-7-

176 27 1
                                    

Stumm saß ich auf dem Sofa und drehte das Weinglas an seinem Stil zwischen den Fingern

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Stumm saß ich auf dem Sofa und drehte das Weinglas an seinem Stil zwischen den Fingern. Ich wusste genau... zumindest irgendwo tief in meinem benommenen Geist... dass es nun viele Dinge zu klären und zu erledigen gab, doch in diesem Moment fühlte sich mein Körper an, als ob er in Zement gegossen worden war und ich nun langsam in einem Tümpel aus Teer versenkt wurde. Valeria hatte mir angeboten zu bleiben, doch derzeit konnte ich einfach niemanden um mich herum ertragen.
Ausgenommen von meiner Katze.
Rain hatte gespürt, dass meine Seele sich vor Verzweiflung heiser schrie und lag nun so laut schnurrend auf meiner Brust, dass ich es bis in die Knochen spürte. Immer wieder stieß sie ihr Köpfchen unter mein Kinn und leckte mir den Hals, bis ich schließlich mechanisch begann sie zu kraulen.
Oh, Gott... wie sollte ich das alles nur schaffen? Mein Einkommen reichte gerade mal so aus, um meinen eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Ich konnte mir unmöglich alleine die Kinderbetreuung für Kiara leis...
Kiara...
Ich stöhnte auf und vergrub mein Gesicht aufwimmernd in Rains weichem Fell.
Wie konnte ich der Kleinen bloß erklären, dass ihre Mama nie wieder nach Hause kommen würde? Dass ein Stück wertlosen menschlichen Abfalls sie auf dem Nachhauseweg überfallen und ihr Leben beendet hatte... einfach nur weil sie die blöde Handtasche nicht hatte herausgeben wollen!
Anscheinend hatte Kathi in aller Eile heute morgen die Taschen verwechselt und meine mitgenommen - eine gebrauchte Chanel, die ich mir zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag selbst geschenkt hatte und die mein ganzer Stolz gewesen war.
Ich hatte sie gehegt und gepflegt... und es war das einzige Stück in meinem Besitz, welches mehr als hundert Dollar gekostet hatte.
Kathi hatte es gewusst und mich immer liebevoll damit aufgezogen, doch heute Nacht hatte sie sich geweigert, die blöde Handtasche dem Dieb zu überlassen... hatte versucht, vernünftig mit einem Drogenabhängigen zu reden, der einfach nur scharf auf den nächsten Schuss gewesen war. Und meine Freundin hatte für ihre Loyalität den ultimativen Preis bezahlt... das Messer hatte in dem Kampf irgendwie ihre Oberschenkelarterie getroffen und Kathi war innerhalb weniger Minuten verblutet.
Alles nur wegen einem dämlichen Stück Accessoire!
‚Was soll ich denn jetzt nur machen?' dachte ich kläglich und beäugte mein Weinglas mit kummervollen Interesse.
Fuuuuck... das wäre so schön... mit mir dem Alkohol die Birne wegballern und dann irgendwann nach fünfzehn Jahren wieder clean werden. Das einzige was mich davon abhielt war ein vierjähriges blondgelocktes kleines Mädchen, dass im Nebenzimmer schlief und noch nicht wusste, dass ihr Leben sich innerhalb von Sekunden für immer verändert hatte.
„Scheiße, Kathi! Warum hast du die Tasche nicht einfach hergegeben? Wieso? Wieso WIESOOOO?" Das letzte Wort schrie ich in ein Kissen, dann packte ich mir die überrascht miauende Mieze und rollte mich auf der Couch um Rain herum zusammen.
Solange bis es Morgen war würde ich mir den Nervenzusammenbruch gönnen. Danach musste ich mich für Kiara zusammenreißen... Aber fürs erste heulte ich meiner Katze das Fell nass... was diese mal überhaupt nicht gut fand. Dennoch schnurrte der Pelzträger tapfer weiter, wohl in der Hoffnung, für diese gute Tat in naher Zukunft von ihrem Dosenöffner belohnt zu werden.
Und so verbrachte ich die bis dahin schlimmste Nacht meines Lebens... und bei meiner abgefuckten Kindheit will das echt was heißen.

