Das siebte Jahr: Die Schiffe

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Ich war mir sicher, dass er an diesem Tag nicht nur mir, sondern auch sich selber ein Versprechen gegeben hatte. Es wurde deutlicher, je länger er irgend welche Ausreden erfand, um ständig bei mir sein zu können. Wenn ich aufgerufen wurde, bei der spärlichen Ernte zu helfen, hielt er es angebracht, auch seine zwei Hände anpacken zu lassen. Wenn ich mit Adàm einen Ausritt plante, hatte er jedes Mal zufällig Zeit, mich bis zu dessen Hütte oder den Ställen zu begleiten. Und wenn ich einen der unerträglichen Tage hatte, an denen mich alles und jeder an unseren schrecklichen Verlust erinnerte, wollte er ebenso nur in unserer Hütte hocken.

Seine wunderschönen Ozeanaugen, die im Laufe der Zeit von sonnengebräunter Haut umrandet worden waren und dadurch noch mehr strahlten, bewachten mich in jedem Augenblick. Sodass ich mir nicht einmal mehr sicher war, wann er eigentlich schlief.

Er schenkte mir mehr seiner Zeit, als je zuvor. Und wenn er wirklich nicht auf mich aufpassen konnte, dann war ich immer in sicherer Anwesenheit von Adàm oder hatte mich in der Nähe von Achill zu befinden. Der muskulöse Halbgott schien zwar immer noch keinerlei Interesse an mir zu haben, liess mich aber umsorgen als wäre ich eine Königin. Und so fühlte ich mich je länger desto mehr. Wie eine Königin.

Jeder Wunsch meinerseits fand Raum in irgendwelcher Form. Ich wurde beschützt, als wäre ich eines Landes' grösster Schatz. Und viele der Krieger in den Gassen trauten sich kein Auge mehr auf mich zu richten, da mich stets ein bekannter Name begleitete.

Noch kein Sonnenzyklus war vergangen, seit Patroclos mich aus den Fängen meiner Peiniger gerettet hatte. Und doch waren die Worte darüber schon durchs ganze riesige Lager gewandert, so dass kaum einer mehr wagte, mich anzusprechen.

Auf eine seltsame Weise, die ich sonst gewiss nicht kannte, fühlte sich dieser ganze Tumult um meine Person gut an. Zum ersten Mal konnte ich wirklich erkennen, wie sich ein wahrer Held fühlen musste. Wie sonderbar einsam und doch gross und geehrt.

Auf eine andere – mir sehr viel bekanntere – Weise, fühlte ich mich mit den unzähligen lieben Gesten und der ständigen Beobachtung völlig überfordert. Weder wollte ich so verwöhnt, noch belohnt für gar nichts werden. Schliesslich war das, was ich getan hatte, um all dies zu bekommen, keineswegs ehrenhaft gewesen. Ausserdem fehlten mir schon bald das Abenteuer und meine Unabhängigkeit.

Patroclos trug mich auf Händen. Und das Einzige, was ich wirklich wollte war, dass er mich fallen liess.

Natürlich war mir bewusst, dass er sich noch immer die Schuld für mein damals Erlebtes gab. Ja, er war nicht da gewesen, aber genau deswegen könnte er keinesfalls die Schuld tragen. Wer hatte schon gewusst, dass ich völlig verwirrtes Weib mich vor lauter Selbstmitleid in solche Gefahr bringen würde. Am Ende war ich genauso schuldig wie die drei Griechen, die nicht einmal eine ordentliche Bestattung bekommen hatten.

Doch auch nachdem ich es ihm unzählige Male eingeredet hatte, wusste ich, dass meine Beschwichtigungen keinerlei Eindruck bei Patroclos hinterlassen hatten. Er hatte mich aus den Augen gelassen, und das würde er nun nie mehr so unvorsichtig tun. Egal, was ich dazu zu sagen hatte. Dabei wollte ich nur, dass er meinen unendlichen Dank akzeptierte und bei den Göttern endlich auf mich hörte.

Und nun schritt ich neben ihm her durch das Lager und wusste zum etlichsten Mal nicht, über was ich mit ihm reden sollte. Wie immer brannte die Sonne auf meine geschmälerten Schultern und trieb Schweisstropfen auf Patroclos' hohe Stirn. Ich sah ihn von der Seite an. Noch immer lockte sein Anblick ein Lächeln auf meine verbrannten Lippen. Seine starken Beine trugen ihn stampfend über den trockenen Boden, der seinen normalerweise federleichten Gang zu einem grossen Teil schluckte. Einer seiner starken Arme hielt einen besonders schön verzierten Speer in der Hand und ich war ungewohnt zufrieden, in wieder einmal mit einer Waffe in der Hand zu sehen. Selbst nach einer Ewigkeit, in dem wir dem Krieg nur als Zuschauer beigewohnt hatten, war er noch immer der geborene Held. Sein erhelltes Haar lugte unter dem silbernen Helm hervor. Patroclos' Profil wurde von den Sonnenstrahlen erhellt, wodurch seine Augen türkise schimmerten.

Die letzte KriegerinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt