II.

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Ich fühl mich einsam,
umzingelt von Menschen.
In nem Raum wie voll Treibsand,
umringt von Menschen.
Ich atme ein und ich atme aus.
Ich schau euch an und schau gradaus.
Ich spür mein Herz und will hier raus.


Mein Leben bestand aus Entscheidungen. Entscheidungen, die ich nicht traf.

Mein Herz klopfte. Ich hasste den Moment der Entscheidung. Der Moment, in dem man sich in einem Vakuum befindet, auf einem Sprungbrett kurz vor dem Absprung. Zerissen zwischen zwei Seiten. Sämtliche Horrorszenarien vor sich, hinter sich die Schmach des Scheiterns. Mein Herz beschleunigte sich. Ich schloss die Augen, atmete tief durch.

Ich hasste den Moment, in dem man weiß, dass es kein Zurück mehr gibt. Kein Entkommen. Der Moment, in dem sich die Welle in Millisekunden auf dich zu bewegt und die Wucht, wenn sie über dir zusammenbricht.

Meine Welle raste förmlich auf mich zu. Türmte sich vernichtend vor mir auf.

Und dann fiel mein Name und mit ihm mein Herz.

In der Schule hatte ich verschiedene psychische Formen von Stress in Religion durchgenommen:"Eustress!", hatte mein Lehrer euphorisch gerufen, "Freudehormone fressen Kampfhormone auf!" Wenn allerdings die Freudehormone verschwinden sollten und den bösen, schwarzen Kreaturen der Angst und Panik den Platz überlassen sollten, sollte man schnellstens die Beine in die Hand nehmen."Distress!" Was das mit Religion zu tun hatte, verstand ich bis damals nicht.

Mein Magen verkrampfte und Panik legte sich wie ein kaltes Tuch über mich. Distress, definitiv Distress.

Zitternd fuhr mir durch die Haare und nahm kaum wahr, wie sich meine Beine einen Weg durch den Hörsaal der Uni bahnten.

Ich weiß nicht, was anderen Menschen in dem Moment durch den Kopf geht, aber meiner fühlte sich an wie Watte, besiegt von den schwarzen Kreaturen und ich konnte nur verschwommen die aufmunternden Worte meiner Sitznachbarn hören. Ich sah mich hilflos in die Hölle rennen, wie eine Maus in die Mausefalle.

Mein Leben bestand aus Momente. Momente, die ich nicht besiegen konnte.

Ich wagte einen kurzen Blick, als ich am Pult angekommen war und schaute auf. Knapp hundert Menschen vor mir. Oh Gott. In der Mitte sah ich Annas zierliche Gestalt, die ich den Tag zuvor kennengelernt und sofort ins Herz geschlossen hatte, die ausgelassen mit einem Typen quatschte. Neben ihr mein trostloser, hochgeklappter Sitz. Rechts, eine Reihe über ihr schliefen zwei Jungs, ausgelaugt vom Leben der Partys. In der untersten Reihe, alles akkurat, die Stifte gezückt.

Mein Blick schweifte von Sitz zu Sitz, von Reihe zu Reihe.

Ich musste daran denken, wie überzeugt ich in der Schule von der Freiheit, der Gleichheit nach dem Abi geträumt hatte. Keine Hierarchie aus Coolen und Strebern, Hübschen und Hässlichen, Beliebten und Isolierten. Kein Durchschnitt mehr.
Ich wollte nicht länger der Durchschnitt sein. Ich wollte endlich ich sein.

Aber je länger ich den gefüllten Hörsaal betrachtete, desto mehr zerfielen meine Hoffnungen und schnitten mir wie Scherben in die Haut. Dachte ich wirklich, drei Monate und eine andere Stadt würden meine Probleme in Luft auflösen?

Ich stellte mir vor, wie ich im Publikum saß und mich sehen würde. Ich sah eine junge Frau, die freundlich ins Publikum lächelte. Die aufrecht da stand und nicht nervös an ihren Klamotten fummelte. Würde George Clooney vor ihr stehen, würde sie nicht einmal mit der Wimper zucken.

Naja und dann sah ich mich. Das genaue Gegenteil von ihr.
Sah wie vergeblich ich versuchte ruhig zu bleiben und wie ich das Mikrofon in die Hand nahm.

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