das kleine Etwas war nicht grösser als meine Handfläche, aber es war wunderschön.

Der letzte Teil meiner Reise führte mich nur noch durch eine ewige Wüste mit einer kleinen Oase, an der ich meinen Wasserbeutel zum zweiten Mal auffüllen konnte und wo Christus sich einmal vollschlürfen konnte. Die Oase war auf ihre Art so wunderschön, dass ich - vertieft in die seltsamen Bäume mit riesigen dunkelbraunen Ovalen - beinahe die Zeit vergessen hätte. All diese Orte, durch die ich nun geritten war, schienen mir so fremd, und trotzdem konnte ich mir nicht vorstellen, dass ein Mensch sterben sollte, ohne alle diese wunderbaren Dinge gesehen zu haben.

Als wären alle diese neuen Eindrücke noch nicht genug für einen Tag, stand mir das Schönste des Tages noch bevor. Als die Sonne nur noch ein klein wenig vom westlichen Horizont entfernt war, stand ich auch schon vor diesem Schönsten. Ich stand vor den Toren Péristeris‘ Schule.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now