11. Willkommen Chiara

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Wir fuhren gerade mal drei Minuten — wenn es hochkam — und schon war es mit der Ruhe vorbei.

„Also...", begann Nate.

Sofort fuhr ich ihm über den Mund und winkte seinen Redeversuch mit der Hand ab: „Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, während der Fahrt die Klappe zu halten?"

Gespielt überlegend runzelte er die Stirn, bis er mir ein feuchtfröhliches: „Daran kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern.", zuwarf.

Augendrehend schaute ich zum Seitenfenstern und betete für staufreie Straßen.

Wäre es übertrieben aus dem fahrenden Auto zu springen? Und wie sehr würde ich mir dabei wehtun? In welcher Relation stand dieser Schmerz im Vergleich zu dieser Situation?

„Also, wohin geht es an einem so schönen Tag?"

Versuchte Nate gerade Smalltalk zu führen?

„Die Adresse hast du doch schon.", entgegenete ich monoton.

„Okay, geheimnisvoll.", stellte er fest. „Heiß."

Verwirrt blinzelte ich ihm entgegen, während er mir ein laszives Augenbrauenwackeln zu warf. Vollidiot.

„Ich tippe mal auf ein Roundevouze?", fuhr er fort, als würde ich ein ganz normales Gespräch mit ihm führen, was ich offensichtlich nicht tat. Dazu fiel die ganze Interaktion zu einseitig aus. Doch ich hatte das Gefühl er ignorierte diese Tatsachen absichtlich und machte sich einen heiteren Spaß aus der Situation.

Er schien sich gern über andere zu amüsieren und seine lockere, ach so lässige Art an die Glocke zu hängen. Ich will nicht sagen, dass ich sowas unsympathisch finde, doch es erweiterte nicht unbedingt meine Bereitschaft weiterhin mit ihm im Auto zu sitzen.

Im Gegenteil: Ich wurde Stück für Stück williger Verletzungen bei einem actionmäßigen Sprung aus dem Auto in Kauf zu nehmen.

„Erstmal geht dich das nichts an.", begann ich genervt und etwas schärfer als bisher: „Und weiterhin interessiert dich das sowieso nicht ernsthaft, weil wir uns quasi nicht kennen..."

„Was das 'nicht kennen' angeht, würden meine Erinnerungen, vor allem das Gedächtnis meiner Hände, etwas anderes behaupten.", unterbrach er mich grinsend und warf einen kurzen Seitenblick zu mir.

Kopfschüttelnd und fassungslos, dass er es anscheinend nicht unterlassen konnte auf den Sex zwischen uns anzuspielen, weil er vermutlich genau bemerkt hatte wie unangenehm mir das war, überging ich seine Aussage mit einem Kopfschütteln: „... könntest du deine Nase gefälligst aus meinen Angelegenheiten raushalten und dich mit deinem Kram beschäftigen, Stalker?"

Genervt ließ ich mich augenrollend in den Beifahrersitz fallen.

„Woah woah, wenn dann bist du hier der Stalker, ich war immerhin zuerst an der Uni."

Noch während er das sagte, entdeckte ich die Beschilderung der Straße, in der sich Chiaras zukünftige Wohnung befand. Einige wenige Meter neben dem Straßenschild erspähte ich den Blondschopf auf einer Bank vor einem großen Wolkenkratzer.

Automatisch erhellte sich meine Mimik: Chiara!

„Halt!", rief ich durch den Wagen, woraufhin Nate ruckartig auf die Bremse trat: „Hier ist es, du kannst mich rauslassen."

Ohne ihm noch eines unnötigen Blickes zu würdigen, schnappte ich mir meine Tasche und öffnete die Autotür, um ins Freie zu treten.

Draußen wehte mir ein schwüler, sommerlicher Windzug entgegen, gefüllt mit den typischen stickigen Abgasen und Gerüchen einer Großstadt. Vielleicht klingt das verrückt, doch ich mochte den Geruch einer Großstadt. In diesem Moment fühlte sich mein Leben so frei und aufregend neu an. Es fühlte sich plötzlich so real an. Jetzt erst begriff ich, dass ich tatsächlich mit meiner besten Freundin in dieselbe Stadt gezogen war, so wie wir es uns seit dem Kindergarten ausgemalt hatten.

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