Das zehnte Jahr: Die letzte Kriegerin

3.1K 174 11
                                    

                   

Ich sass auf einem Felsen, der bis ins Meer reichte. Zuvorderst auf der Spitze hockte ich und wurde immer wieder von kleinen, gebrochenen Wellen genässt. Meine nassen Haare lagen in Strähnen auf meinem Rücken und meine Muskeln waren verschwunden. Mein Körper war dünn und schwach. Ich scherte mich um nichts davon.

Ich sass auf diesem Felsen, der bis ins Meer reichte. Das Wasser tränkte mein Hemd, welches ich seit Patroclos' Verbrennung nicht mehr gewechselt hatte. Ich starrte auf das unruhige Wasser hinaus, schloss gleich darauf meine brennenden Augen. Seit Tagen hockte ich an Ort und Stelle und versuchte zu begreifen, was passiert war. Versuchte zu begreifen, ob ich einen Albtraum hatte oder dies die böse Wirklichkeit war.

Mein Bauch krampfte sich zusammen und ich übergab mich über den Felsen ins Wasser. Meine Kehle brannte wie Feuer. Da alle meine Tränen aufgebraucht waren, schlotterte ich leise vor mich hin. Mein Rücken war eiskalt, nicht einmal die brennende Sonne am Himmel vermochte mich zu wärmen. Die Leere neben mir, die Patroclos ausfüllen sollte, brachte alleinig Kälte. Sein Körper war fort. Seine wärmenden Arme um mich herum, seine Lippen auf meiner Stirn.

Er hatte mich zurückgelassen. Ich war allein. Ich war die letzte. All die Menschen, die ich liebte, sie alle waren fort.

Ungläubig wippte ich meinen Oberkörper nach vorne und hinten und schlang meine Arme um mich. Mein Hals brannte, jeder Gedanke erstickte irgendwo in meinem Inneren. Alles, an was ich zu denken vermochte, war er. Selbst das weite Meer vor mir konnte mich nicht beruhigen. Mein Inneres war eine Ruine. Ich war gebrochen.

Zwei Hände legten sich von hinten auf meine Arme, doch ich erschrak nicht. Es waren nicht Patroclos' Hände. Also konnten sie machen was sie wollten, ich kümmerte mich nicht darum.

„Elizabeth", sagte eine bekannte Stimme leise. Neben mir erschien Adàm's Gesicht, welches ich nicht anzusehen vermochte. Wie konnte es sein, dass der Rest der Welt in Ordnung war, wenn doch der wichtigste Mensch darin untergegangen war?

„Achill sucht nach dir."

Ich brachte nicht einmal ein Schulterzucken zustande. Alles was ich wollte, war weiterhin auf meinem Felsen zu hocken und dem Meer meine Verzweiflung anzuvertrauen.

„Komm, ich bringe dich zu ihm", fuhr Adàm ruhig weiter und drückte mich sachte an meinen Armen hoch.

„Lass mich", murmelte ich und wehrte mich wenig überzeugt gegen sein Vorhaben.

„Komm, du musst etwas essen."

Ich schüttelte den Kopf. Das Einzige, das ich in diesem Moment brauchte, war nicht hier. Der Einzige.

„Elizabeth", sagte Adàm verzweifelt und rieb mit seiner Hand über meinen fröstelnden Rücken.

„Er sollte hier sein", brachte ich heraus und senke meinen Kopf. Meine Augen schlossen sich von selber, so dass ich sein Bild vor mir hatte. Seine wunderschönen Ozeanaugen.

„Ich weiss", murmelte Adàm und strich mir übers Haar.

„Er sollte hier sein."

Für eine Weile sass der Krieger neben mir und lauschte dem Meeresrauschen. Dann stand er ohne ein weiteres Wort auf und hob mich erneut auf meine Beine. Ich wehrte mich nicht. Als ich stand, wurde mir kurz schwarz vor den Augen. Ich hielt mich unsicher an Adàm fest, der geduldig neben mir wartete. Als mein Augenlicht zurückgekehrt war, fand ich Sorgen in seinen Augen. Obwohl meine Beine dünner waren als je zuvor, nahm ich einen Schritt nach dem anderen. Adàm folgte mir mit so kleinem Abstand, dass er mich beinahe getreten hätte. Wohl war ihm bei meinen angestrengten Schritten nicht so wohl, sodass er jederzeit bereit war, mich wenn nötig aufzufangen.

Die letzte KriegerinWhere stories live. Discover now