V.

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Heute bin ich wie ein Regenbogen,
leuchtend bunt und vogelfrei.


"Magst du die Nacht, Lizz?" und es war, als würden seine Worte für einen kurzen Moment die Dunkelheit um mich durchschneiden, um funkelnd leuchtende Sterne auf mich herabregnen zu lassen.

Ich weiß nicht, was mich mehr überraschte, als ich das Funkeln in seinen Augen betrachtete. Die Tatsache, dass er sich an meinen Namen erinnern konnte oder die Einfachheit der Frage, die mich verzweifelt nach Wörtern suchen ließ. Fingen Racheaktionen gewöhnlich nicht etwas anders an? Ich fragte mich, ob er mich unter dem Nachthimmel verwechselte, doch als ich an mir herab sah, war ich immer noch unverkennbar Lizz. Das gleiche gemeine Mädchen, dessen Name er unmöglich geraten hatte.

Mein Kopf war wie leer gefegt und mit großen Augen blickte ich zu ihm auf und ich könnte schwören, fast hätte ich vergessen, warum er überhaupt so leer war.

"Ich weiß nicht. Manchmal ja, manchmal nein", stammelte ich nachdem ich mich wieder gefasst hatte. Jetzt schaute auch er in die Finsternis hinaus, doch ich konnte die kleine Bewegung sehen, als er seine Augenbrauen kurz zusammenzog. Ich dachte mir, das war es jetzt wohl. Kommen wir zum unangenehmen Teil unseres glücklichen Zusammentreffens. Doch er blieb still. Aus irgendeinem Grund wusste ich, dass ihn die Antwort enttäuschte. Es war, als würde mir mein persönlicher Souffleur hinter der Bühne meinen verpatzten Einsatz zuflüstern.

"Ich schätze es ist wie der schmale Grad zwischen Frühling und Sommer", fügte ich also schnell hinzu und wagte einen neuen Versuch. Aber mein Gott, was redete ich da überhaupt? Ich war kurz davor meine Augen zu schließen, die Welt um mich herum zu verbannen und den Seufzer meines Lebens freizulassen. Aber ich war Lizz, das wahnsinnige Mädchen und ich wollte mich nicht noch mehr blamieren.

Ich vermisste mein ursprüngliches, sicheres Skript, mein einfaches, unkompliziertes Leben. Seit Tagen glich mein Skript nur einem leeren, weißen Bogen aus Papier und ich hatte keine Ahnung, wie ich mich benehmen sollte, um mein Leben nicht noch schlimmer zu machen, als es ohnehin schon war. Ich wollte mein normales Leben, bei dem ich auf alles vorbereitet gewesen bin.

Seine Augen kehrten wieder zu meinem Gesicht zurück und verharrten eine Zeit lang. Sein ruhiger Gesichtsausdruck verunsicherte mich immer mehr. Als könnte er sich nicht entscheiden, ob er mich von all den Gedanken in seinem Kopf ausschließen lassen oder sie mir entgegen schreien wollte."Na los, bring es endlich hinter dich! Sag es mir! Sag mir, was für eine Versagerin ich bin", schrie ich ihm in Gedanken zu und gab ihm seine Antwort.

"Willst du gar nicht wissen, wie ich heiße?"

Jetzt war ich es, die ihn eine Zeit lang musterte. Er nahm mir den Wind aus den Segeln, er ließ den toßenden Sturm um uns herum verstummen, für den ich mich gewappnet hatte und ich konnte nichts machen, als abzuwarten.

In meinem Kopf suchte ich nach Fragen, die er mir nicht stellte und Antworten, die ich ihm nicht geben konnte. Was sollte das werden? Der selbstlose Samariter, der mit dem armen, kleinen Mädchen Mitleid hat? Oder doch eher die Ruhe vor dem großen Sturm? Wo sollte das hinführen, wohin, wisperte mein Unterbewusstsein und Wut stieg in mir auf.

Wenn er bereits seinen Part auf unserer Bühne eingenommen hatte und dachte, ich hätte meine Rolle vergessen, hatte er sich getäuscht. Im Grunde hatte ich noch nicht einmal eine.

"Du bist die Feder deines Lebens und für immer die Tinte deiner Geschichte, Lizz", hatte mir meine Oma so oft zugeflüstert, als wäre es ein altes, kostbares Geheimnis, das man nie vergessen sollte. Genauso, wie sie mir immer einen kleinen Geldschein in die Tasche steckte, wenn meine Eltern nicht hinschauten, so als würde es sich stattdessen um einen geheimen Drogendeal handeln. Der Gedanke flutete mich mit Ruhe und Wärme. Wenigstens für eine Sekunde.

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