I.

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Und ich bin zu selten ich,
bestehe nur aus Monotonie.
Und ich lass mich treiben,
auf einer Welle, die keine Welle ist.

Wenn Menschen nach unserer gemeinsamen Geschichte fragen, wird Mojo später sagen, sie begann bei unserer ersten Begegnung. Daraufhin werde ich belustigt die Augen verdrehen und vehement bestreiten, dass sein Sinn zu Erzählen nur zu seiner Belustigung dient.

Unsere Geschichte ist keine dieser Geschichten wie im Bilderbuch, keine Märchenwelt illusioniert durch Picknicks unter Trauerweiden im Schein des Mondes, keine Peripetie an funkensprühenden Konflikten.

Unsere Geschichte ist vergleichbar mit der Sinusfunktion eines Mathematikers, ein Auf und Ab, aber nie ein Entgleisen. Ein Wechselbad der Gefühle in der Achterbahn eines Freizeitparks. Schlichtweg der Wellenbewegung des Lebens. Kein: Es war einmal eine junge, hübsche Königstochter, eher ein: ach verdammt, was hast du schon zu verlieren, du lebst nur einmal, gefolgt von der hysterisch, kreischenden Wirklichkeit.

Auch wenn wir keine Protagonisten eines Märchens sind, bleibt es für mich immer noch unser ganz persönliches Wunder, wie das Schicksal uns zusammenführte. Oder es war einfach nur das Leben. Wie es leibt und lebt. Das Leben, das mir zu dieser Zeit den Mittelfinger direkt ins Gesicht hielt.

Ich saß auf einer Treppe vor der Uni. Heulend. Erbärmlich. Unfassbar wütend. Aber es war mir egal. Es war mir verdammt nochmal egal. Ich war in einer fremden Stadt mit fremden Menschen und war mir selbst so fremd wie nie zuvor. Ich dachte an Schicksal und Liebe, weil letztlich alles immer darauf hinauslief. Es ging doch immer nur um die Liebe oder? Also suchte ich im Himmel die Antworten meines Lebens, das sich nebenbei wimmernd vor mir im Schnee wälzte und um Gnade bettelte.

Aber in meinem Kopf war kein Platz mehr für Gedanken, so unglaublich fühlte sich die Last der vergangenen Stunden an und ich sagte mir immer wieder: Manchmal musst du einfach nur sein. Sei einfach Lizz. Aber wer war ich schon, außer ein total verkorkstes Mädchen. Die Versagerin. Lizz, die nichts auf die Reihe bekam. Lizz, die gerade direkt auf einen Nervenzusammenbruch zusteuerte.
Ich war so unendlich wütend auf alles. Auf ihn, auf sie, auf die ganze verdammte Menschheit.

Aber vor allem war ich wütend auf mich selbst. Ich befand mich am Ufer meiner Hoffnungen, das kontinuierlich von einem Tsunami mitgerissen wurde. Irgendwann war die erste Welle verklungen und ich war wütend, dass ich wütend war. Ich rutschte immer weiter in den Brunnen aus Selbstmitleid und Tränen und Wut und konnte nichts tun.

Und weil einen das Leben immer auf einmal umhaut, hatte ich nur noch eine halbe Stunde, um vor dem gesamten Kurs eine Diskussion zu führen. Mit Pusteln im Gesicht und roten Rändern um der Nase. Noch so eine Nebenwirkung des wütend seins.
Also tat ich das Einzige, wozu ich noch fähig war, verbannte sämtliche Gedanken und weinte. Ich weinte, als würde ich die gesamte Trauer unseres Planetens in meiner Brust tragen. Dabei dachte ich mir immer wieder: Das wird schon wieder. Das wird schon wieder. Als würde das irgend etwas besser machen.

Dabei war es einer dieser kalten Tage, bei denen sich die Luft einen brennenden Weg in deine Lungen verschafft. Bei denen Tränen wie kleine Feuerbälle über dein Gesicht hinweg rollen. Früher hatte ich mir eingebildet, die ersten Schneeflocken verkünden, dass etwas Neues eintritt. Der Einzug von Magie. Jetzt ließ mir der Gedanke nur ein verächtliches Lachen übrig. Das wird schon wieder. Das wird schon wieder.

Ich zog meinen Mantel enger um mich, obwohl mir nicht mal kalt war. Meine Nerven hatten keine Zeit sich um die Kälte zu kümmern. Ich wappnete mich schlichtweg auf den bevorstehenden Einzug von Magie. Wahrscheinlich war es auch nur reine Gewohnheit. Ich drehte mich, so, dass ich mit dem Rücken gegen das Gelände lehnte und zog meine Beine eng an meinen Oberkörper. Ich lehnte mein Gesicht an die kalte Geländerstange und öffnete seufzend die Augen.

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