Das fünfte Jahr: Achill's Lektion

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Achill's Zorn war riesig. Selbst nach einem halben Sonnenzyklus durfte ihn noch immer niemand beraten. Endlich fand ich eine einzige winzige Schwäche bei unserem grossen Helden: Sturheit.

Doch wer konnte ihm diese Wut verübeln? Nur so wenigen war in Zeiten des ewigen Krieges ein bisschen Wärme und Zärtlichkeit vergönnt. Und wer sie bekam, dem durfte man sie nicht mehr wegnehmen. Mir wäre es gewiss ähnlich ergangen.

Unsere Lage war recht einfach zu beschreiben: Vor sechs Mondzyklen hatte unser grosser aber naiver König Agamemnon die Sklavin von Achill für sich selbst genommen. Seither hatte Achill uns Myrmidonen keinen einzigen Kampf mehr kämpfen lassen. Er war wie ein Kind, dem sein geliebtes Spielzeug weggenommen wurde.

Geliebtes Spielzeug. Selbst wenn ich am Anfang nicht verstanden hatte, wieso sich Achill so über seinen Verlust aufregte, hatte ich bald verstanden um was es wirklich ging: Die Sklavin Briseis war ihm ans Herz gewachsen. So unglaublich es schien, hatte sie es wohl geschafft, Achill's Innerstes zu berühren.

Ich hatte sie nie getroffen, aber Patroclos hatte mir von ihrer Schönheit und Unschuld berichtet, so dass ich fast neidisch geworden war. Denn zum ersten hatte er mir von der Schönheit eines anderen Weibes geschwärmt. Doch mein Gefährte hatte wie so oft meine besorgten Gedanken gelesen und mich zärtlich auf die Wange geküsst.

Obwohl ich überrascht über Achill's erstmal öffentlich gezeigtes menschliches Bedürfnis nach Liebe war, empfand ich auch Stolz auf ihn. Auch er hatte in diesem Krieg gelernt, und zwar, dass es auch etwas anderes als den Sieg gab, für den es sich zu kämpfen lohnte.

Während Patroclos neben mir schlief, starrte ich die Decke unserer bedürftigen Hütte an. Die Dunkelheit wurde von Lichtpunkten unterbrochen, wo der Mond durch die Löcher im Strohdach hineinschien. Seit einem halben Sonnenzyklus hatte ich kein bisschen geholfen, diesen Krieg voran zu treiben.

Natürlich hatte ich die ruhige Zeit ohne Blutvergiessen zu Beginn noch genossen. Je länger wir aber warteten, desto mehr hoffte ein gefährlicher Teil in mir, dass ich wieder in die Schlacht ziehen konnte. Nicht um zu töten, sondern um zu siegen. Um nicht hier, sondern in Griechenland die Tage zu zählen. Denn das Tagen wir.

Agamemnon hatte schon so viele Sklavinnen, dass es wirklich eine Schikane war, Achill seine einzige wegzunehmen. Unser König war – wie die meisten Krieger und Heerführer – neidisch auf den Helden des Krieges. Denn es war nicht mehr Agamemnon's Name, der von den Trojanern geschrien wurde, wenn sie nach unserem Anführer suchten. Es war Achill' s. Unser König war aber im Irrtum gewesen, als er geglaubt hatte, Briseis an sich zu nehmen wäre die Lösung für sein Problem. Im Gegensatz hatte es seine Position noch verschlimmert. Denn nun musste er nicht nur auf den Helden, sondern auch noch auf dessen ganzes Gefolge verzichten und dennoch seinen Krieg gewinnen.

Seufzend drehte ich mich zur Seite, so dass Patroclos' schlaffer Arm von meinem Bauch rutschte. Da ich am Morgen sowieso nichts zu tun haben würde, konnte ich ruhig die Nacht aufbleiben. Desshalb stand ich hellwach auf und zog mich leise an. Seit wir nur noch herum hockten, hatte mich der Schlaf nicht mehr so richtig gefunden. Dafür ruhte ich am Tage einfach zu viel.

Leise trat ich ins Freie und liess den dünnen Vorhang zurück vor den Eingang fallen. Ohne wirkliches Ziel schritt ich durch die Stille. Meine Muskeln hatten seit einer Ewigkeit nicht mehr gebrannt und mein Kopf hatte genug Zeit gehabt, um sich von den Schlägen der Kriegerinnen zu erholen. Noch eine Weile hatte ich Probleme gehabt, aufrecht zu stehen. Diese Schlacht würde ich wohl nie vergessen. Einerseits ihrer Grausamkeit wegen, andererseits aber auch, weil sie mir unglaublich viel gelernt hatte. So hatte ich zum Beispiel meine Kampfart geändert und zielte ebenfalls öfter an den verwundbaren Kopf.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now