X.

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Ich bin und bleibe verloren,
obwohl du mich fandest.
Muss mich selber erst suchen,
bevor ich uns finde.
Mein Glück soll bei mir sein
und bei dir später wachsen.
Aber mein Leben, das brauch ich selber, bevor unseres beginnt.
Denn dann bin ich groß und wir zusammen, können leuchten,
als würden wir uns nicht verbrauchen und wachsen,
als gäbe es kein Morgen.
So wie unser Leben, einfach leben.

"Manchmal kann die Welt ziemlich schwarz-weiß sein."

Mein Flüstern klang traurig und die Worte hingen zwischen uns in der Luft. Ich wünschte, ich müsste keine Rolle in meinem Leben spielen, um frei zu sein. Ich wünschte, mein Herz würde sich beruhigen und normal schlagen. Und er wünschte sich, er hätte mich nie angesprochen, dachte ich. Was musste er mittlerweile alles schon von mir denken.

"Komm mit."

Seine Hand fand die meine und zupfte an meinen Fingern. Meine Hände waren eiskalt und schwitzig, doch seine waren warm und trocken und sicher. Ich machte noch nicht einmal einen Versuch, sie ihm zu entziehen. Der dunkelhäutige Junge neben mir scherte sich nicht um nasse Hände. Wir sind schließlich alle lebendig, konnte ich mir seine Antwort vorstellen. Kein ekelig. Sondern lebendig. Einfach wir. So roh und lebendig wie wir nun mal waren.

Er zog mich zu einer kleinen, verschlungenen Treppe und ging vor mir herunter. Ich betrachtete seine Statur, seine Bewegung unter dem schwarzen T-Shirt und die Art, wie er sich immer wieder kurz zu mir umdrehte. Wie der Wind seine Locken um die Kappe spielte und sein kleines Grinsen um dem Mund. Fast so, als müsse er sich vergewissern, dass es mich noch gab. Tja Jo, du gibst das Kommando. Ich folge dir, dachte ich. Sterne-Buddies und so.

Und dann musste ich auch Grinsen. Augenblicklich und ohne Gedanken. Bevor er es sehen konnte, biss ich mir schnell auf die Unterlippe und grinste in mich hinein. Mann, was spielten wir zwei seltsame Rollen und ich grinste schon wieder.

"Achtung, Madame. Ich werde jetzt stehen bleiben. Nichts gegen Ihre stürmische Art, aber sonst gehen wir beide baden", er verstellte seine Stimme und wurde allmählich langsamer, als er immer noch nach vorne gerichtet sprach.

"Vielen Dank, Captain. Das weiß ich sehr zu schätzen!", spielte ich mit, ehe ich über seine Worte nachdachte. Natürlich spielte ich mit.

"Moment. Wieso baden?"

Ohne mir zu antworten, drehte er sich, sodass ich seine rechte Seite vor mir hatte, lehnte sich gegen das Geländer und gab mir einen Blick auf das Ende der Treppe frei.

Erst jetzt hörte ich die leichte Bewegung des Wassers. Mein Blick war starr auf die Stelle vor ihm gerichtet. Die Wellen des kleinen Sees, die Lichter und Farben, die sich in ihm brachen, das Glitzern und das Rauschen der Blätter.

Es war unbegreiflich. Unbegreiflich, was wie hier spielten. Was er mir vorführte, während ich den Atem anhielt und gebannt den Blick auf seine Bühne richtete. Es war die rohe Natur, gemischt von der Magie der funkelnden Lichter der Stadt, die sich in ihr spiegelte. Und es war einfach und zugleich wunderschön.

Ich sah ihn nur an. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte und ich wusste, dass ich so vieles zu sagen hatte.

Wie er mit dem Rücken gegen das Geländer lehnte und seine Augen hinter dem ihm ins Gesicht fallende Locken mich anfunkelten. Mit ihren ganz eigenen Sternen und voller Leben. Und seine dunkle Haut, die in der Dunkelheit noch mehr hervorstach, als es möglich sein konnte und sein Lächeln, das so echt war, wie sein Leben.

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