Attraction

1. „Let's Start the Party"

„Halt still!", ermahnte mich Chiara mit strenger Stimme.

Augenrollend versuchte ich meinen Kopf gerade zu halten und mich möglichst wenig zu bewegen.

„Wenn du nicht willst, dass ich dir mit der Pinzette ausversehen dein Augenlicht nehme, wäre ich an deiner Stelle freiwillig ruhig.", sie fuchtelte mit der Pinzette gefährlich nah vor meiner Pupille herum.

„Schon verstanden.", ergab ich mich. Ich war nicht scharf drauf durch eine lächerlich kleine Pinzette meine Sehkraft zu verlieren.

Allerdings fragte ich mich langsam wirklich wie lang wir uns mittlerweile schon partytauglich machten.

Ja, es war eine Kostümparty.
Aber vier Stunden Vorbereitung empfand ich dann doch ein bisschen übertrieben.

Andererseits, so war Chiara halt. Ihre gesamte Persönlichkeit bestand aus Übertreibungen, sowohl optisch als auch charakterlich. Mal davon abgesehen liebte sie es sich zurecht zu machen. Bei Partyvorbereitungen konnte sie nie jemand von ihren Vorhaben abbringen, die sie sich wochenlang in den Kopf gesetzt hatte, selbst wenn er es versuchen würde. Das galt auch für mich. Und als ihre beste Freundin, seit dem Kindergarten, hatte ich das schon unzählige Male versucht. Make-Up und Mode waren einfach Chiaras Leidenschaften. Eine Leidenschaft, für die sie gewöhnlich alles tat und wofür ich sie manchmal ebenso hasste wie beneidete. In den meisten Situation war sie der kreative Kopf von uns beiden, wohingegen ich meine eigenen Gedanken erst einmal sortieren musste, um nicht völlig überfordert dazustehen.

Chiara wusste genau was ihr Talent war und wie sie sich darstellen musste, um ihre Ziele zu erreichen, was sie unheimlich selbstbewusst gemacht hatte. Eigentlich kein Wunder, dass sie vor zwei Wochen die Zusage für einen Praktikumsplatz bei einer der größten Mode- und Lifestylezeitschriften erhalten hatte.

„Und... ich bin fertig!", verkündete sie begeistert und warf ihre glänzenden schulterlangen, blonden Haare nach hinten.

Ich öffnete meine Augen und sah in den Spiegel, während mich Chiaras blaue Augen gespannt musterten.

Perplex stand ich von dem Stuhl auf und trat näher an mein Spiegelbild. Bis dato wusste ich gar nicht, dass ich so aussehen konnte.

Mein Oberkörper steckte in einem trägerlosen silbernen Top, welches sich perfekt von meinem braun gebrannten Hautton abhob. Die Beine umschlang eine kurzen, schwarze Stoffhose, welche einen Kontrast zum hell schimmernden Oberteil abgab. Meine langen, dunkelbraunen Haare, die beinahe einem Schwarz glichen, lagen in großen Wellen über meinen Schultern.
Mit dem Make-Up hatte sich Chiara vollends übertroffen. Auf meiner Stirn schimmerten zahlreiche silberne Glitzersteine, die eine Linie oberhalb meiner Augen ergaben, um die Wette. Auch auf den Schultern und dem Dekolleté hatte sie mit einem Schwämmchen einige Schimmerpartikel verteilt. Es war so unglaublich, dass ich bei dem ganzen Schimmer gar nicht wusste, wo ich zuerst hinsehen sollte.

Nur einer Sache war ich mir noch sicherer als zuvor: Meine beste Freundin beherrschte ihr Handwerk.

„Und?", sie biss sich ungeduldig auf die Lippe, während ich mir, immer noch überwältigt, durch die dicken Haare strich.

Anschließend drehte ich mich zu ihr und lächelte sie überwältigt an: „Chiara, du bist eine Göttin. Weißt du das eigentlich?"

Erleichtert lächelte sie und klatschte freudig in die Hände: „Ich hatte es gehofft. Aber wenn mir sogar eine solche Kritikerin, wie du es bist, so ein Kompliment gibt, dann muss ich es ja drauf haben."

Ich hatte eigentlich von Anfang an eine schlechte Vorahnung, als es hieß, dass Wesley unsere private Schulabschlussparty ausrichten würde und diese dann auch noch in eine Kostümparty verwandeln wollte. Denn ich hatte zwar Lust auf Feiern, sogar ziemlich große Lust, aber Verkleiden zählte nun wirklich nicht zu meinen Stärken.
Erstens fehlte mir dazu meist die Kreativität und zweitens sahen die meisten Kostüme einfach nur lächerlich an mir aus. Außerdem wollte ich mir nur ungern die letzte Party meiner Schulzeit durch ein hässliches Kostüm, welches mir aufgezwungen wurde, versauen lassen.