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Völlig erledigt vergrub ich mein Gesicht in den Händen und gestattete mir zwei Minuten des totalen Zusammenbruchs

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Völlig erledigt vergrub ich mein Gesicht in den Händen und gestattete mir zwei Minuten des totalen Zusammenbruchs. Ich war am Ende meiner Kraft angekommen. Wenn ich in den Spiegel sah, schaute mir eine Gewitterhexe entgegen... Ich war blass, hatte fast acht Kilo abgenommen und Augenringe, die bis nach Texas reichten. Ein halbes Jahr war vergangen, seit ich meine beste Freundin zu Grabe getragen hatte und ich versagte als Ersatzmutter auf ganzer Linie. Und es lag nicht an Kiara... Die Kleine gab sich tatsächlich außergewöhnlich viel Mühe, um zu beweisen, wie erwachsen sie doch war. Und dabei war sie noch nicht mal fünf Jahre alt. Selbst meine Katze hatte sich mit der neuen Lebenssituation arrangiert und zähneknirschend ihren Platz auf meinem Kopfkissen an den kleinen Sonnenschein abgetreten. Dass das Mädchen jetzt bei uns dauerhaft eingezogen war, konnte die Mieze auch noch gerade so verschmerzen. Was aber wirklich, wirklich unverzeihlich in ihren Augen war, war die Tatsache, dass ich ihr kaum noch Leckerlis mitbringen konnte. Ganz zu schweigen von einem Bucket KFC. Nicht mal halbwegs gutes Futter konnte ich mir für das bis dato sehr verwöhnte Tier noch leisten.
Ich war pleite.
Und zwar so richtig!
Und das, obwohl ich mir einen regelrechten Wolf arbeitete. Ich übernahm jede Schicht, die ich kriegen konnte, hatte mir sogar einen Zweitjob besorgt, um nachts in einer wirklich abgeranzten Spelunke den Barkeeper zu mimen. Das Problem war schlicht und ergreifend: Kathis Beerdigung hatte mein nicht vorhandenes Budget schlichtweg pulverisiert. Und das bisschen, was ich verdiente und was nicht zur Begleichung der Schulden herhielt, benutzte ich, um das Dach über unserem Kopf und das magere Essen auf dem Tisch zu bezahlen. Dass ich nur noch jeden zweiten Tag wirklich etwas aß, damit meine kleine Patentochter genug zwischen die Beißerchen bekam, hatte ich ohne weiteres akzeptiert. Wann immer er konnte, stopfte Daddy P mich mit Futter voll oder gab mir Doggy-Bags mit den ganzen Resten aus der Küche mit. Aber meine Freundin und Chefin musste schließlich auch von etwas leben und daher knapp kalkulieren und so konnte sie sich die Hilfe für mich nur sehr begrenzt leisten. Zumal das Dinner auch noch nicht vollständig abbezahlt war...

„Tante Lessa...? Kann ich noch eine Scheibe Brot haben?" Kiaras dünnes Stimmchen brach durch meine Selbstmitleid-Arie und mit viel Kraft riss ich mich wieder zusammen. Das Mäuschen steuerte auf einem Wachstumsschub zu und hatte in letzter Zeit nur noch Hunger.
Das war für mich bedauerlicherweise ein ausgesprochen vertrauter Zustand!
Ich wusch mir rasch die Tränen vom Gesicht und ging zu meiner süßen Kleinen in die Küche zurück.
„Na, klar, mein Spatz."
Ich schaute in die Brotbox und ein paar einsame Krümmel an ihrem Boden winkten mir müde zu. Großartig... nicht mal mehr Brot hatte ich. Kurzerhand legte ich ihr meine Schnitte auf den Teller und lächelte sie erzwungen an.
„Ich muss morgen einkaufen, Liebling. Hier, nimm meine. Hab sowieso keinen wirklichen Hunger."
Das war schlichtweg gelogen. Ich hatte Schmacht bis unter die Achseln und beäugte bereits interessiert das billige Katzenfutter, welches meine Luxusmieze mit absoluter Todesverachtung herunterwürgte. Zögernd griff Kiara nach der Scheibe und sah mich zweifelnd an. „Bist du sicher? Tante Lessa... Du hast auch nicht gefrühstückt."
Verdammt... die Kleine war einfach viel zu aufmerksam ihr Alter.
Ich streckte die Hand aus und streichelte ihr über die blonden Löckchen. „Mach dir keine Gedanken, Kiki. Ich hab auf der Arbeit etwas gegessen" - wieder gelogen, aber das musste das Kind ja nicht wissen.
Rasch erhob ich mich und schenkte mir ein Glas Wasser ein, meine Mutter hatte immer schon gesagt: „Das bisschen, was ich jetzt noch esse, kann ich auch trinken!" Dieses Motto hatte ich in letzter Zeit ebenfalls adoptiert.
Nur dass Alkohol so preislich betrachtet leider auch nicht mehr drin war. Oder vielleicht sollte ich sagen, zum Glück, denn ansonsten wäre ich vermutlich schneller in die Fußstapfen meiner Säufermama getreten als gedacht.
Aber verdammt... Ich würde im Moment einen Arm für eine Flasche Weißwein hergeben. Oder vielleicht besser noch eine Flasche Tequila. Mir einfach sinnlos die Birne wegballern, dass ich für ein paar Stunden meine Sorgen, Nöte und Ängste vergaß. Denn nächstes Jahr würde Kiara in die Schule gehen müssen... Und ich hatte keinen Schimmer, wie ich mir das alles leisten sollte. Die Kinderbetreuung hatte ich längst vor Monaten an den Nagel gehängt. Solange kein Goldesel auf meinem Balkon Einzug halten würde, war das einfach nicht mehr drin. Stattdessen hatte Oma Mildred, die nette alte Dame von nebenan, sich bereit erklärt auf Kiki aufzupassen, während ich versuchte Geld zu verdienen. So bekam das Mäuschen dort wenigstens Mittags eine warme Mahlzeit, zum Dank ging ich für die alte Dame einkaufen und half ihr, die Wohnung sauberzumachen. Und wenn ich Lebensmittel für Mildred besorgte, bestand sie darauf, auch für unseren Haushalt die Sachen zu bezahlen. Es war mir jedes Mal unendlich unangenehm und peinlich, doch arme Schlucker konnten es sich nicht leisten, stolz zu sein. Vor allem nicht, wenn besagte arme Schlucker ein kleines Kind zu versorgen hatten, welches unter anderem neue Klamotten und Essen brauchte.