„Tante Lessa? Wo ist Mami? Sie war nicht bei mir im Bett."
Eine leise, noch leicht verschlafene Stimme drang an mein Ohr und dann rüttelte mein Patenkind zaghaft an meiner Schulter. Rain schob ihren Kopf zwischen meinen langen braunen Haaren hervor und rieb ihn an der kleinen Patschehand des Kindes.
Tja... die Zeit des Trauerns und des Selbstmitleids waren zumindest für jetzt vorbei. Ich drehte mich zu der kleinen Maus um und zog sie auf meinen Schoß.
„Kiara... Mami wird nicht mehr zurückkommen. Es ist etwas sehr schlimmes passiert und jetzt ist sie im Himmel bei Grandma und Grandpa und passt von dort auf uns auf."
Kiaras Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte vor etwa einen halben Jahr mitbekommen, wie ihre Oma an Krebs gestorben war und wusste daher nur zu gut, was es bedeutete, wenn ich ihr sagte, dass ihre Mama nun im Himmel war.
Schluchzend vergrub die Kleine ihr Gesicht an meiner Brust weinte sich die Seele aus dem Leib. Immer wieder rief sie nach ihrer Mami und alles, was ich tun konnte war sie zu halten und sanft hin und her zu wiegen. Es war einfach nicht fair, dass Kiki in ihrem jungen Leben bereits so viel Verlust hatte erleiden müssen!
Zum Glück hatte Valeria mir den Rest der gerade angefangenen Woche frei gegeben - gegen volle Bezahlung, so dass Kiara und ich den Tag auf der Couch und im Bett verbrachten... wir weinten zusammen, aßen Unmengen von Eiscreme und weinten noch ein bisschen mehr. Dann erzählte ich meinem Mäuschen, wie Kathi und ich uns kennengelernt hatten, wie wir über einem Streich an unserer Tagesmutter (sie war eine Saufkumpanin meiner hochgeschätzten Alkoholikermama und dementsprechend begeistert von mir) zu besten Freunden geworden waren. Ich ließ die kinderfeindlichen Details aus, erzählte also nur, dass meine Mutter - ihr Name war Lisa - ein sehr unglücklicher Mensch war und versucht hatte, ihr Unglück mit Erwachsenengetränken zu betäuben. Dass sie mich fast jeden Tag geschlagen und hatte hungern lassen, verschwieg ich... diese Geschichten würden warten müssen, bis Kiki mindestens zehn Jahre älter war!
Aber die erzählten Erinnerungen an Kathi, ihre Liebe zu Tieren und ihr künstlerisches Talent gaben genügend Trost für den Moment. Hin und wieder kicherte das Mäuschen in meinen Armen sogar, dann brach sie wieder in Tränen aus, weil ihr erneut klar wurde, dass sie ihre Mami nie wiedersehen würde.
Zu sagen, der Tag war unendlich erschöpfend, war die Untertreibung des Jahres und ich war merkwürdig froh, als die Sonne an dem Smog verhangenen Himmel unterging. Ich verließ Kiara kurz um ein Bad einzulassen, während meine sensible Katze den Babysitter mimte. Ich holte mein Patenkind zur Planschsession ab und Rain begleitete uns großmütig... wohl um sicherzugehen, dass sich kein gefährliches Geviechse in der Wanne aufhielt, dass uns fressen konnte. Ich hatte das gute Rosen-Badesalz ins Wasser gegeben - ein Weihnachtsgeschenk von Valeria - und so saßen Kiara und ich in der Gesellschaft von etwa fünfzehn Gummienten in unterschiedlichen Größen in dem rosa gefärbten Badewasser und ich sang ein Medley aller Disneysongs. Ich war vielleicht sonst eine Talentfreie Zone, aber singen konnte ich. Ich war früher Solistin in dem Chor unserer Highschool gewesen und meine Lehrerin hatte meine Altstimme ebenso geliebt, wie Kathi und nun auch Kiara. Selbst Rain hörte auf zu schnurren und meditierte ganz versunken den tropfenden Wasserhahn der Badewanne an.
Während ich auf Wunsch meines Patenkindes noch ‚Let it go' trällerte, legte ich uns beide trocken und bedeutete Kiki, sich die Zähne zu putzen. Ich machte rasch die Wanne sauber, dann schrubbte ich mir auch die Beißerchen und machte die Kleine und mich bettfertig. Wir hatten zwar erst acht, aber ich war nach diesem Tag echt ausgelaugt.
Morgen musste ich zur Polizei, nachfragen, wann der Leichnam meine Freundin freigegeben wurde, dann musste ich alles für die Beerdigung organisieren und...
Nein, besser nicht an Morgen denken, sonst würde ich anfangen zu schreien.
Im Moment war das Wichtigste, sich mit Kiara in dem Bett einzukuscheln, den schnurrenden Stubentiger vom Kopfkissen zu schubsen und ihr mal wieder die wahre Braut vorzulesen.

Morgen würde schließlich noch früh genug kommen...

Es begann mit einem RingWhere stories live. Discover now