III.

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Wenn wir die Augen aufmachen,
auf den Erinnerungen reisen,
passieren viele unterschiedliche Sachen,
um die wir uns beginnen in einem Strudel zu kreisen.

Ich wünschte, ich könnte die letzten dreißig Minuten meines Lebens rückgängig machen. Zurückspulen.

Wenn wir die Fassung vor Menschen verlieren, bestenfalls vor Fremden, dann verpacken wir meistens unbewusst die Erinnerung daran sicher in einer Schachtel unter anderen Erinnerungen, legen sie in das hinterste Eck einer Schublade, schließen sie zu und werfen bestenfalls den Schlüssel weg.

Wir Menschen vergessen gerne das Schlechte. Wir verschließen die Augen und Ohren und haben nicht den Mut uns all den beschämenden, schlechten Erinnerungen zu stellen, für die wir selber verantwortlich sind. In dem Moment wünschte ich, ich könnte das Gegenteil beweisen. Ich wünschte es wäre nicht mal zu dieser kleinen, dunklen Erinnerung gekommen, die ich schon längst gut verpackt hatte und aus meinem Gedächtnis gestrichen hatte.

Wir Menschen sind die Meister des Verpackens. So klein und einfach die Handlung der Erinnerung auch ist.

"Manchmal sind es doch die einfachen Dinge, die die größte Wirkung haben können."

Tja. Das Schicksal ist doch ein Verräter. Hätte ich mich mal lieber für die kompliziertere Denkweise entschieden, dann würde mir die große Wirkung der einfachen Frage nicht den Boden von den Füßen wegziehen. Dann hätte sich der Junge nicht gemeldet, ich hätte auf der Suche nach ihm nicht den dunkelhäutigen Jungen entdeckt, hätte still weitergelebt und meine Erinnerung auf die Reise zum Mond schicken können.

Als ich den Blick des Jungen begegnete, an dem meine Augen hängen geblieben waren, wusste ich vier Dinge:

Erstens: Die letzte Stunde war nichts verglichen mit dem Gefühlschaos, das sich jetzt in mir breit machte.

Zweitens: Ich kam mir nicht vor wie ein Versager. Ich hatte die Bestätigung, dass ich einer war und er es auch wusste.

Drittens: Das Schicksal ist kein Verräter. Es ist das größte Arschloch auf der ganzen Welt.

Viertens: Redewendungen sind nicht zum Spaß da.

Man trifft sich tatsächlich immer zweimal im Leben.

Ich möchte im Erdboden versinken und meine schlechte Erinnerung ungeschehen machen. Seine dunklen Locken waren jetzt befreit von der Mütze und an den Spitzen nass. Seine dunkle Haut bildete noch immer einen Kontrast und sein Blick ruhte immer noch auf meinem. Ich spürte wie mir die Röte ins Gesicht stieg und mir wurde unglaublich heiß.

Ich hatte noch nie meine Gefühle an einem Fremden ausgelassen, war immer höflich und distanziert gewesen. Bis auf den kurzen Ausrutscher vor dreißig Minuten. Hätte sich das Karma nicht noch ein bisschen Zeit lassen können? Wenigstens solange bis ich nicht mehr vor 100 Menschen stand, die mich nun ins Verderben rennen sahen.

Ich werde einfach so tun, als hätte ich ihn nicht bemerkt und erkannt. Wahrscheinlich ist er einer der Gaststudenten und langweilt sich zu Tode, weil er kein Wort versteht. Wahrscheinlich hat er mich schon längst vergessen und wenn nicht, dann ignoriere ich ihn einfach. Genau so werde ich es machen. Ich werde meinen Blick jetzt gelangweilt weiterschweifen lassen und ...

WIESO ÖFFNET ER DEN MUND? 

Wie in Zeitlupe nahm ich jede Millisekunde wahr, sah wie sich eine Gruppe Mädchen zu ihm umdrehte und leise kicherte, wie sich seine Lippen teilten und begannen sich zu bewegen. Wieder hörte ich diese Stimme und nahm doch gar nichts wahr. Bis ich langsam aus meiner Schockstarre erwachte und es mir dämmerte. Erschrocken schnappte ich nach Luft, ich hatte gar nicht mitbekommen, dass ich sie angehalten hatte. Was hatte ich überhaupt mitbekommen?

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