Verstohlen seufzend kippte ich zwei Gläser Wasser in meinen leeren Magen, dann räumte ich den Tisch ab und schickte Kiara mit einem kurzen „auf geht's" zum Zähneputzen und Umziehen. Eigentlich hätte ich heute Abend arbeiten müssen... Aber ich war so müde und erledigt, dass es nahezu unmöglich war meine Augen noch sehr viel länger offenzuhalten. Ich brauchte Schlaf... Sonst würde ich nicht sehr viel länger durchhalten.
Während ich also rasch das Geschirr abspülte, versuchte ich nicht an den nächsten Tag zu denken, wenn ich mal wieder versuchen musste, mit zehn Dollar und einem Stapel Coupons Lebensmittel für die kommende Woche für Kiara, mich und die Katze einzukaufen. Ich hatte beschlossen, von Tag zu Tag zu leben... ansonsten hätte ich längst das Handtuch geworfen.
Ein ganz besonders dunklen Tagen, kam mir hin und wieder der Gedanke alles hinzuschmeißen und die Kleine zu Pflegeeltern fortzugeben, doch nur eine Sekunde später hasste ich mich abgrundtief dafür. Kathi würde sich buchstäblich im Grabe umdrehen und derzeit war Kiara der einzige Lichtblick in meinem verkorksten Leben.
Ja, ja... Sie machte es alles bedeutend schwieriger für mich.
Aber auf der anderen Seite... wenn sie mich anlächelte oder mir ein selbstgemaltes Bild schenkte, dass sie in der Zeit bei Oma Mildred für mich gezeichnet hatte, da war die Welt wenigstens für kurze Zeit wieder in Ordnung.
„Bin fertig.." rief das Mäuschen aus dem Schlafzimmer und ich trocknete rasch meine Hände ab. Als ich mit dem Märchenbuch unterm Arm zu ihr kam, saß Kiara in die Decke geschmiegt, Rain fest an sich gedrückt da und sah mir vertrauensvoll entgegen.
Ich musste lächeln...
„Die wahre Braut?", fragte ich, doch die Kleine überraschte mich und schüttelte den Kopf. „Nein. Kannst du Schneewittchen vorlesen?"
Halleluja!
Wir hatten nach sechs Monaten eine neue Lektüre! Mittlerweile brauchte ich für ‚Die wahre Braut' schon kein Buch mehr. Ich konnte die Geschichte auswendig – Kiki übrigens auch. Ich hatte sie die letzten Wochen regelmäßig dabei ertappt, wie sie lautlos die Worte mitgesprochen hatte.
Na, dann also Schneewittchen... ich baute den Song aus dem Disney Film ein, den die Prinzessin am Brunnen sang und nachdem die böse Königin ihr mit einem Gürtel die Luft abgeschnürt hatte, schlummerte Kiki mit einem zufriedenen Ausdruck in dem süßen kleinen Gesichtchen, während sie die resignierte Katze im Schwitzkasten hielt und als Kopfkissen missbrauchte.
Rain warf mir einen Blick zu, der Bände sprach. Da war die wilde Anklage über die aktuelle Situation... Und nein, damit war nicht gemeint, dass sie als Kissen herhalten musste. Nein, es war eher die Gesamtsituation, die dem Pelzträger nicht wirklich schmeckte, doch als ich mich anschickte die Katze es ihrer misslichen Lage zu befreien, tatzte sie mit ausgefahrenen Krallen nach mir und schaltete den schnurrenden Motor noch einen Gang höher.
Na gut... Dann hatte sie sich mit ihrer Rolle als Babysitter und Schlafstätte anscheinend abgefunden.
Zumindest für heute.
Ich zog mich für die Nacht um und putze mir rasch die Zähne, dann kuschelte ich mich neben die beiden, stellte mit dem letzten spärlichen Rest an wachen Gedanken meinen Wecker für morgen früh und weg war ich...

Es begann mit einem RingWhere stories live. Discover now